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Führen ohne Chef: Revolution oder Rohrkrepierer?

Holacracy löste vor einigen Jahren einen regelrechten Hype um Führungskonzepte aus, die ohne klassische Chefrollen auskommen. Die Unternehmen Freitag und Traum-Ferienwohnungen wagten das Experiment. Was sie dabei gelernt haben?

Wer das Büro von Traum-Ferienwohnungen in Bremen betritt, kommt sich auf Anhieb vor wie in der WG guter Freunde: Sofa-Ecke, knarzender Parkettboden, freundliche Gesichter, über einen Bildschirm an der Wand laufen im Slide-Modus Urlaubsfotos. Letztere stehen für das Kerngeschäft des Unternehmens: 2001 begann das Gründer-Trio damit, das Inserat-Modell, wie es im Zeitungsgeschäft für die Vermittlung von Ferienwohnungen gängig war, ins Internet zu übertragen. Damals sendeten Vermieter
die Fotos ihrer Unterkünfte noch per Post mit einem frankierten Rückumschlag und einem 50-Mark-Schein für das Inserat.

Aus D-Mark wurden Euro, aus Briefen E-Mails, aus Fotos Uploads und aus dem Trio ein immer größeres Team. „Bis etwa zur 20. Anstellung funktionierte alles super, dann haben wir Abteilungen geschaffen und Abteilungsleiter eingesetzt“, sagt Mitgründer Nicolaj Armbrust. So hatte er es schon im Wirtschafts-
Abi gelernt und Gründer- und Geschäftsführerkollege Sebastian Mastalka später im BWL-Studium. Doch das Schulwissen entpuppte sich in der Realität als Hindernis.

Fehlende Agilität und zu langsame Entscheidungsprozesse bremsten das Unternehmen darin aus, möglichst nah und schnell an den drei Kundengruppen – private und gewerbliche Anbieter von Ferienwohnungen sowie Urlauber – zu arbeiten. Die Unterteilung der Mitarbeiter in Fachgebiete verlangsamte Austausch und Kommunikation, da diese regelmäßig nur noch über die Abteilungsleiter
liefen. „Wir wollten die Abteilungen also wieder auflösen – und stellten damit zwangsläufig unsere gesamte Organisationsstruktur in Frage“, so Armbrust.

Das war 2015, das Jahr, in dem US-Unternehmer Brian Robertson ein Buch über alternative Unternehmensführung publizierte. „Holacracy: Ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt“, so der Titel der deutschen Übersetzung. Der Klappentext verspricht: „Holacracy macht jeden Menschen im Unternehmen zu einer Führungsperson, wodurch maximale Agilität und Flexibilität erreicht werden.“ Mit Hilfe von Robertsons Management-Methode sollen sich Mitarbeiter selbst organisieren,
damit etwa Entscheidungsprozesse ohne den Umweg über Führungsebenen auskommen, die nicht so tief im Thema sind und die Abläufe verzögern. Kurz nach Erscheinen des Buchs versuchten sich erste Unternehmen an der Management-Methode.

Das Ziel: In einer sich immer schneller verändernden Welt agil und flexibel genug auf Veränderungen reagieren zu können. Rund vier Jahre später und einige Erfahrungen reicher, bleibt die Frage:
Liegt in der Selbstorganisation die Lösung der Management-Probleme unserer Zeit?

[gesamter Artikel in t3n Nr. 55, 2. Quartal 2019...]