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Christian Lohse im Portrait: Diktator mit gutem Geschmack

Christian Lohse beherrscht den Herd. Das belegen seine beiden Michelin-Sterne. Und noch mehr ein Mittagessen mit ihm in seinem Berliner Restaurant. Der gebürtige Bad Oeynhausener kocht aus großer Liebe zum Produkt – und gerne auch mal vor Wut.


Verfressen habe er in Gourmettempeln schon den Wert zweier Familienhäuser, sagt Christian Lohse. Der Koch schätzt gutes Essen und ebenso die Bodenständigkeit seiner ostwestfälischen Heimat. Das „Fischers Fritz“ bezeichnet der 46-Jährige deswegen lieber nicht als Gourmettempel. „Wir sind nicht so ein Snobbyladen. Es wird gelacht, die Gläser klirren, und die Kellner hauen keine artifizielle Sprache auf den Tisch.“

 

An einer Ecke liegt sein „Fischers Fritz“ tatsächlich – am Gendarmen Markt im Herzen Berlins als Hausrestaurant von einem der schicksten Hotels der Hauptstadt, dem Regent. Außer seiner Lage erinnert spontan wenig an eine einfache Eckkneipe. Das Interieur ist ungemein edel, zwei der berühmten Michelin-Sterne und zahlreiche Auszeichnungen rühmen die Küche. Dennoch: Die Atmosphäre ist angenehm intim.

 

An diesem Mittag kommt der Chefkochgerade aus dem Personalrestaurant, es gab Penne mit Bolognese. „Das war sehr lecker. Ich fand das sensationell.“ Dem Gast in seinem Restaurant empfiehlt er etwas exklusiver Rochenflügel mit Zitrone, Kapernbutter und karamellisierter Petersilienwurzel. „Das ist einer der kompliziertesten Fische, den man in der Küche verarbeiten kann.“ Und Lohse beginnt einen Vortrag über die richtige Zubereitung, die ideale Gartemperatur, die Qualität des Fisches und so  weiter – schnell, in ratterndem Ton, dass der Laie seinen Ausführungen kaum hinterherkommt und das Essen in stillem Einvernehmen einfach genießt.

 

Zu jeder Zwiebel in seiner Küche könnte Lohse wahrscheinlich so eine Geschichte erzählen und offenbart neben der Leidenschaft fürs Kochen seine große Wertschätzung für das Produkt. „Schöne Produkte braucht man gar nicht manipulieren. Man will sie schmecken, nicht ihre Veränderung.“ Der Rochen kommt aus Frankreich, das Land der Haute Cuisine und das Land, in dem Lohse sein Handwerk lernte.

 

Sein erstes Kochbuch „Gaston Lenôtre – Das große Handbuch der Patisserie“ bekam er mit zwölf Jahren und scheiterte damals an der Vanillesoße. „Die sah aus wie Grießbrei, und meine Profiteroles (kleine Windbeutel) waren flach wie eine Flunder.“ Das Buch hat Lohse noch heute, und die harte Kochschule hinter sich. „Man denkt immer, Frankreich sei so ein romantisches Land. Aber die französische Sprache kann sich sehr schnell in die Sprache der Wölfe verwandeln. Das habe ich ein paar Mal in der Küche erlebt.“

 

Der gescholtene Lehrling von damals gäbe die perfekte Besetzung für den scheltenden Küchenchef von heute – zumal, wenn er so gerne poltert wie Lohse das offensichtlich tut: „Wenn ich manche Kollegen sehe, wie sie an den Kritikern rumschleimen, kriege ich die Krätze.“ Oder: „Brot in so Carpaccio-Scheiben, das nervt dermaßen.“ Doch Lohse schwingt im Fischers Fritz nicht den Kochlöffel als Zepter. Seine Kritik ist skrupellos, aber nicht gedankenlos. Seine Mitarbeiter bittet er und fordert sie auf zum Probieren. „Das Diktat eines Solisten kann nie über so ein großes Restaurant entscheiden“, lobt er immer wieder die Teamleistung im Fischers Fritz.

