Wie Touristen durch Buenos Aires tanzen: Eine Stadt im Tangotakt
Eine der besten Tangoshows in Buenos Aires: Mariana und "El Indio" tanzen auf der Plaza Dorrego in Viertel SanTelmo unter freiem Himmel.
Nach einiger Ellenbogenarbeit wird der Blick frei auf einen Kunststoffteppich, der auf den unebenen Steinboden des Platzes in Buenos Aires geklebt ist. Ein ergrautes Pärchen tanzt engumschlungen im Takt der Musik: Schritt für Schritt folgen die Beine der beiden dem Wechsel aus abgehacktem Stakkato und lang gezogenen Schummern des melancholischen Klageliedes, das etwas verzerrt aus dem Lautsprecher knarzt.
"Das sind die Dinosaurier des Tango", sagt ein Zuschauer. "Sie tanzen den alten Tanz von 1910, schau genau hin." Der etwa 30-jährige Argentinier deutet auf die Füße der Artisten. "In ein paar Jahren kannst du solche Schritte nicht mehr sehen. Mit den beiden Alten wird dieser Stil aussterben. Heute tanzt in Buenos Aires niemand mehr so."
"Gleich tanzen Mariana und der Indio"Die Mehrheit der Umstehenden, die auf der Plaza Dorrego im Altstadtviertel San Telmo zusammengekommen sind, registriert die kurze Schrittfolge und die filigrane Beinarbeit der Tänzer eher mit neugierigem als mit fachmännischem Blick. Von Tangotheorie und unterschiedlichen Stilen verstehen die meisten Zuschauer nicht viel.
Tanzende Paare zu jeder Tages- und Nachtzeit -der Tango führt in Buenos Aires alles andere als ein Schattendasein.
Doch es gibt auch Experten, die zielgerichtet die Freilichtbühne unter den hohen Kastanienbäumen ansteuern. "Gleich tanzen Mariana und der Indio", sagt Verena Sallat, eine 27-Jährige aus Leipzig. "Im Moment ist das wohl eine der besten Tangoshows, die man in Buenos Aires sehen kann." Verena kennt sich aus. Die Physiotherapeutin ist schon seit einigen Wochen in der Stadt. Knapp vier Monate möchte sie insgesamt bleiben - hauptsächlich, "um Tango zu tanzen". Drei Jahre lang hat Verena Sallat in Deutschland bereits Tanzstunden genommen. Nun ist es Zeit, die Kenntnisse im Tango-Ursprungsland zu vertiefen.
Buenos Aires ist und bleibt das Traumziel aller Tango-FansVerena ist nicht die einzige, die ihre Tanzleidenschaft nach Buenos Aires geführt hat. An die 6000 Ausländer lockt der Tango jährlich in die Hauptstadt Argentiniens. Sie kommen aus den USA, Europa, Japan und Israel, um ihre Tanzschritte zu verbessern.
Seit einigen Jahren erlebt der einstige Bordelltanz, der Ende des 19. Jahrhunderts am Rio de la Plata in den Hafenvierteln von Buenos Aires und Montevideo entstand, einen Boom: An vielen Orten auf der Welt wurden Tangotanzschulen eröffnet, auch in Deutschland bildeten sich regelrechte Tangogemeinden. Organisierte Reisen mit argentinischen Tanzlehrern führen inzwischen bis in den Dschungel von Guatemala und in die Landhäuser der Toskana. Doch Buenos Aires, die Wiege des Tanzes, ist und bleibt das Traumziel aller Tango-Fans.
Ein teuerer Spaß"Nirgends gibt es so viele gute Tänzerinnen wie hier", schwärmt Giovanni. Der 25-jährige Musikwissenschaftler aus Turin ist schon zum dritten Mal als Tangotourist in Buenos Aires. Er kommt immer allein und sucht sich ein Zimmer auf eigene Faust, denn die organisierten Gruppenreisen sind sehr teuer. Für einen 14-tägigen Aufenthalt mit Tanzkursen, Gruppenausflügen und gemeinsamem Tango-Shopping müssen mindestens 1022 bis 1533 Euro hingeblättert werden, das Flugticket nach Argentinien nicht mitgerechnet.
Auch Verena hat sich ihre Reise selbst organisiert. In San Telmo konnte sie günstig zwei Zimmer mieten, Informationen über die besten Tanzbälle, die "Milongas", hat sie sich schon in Deutschland besorgt. "Aber man kann auch alles Wissenswerte in den Tangozeitschriften erfahren und natürlich im Gespräch mit anderen Tänzern", sagt sie.
Leben vom TangotourismusDrei Tangozeitschriften werden in der Stadt gratis verteilt: "B.A. Tango", "El tangauta" und "El tango y su gente". Hier findet man neben Terminen von Kursen und "Milongas" auch die Adressen und Telefonnummern von Geschäften für Tangobekleidung, von Museen, Theatern, Unterkünften und Tanzsälen. Der Kalender der "B.A. Tango" listet eine Auswahl von 40 bis 50 Tangoklassen täglich auf - und das sind bei weitem nicht alle. Denn nicht alle Lehrer inserieren. Wer das Geld für eine Anzeige sparen möchte, vertraut auf Mundpropaganda.
INFO-KASTEN:Argentinien
So geht es auch Pedro, besser bekannt als "El Indio", und Mariana, die seit sieben Jahren die zentrale Performance der sonntäglichen Tanzvorstellungen auf der Plaza Dorrego präsentieren. Wenn die beiden nach ihrer Akrobatik-Show mit dem Hut in der Hand die Reihen der Touristen abwandern, versäumen sie nicht, auf Ort und Uhrzeit ihrer nächsten Gruppentanzkurse hinzuweisen. Wie viele Tanzlehrer in Buenos Aires allein vom Tangotourismus leben, lässt sich schwer schätzen, denn alle besseren Tänzer unterrichten zusätzlich im Ausland.
Die "letzten Dinosaurier des Tango"Zwar lassen die ausländischen Tango-Touristen viel Geld in der Stadt, doch ist der Tango in Buenos Aires keineswegs eine rein kommerzielle Angelegenheit. Für viele Einheimische ist die Musik und der Tanz Ausdruck eines ganz eigenen Lebensgefühls. Daher übertrifft die Anzahl der Tango tanzenden "porteños" - der Hafenbewohner, wie sich die Einwohner von Buenos Aires selbst nennen - die Zahl der Tangotouristen bei weitem. Und es gibt immer wieder Tänzer auf der Plaza Dorrego, die nicht für Geld tanzen, sondern einfach zum Spaß - wie das Seniorenpärchen, das den Tanzstil von 1910 über die Jahre gerettet hat. Die beiden Geschwister, 82 und 78 Jahre alt, tanzen seitdem sie denken können. Geld ist für sie nicht wichtig. Sie kommen jeden Sonntag auf die Plaza, trinken Weißwein und beobachten die Künste der Jüngeren. In den Pausen, in denen sich die Stars ausruhen, treten sie selbst aufs Parkett - die "letzten Dinosaurier des Tango".
Caroline Mayer, dpa
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