Susanne Kraus, 26, ist für ihre Bachelorarbeit durch Niederbayern gefahren und hat fast vergessene Handwerkstechniken ausgekundschaftet. Daraus hat die Industriedesignerin moderne Entwürfe und einen Shop entwickelt, mit dem sie die lokale Wirtschaft ankurbeln möchte.
Als Susanne den Handdrucker Josef im Bayerischen Wald besuchte, nahm sich der 86-jährige Mann mehrere Tage Zeit, um ihr zu zeigen, wie man solche Handdruck-Modelle anfertigt. Er führte sie durch sein Lager, in dem es stechend nach Ammoniak roch zwischen den eckenhohen Holzregalen voller nummerierter Modelle, die vielleicht schon bald nicht mehr gebraucht werden. Als ihr der alte Mann in seiner Schürze und mit den hornhäutigen Händen aus seinem langen Leben als leidenschaftlicher Handdrucker erzählte, da wurde Susanne klar: Wie schade wäre es, wenn diese und andere alte Handwerkstechniken vergessen werden?
Ein halbes Jahr später: Mittlerweile steht Susannes eigene Kollektion mit Stücken, hergestellt mit eben diesen alten Techniken auf einer jungen Ausstellung in München, und viele der Besucher staunen: bedruckte, selbst genähte Stofftaschen sind zu sehen oder kleine heidelbeerfarbene Holzschachteln und runde Beistelltische, schlicht und zeitgemäß gestaltet, wie aus einem teuren Markenladen. Die Stücke sind allesamt handgemacht - von Susanne gemeinsam mit den Handwerkern, die noch Herr über die seltenen Techniken sind.
Susanne ist Industriedesignerin und Glasbildnerin und außerdem grundneugierig, auch auf Handwerk. „Ich wollte herausfinden, wie solche aussterbenden Techniken funktionieren, und das möglichst, bevor es zu spät ist", sagt sie. Für ihre Bachelorarbeit hat Susanne deshalb Betriebe aufgespürt, von denen es nicht mehr viele gibt: Neben dem Handdrucker Josef war sie noch bei einem Korbflechter, einem Spanschachtel-Hersteller, einer Steinmetzin, einem Kerzenzieher und in einer Handweberei. Im Großen und Ganzen geht es dem niederbayerischen Handwerk allerdings hervorragend. „Ein Fünftel der Beschäftigten in Niederbayern und in der Oberpfalz sind in einem Handwerksbetrieb tätig", sagt Andreas Keller von der örtlichen Handwerkskammer. Die konzentrierten sich jedoch auf Berufe wie Schreiner oder Metallbauer, sagt Keller. „Es sind die kleinen, Ein-Mann-Traditionsbetriebe, die Probleme haben, den Nachwuchs für sich zu begeistern.
Ein Korbflechter aus Deggendorf erzählte Susanne, wie er Lkw-Fahrer wurde, als es mit seinem Betrieb den Bach hinunterging. Erst jetzt, als Rentner, könne er wieder seiner Leidenschaft, dem Körbeflechten, nachgehen. Die einen sind pensioniert und gleichzeitig fehlt der Nachwuchs. Auf ihrer Tour hat Susanne fast keine Gesellen mehr getroffen. „Die Kinder der verbliebenen Handwerker suchen sich heute lieber andere Berufe, weil sie einfach nicht mehr ans Handwerk glauben", sagt Susanne.
Doch sie kennt als selbstgelernte Handwerkerin die Liebe zum Material sehr gut, die so viele ihrer Kollegen erfüllt. Vor ihrem Industriedesignstudium an der Hochschule München ließ sie sich zur Glasbildnerin im niederbayerischen Zwiesel ausbilden. Sie hat dabei erfahren, welch sehr hohe Kunst ein scheinbar einfaches Handwerk sein kann, und dass selbst drei Jahre nicht ausreichen, um es wirklich zu beherrschen. „Nach der Glasbildnerausbildung kann man eigentlich nur die Basics", sagt sie. Danach komme Übung, eben bis zum Meister - so viel Geduld und Zeit bringen immer weniger auf. Susanne musste erst einige Zeit unter Bekannten herumtelefonieren, bis sie an einen Menschen herankam, der noch Spanschachteln herstellen kann.
Gleichzeitig weiß die 26-Jährige, dass genau das Seltene und vor allem das Selbstgemachte in Zeiten blühender Nostalgie großes Potenzial hat - wenn man dieses Potenzial denn richtig nutzt. „Man muss sich ja nur mal die Zeitschrift Landlust oder den Fernsehsender Servus TV anschauen, die auf den Zug in Richtung Heimat aufgesprungen sind", sagt sie.
Mit ein paar Innovationen könnten die Betriebe viel aus sich herausholen, davon ist die junge Frau überzeugt. „Einige Handwerker leben jeden Tag den gleichen Trott und passen sich nicht an junge Kunden an", sagt Susanne. Sie hätten keine Website, kein kreatives Marketing, keinen Auftritt in den sozialen Medien. Genau da ist für Susanne jetzt eine Schnittstelle entstanden. Sie entwirft für die alten Handwerker neue Produkte, vermarktet und verkauft sie. Die Herstellung allerdings bleibt in den Händen der erfahrenen Profis. Der Gewinn wird geteilt.
So hat Susanne zum Beispiel den Handdruck, den man traditionell verschnörkelt auf Vorhängen und Tischen findet, auf selbst genähte Stofftaschen übertragen. Sie hat die Muster dabei auf einfache schwarze Linien reduziert. Aus der Technik der Spanschachteln hat sie gemeinsam mit dem Spanschachtelhersteller Beistelltische gebaut. „Ich wollte etwas Funktionales und Zeitloses erschaffen, dem man das Handgemachte aber noch ansieht", sagt Susanne. Lange musste sie den Spanschachtelmacher überzeugen, bis er ihre eigensinnigen Gestaltungsideen am Ende doch bewilligte. „Er hat immer geschaut und gesagt: So geht das nicht." Doch Susanne probierte so lange herum, bis es eben doch ging.
Seit einer Woche ist ihre Seite www.tagwerkshop.de nun online. Dort findet man Infos zur Herstellung und Herkunft der ersten Produkte - es sollen noch viele mehr werden.
Nach Abschluss der Bachelorarbeit besuchte Susanne noch einmal den Handdrucker Josef, um ihm die entstandenen Taschen zu zeigen. Der freundliche Mann mit der großen Brille staunte über die ungewöhnlichen Drucke von Susanne. Sie hat die Stempel einfach übereinander gelegt, statt feinsäuberlich nebeneinander, wie es die alte Schule vorgibt. „Ich weiß nicht, ob das noch Handwerk ist, aber vielleicht ist es ja Kunst", sagte er.
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