 

Das war nicht immer so. „Ich war mal ein Diktator in der Küche“, sagt Lohse, gewohnt kritisch auch in seiner Selbsteinschätzung, und denkt wohl an seine Zeit in Bad Oeynhausen. In seiner Heimatstadt führte er zwischen 1994 und 2003sein eigenes Restaurant die „Windmühle“– mit hartem Ton und bis zur Selbstaufgabe. Aber dann habe es ein paar Einschnitte in seinem Leben gegeben. Schließlich attestierte man ihm, das „größte menschliche Arschloch“ zu sein. „Da habe ich mir Gedanken gemacht zu meinem Leben. Das war eine große Zäsur. Seitdem geht es mir gut.“ Sein Sterne-Restaurant in Bad Oeynhausen ging Pleite und in dem Kurort hat er nicht nur Freunde zurückgelassen.

 

Es zog Lohse in die Hauptstadt. Dort kommt jetzt das Dessert mit einer vielversprechenden Ansage: „Wir versuchen, mit dem Nachtisch den Hauptgang vorzuführen.“ Was aussieht wie ein Fabergé-Ei heißt auf der Karte „Feige in Zitronenaromen pochiert, weiße Schokoladencreme und Dill-Coulis, gerahmtes Eis von Montheil-Walnüssen“. Mit der zierlichen violetten Blüte und etwas Blattgold optisch ein kleines Kunstwerk, geschmacklich eine große Explosion.

 

Wie passend da der Vergleich von Lohse: „Wir arbeiten wie in einem Atelier. Hier kann man wirklich genussvoll arbeiten.“ Stapelweise Pfannen, haufenweise Töpfe, reihenweise Kochbesteck vor nacktem Edelstahl und grauen Fließen – so stilvoll der Gastraum, so zweckmäßig Lohses Kochatelier, durch das er mit schnellen Schritten und flinkenHänden wirbelt, den Bart getrimmt, die Haare kurz rasiert. Die schwarze Kochjacke mit der doppelten Knopfleiste sitzt perfekt wie die eckige, rahmenlose Brille vor den munteren Augen.

 

Seit bald zehn Jahren leitet er die Küche im Fischers Fritz. Und wie lange noch? „Ich weiß gar nicht, warum mir immer diese Frage gestellt wird.“ Vielleicht, weil er ja schon öfter die Wirkungsstätte gewechselt hat. Nachdem „Gaston Lenôtre“ und einigen Stationen in Frankreich ging es zu dem berühmten Dorchester in London. Als der Leibkoch des Sultans von Brunei im Suff gestürzt war und sich beide Hände gebrochen hatte, übertrug man spontan Lohse die Aufgabe. „Da sind sie nicht nur Leibkoch, da sind sie Leibeigener. Sie sind wirklich Diener und zwar 24 Stunden am Tag.“

 

Lohse schmiss hin und zog weiter: zurück nach Frankreich, dann Stationen in Deutschland. Im Sylter Massenbetrieb zerhackte er zum Beispiel Bratenten im Akkord. Zwischenzeitlich wollte er die Kochschürze auch mal ganz an den Nagel hängen. Lohse trug Zeitungen aus. „Aber als mir so ein Kläffer in den Hintern gebissen hat, habe ich gesagt, das kannst du dir auch abschminken. Beim nächsten Mal bringst du die Töle nämlich um.“

 

Da ist es wieder, Lohses Temperament. Er koche gerne – auch mal vor Wut, sagt er über sich selbst, ein Küchenbulle halt, der in Berlin einen Stall gefunden hat. Er schätzt die „Geschmacksarchitektur“ der Stadt, die kulinarische Vielfalt. „Es gibt jeden Tag etwas neues, und wir haben eine tolle Klientel, die das annimmt.“ Im Vorbeigehen verabschieden sich zwei Gäste aus dem Restaurant: „Vielen Dank, das war großartig.“