Caroline Mayer

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Kieferknacken: Nicht dauernd die Zähne zusammenbeißen! - SPIEGEL ONLINE

Beunruhigendes Knacken oder Schmerzen im Kiefer: Die Diagnose des Zahnarztes lautet in solchen Fällen oft craniomandibuläre Dysfunktion, kurz CMD. Unter diesem Begriff fassen Zahnmediziner verschiedene Funktionsstörungen des Kiefers zusammen.

"Zwei Symptome stehen im Vordergrund, nämlich Schmerz und Dysfunktion", sagt Oliver Ahlers vom CMD-Centrum Hamburg-Eppendorf. "Der Schmerz betrifft die verschiedenen Bereiche des Kauorgans, die Dysfunktion bezieht sich auf Zähne, Kiefergelenke und Kieferbewegung."

Konkret heißt das: Ein Teil der Betroffenen hat ständig Schmerzen an den Kaumuskeln oder am Kiefer, manchmal auch begleitende Zahnschmerzen. Andere können den Mund nicht mehr richtig öffnen, oder es knackt und knirscht, wenn sie den Kiefer bewegen. Anzeichen einer solchen Funktionsstörung haben viele Menschen - bis zu 28 Prozent der Bevölkerung, wie die SHIP-Studie ergab, eine Langzeitstudie der Universität Greifswald mit 8700 Teilnehmern zum Gesundheitszustand der Menschen in Vorpommern.

Doch nicht immer ist das ein Grund, zum Arzt zu gehen: Viele Betroffene fühlen sich nicht beeinträchtigt und müssen entsprechend auch nicht behandelt werden.

Verschiedene Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass etwa drei Prozent der Bevölkerung in Deutschland an einer CMD leiden, die therapiert werden sollte, sagt Ingrid Peroz, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGFDT).

Andere Erkrankungen ausschließen

Zum Arzt sollte man gehen, wenn man Schmerzen hat oder die Bewegung des Unterkiefers eingeschränkt ist, rät Peroz. Der erste Ansprechpartner ist der Zahnarzt, der eine Diagnostik in mehreren Schritten durchführt. "Zuerst muss ausgeschlossen werden, dass klassische zahnärztliche Erkrankungen wie Karies, Wurzel- oder Zahnfleischentzündungen vorliegen", sagt Oliver Ahlers. Danach sollte der Zahnarzt in einem CMD-Kurzbefund mittels sechs Tests prüfen, ob begründete Anhaltspunkte für eine CMD bestehen. Sind mindestens zwei dieser Tests positiv, werden weitere Funktionsanalysen durchgeführt.

"Wenn wir eine Fehlfunktion finden, klären wir erst einmal, wie hoch der Therapieaufwand ist", sagt Ingrid Peroz. In den meisten Fällen reiche es, eine Aufbissschiene anzufertigen und den Patienten einige Selbsthilfe-Maßnahmen zu erklären. Denn in vielen Fällen vermutet man als Ursache für die CMD stressbedingte Verspannungen der Kaumuskulatur und nächtliches Zähneknirschen, auch Bruxismus genannt. Die Patienten sollen lernen, auf unwillkürliche Verspannungen zu achten und rechtzeitig gegenzusteuern.

Bewusst auf die Kieferstellung achten

"Als Erstes erkläre ich den Patienten, dass die Zähne in Ruhe nichts aufeinander verloren haben", sagt Peroz. "In Ruhe hängt der Unterkiefer entspannt, die Lippen sind zu, aber die Zähne sind nicht in Kontakt." Menschen, die unter Stress die Zähne zusammenbeißen, merken das in der Regel nicht. Peroz rät den Betroffenen daher, einen kleinen Zettel mit einem roten Punkt irgendwo am Arbeitsplatz, zum Beispiel am Computer-Monitor, zu befestigen. Immer wenn man den roten Punkt sieht, solle man kurz bewusst auf die Kieferstellung achten.

Wer sich dann dabei ertappt, dass er die Zähne aufeinander presst, solle kurz Luft holen, ausatmen und dann die Lippen locker zusammenlegen. "So kommt man ganz automatisch wieder in die entspannte Abstandshaltung." Um Verspannungen zu lockern, empfiehlt Peroz, zwischendurch die Wangenmuskeln und die Schläfen zu massieren.

Das hilft Betroffenen

Wenn sich der Kiefer nicht mehr öffnen lässt, können physiotherapeutische Maßnahmen wie manuelle Therapie, Krankengymnastik, Wärme oder Dehnübungen helfen. Ist die Ursache eine Entzündung im Kiefergelenk, kommen Gelenkspülungen und entzündungshemmende Medikamente zum Einsatz.

Nur in seltenen Fällen, wenn die Zähne beim Zubeißen nicht gleichmäßig zusammenpassen, sei es notwendig, die Fehler im Kauorgan durch Überkronen von Zähnen oder Kieferorthopädie zu korrigieren, sagt Peroz.

Manche Betroffene haben die Beschwerden schon so lange, dass die Schmerzen chronisch geworden sind und psychosomatische Probleme, Schlafstörungen oder Depressionen auftreten. Dann sei die Behandlung schwierig, sagt Anne Wolowski von der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (AKPP).

"Wenn wir das Problem bei guter Mitarbeit des Patienten mit einer Aufbissschiene, Entspannungstechniken und Physiotherapie in drei bis sechs Monaten nicht in den Griff bekommen, reichen diese Maßnahmen nicht aus", erklärt die Oberärztin am Universitätsklinikum Münster. Möglicherweise können dann eine Schmerztherapie oder eine Verhaltenstherapie helfen.

Bei Kieferbeschwerden, die durch Stress und Verspannungen ausgelöst wurden, warnt Wolowski vor zu hohen Erwartungen an einen schnellen Therapieerfolg. "In zwei Wochen wird man nicht schmerzfrei. Die Beschwerden sind schleichend gekommen, sie müssen auch wieder herausschleichen."

Caroline Mayer, dpa
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