Carolin Haentjes

Freie Journalistin, Berlin und Leipzig

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Das Nazi-Erbe

"Wo kommt die Kohle her?" - Max Fuhrmann konnte der Frage nicht ausweichen.

Die Deutschen erben so viel wie noch nie: 400 Milliarden Euro in jedem Jahr. 25.000 davon gingen an Max Fuhrmann. Der fand bei seinen Recherchen heraus, dass dieses Geld aus der NS-Zeit stammt. Was nun?


Max Fuhrmann erinnert sich gerne an das Haus am Ammersee. Es stand frei auf einem Hügel, der Blick ging aufs Wasser, zwischen den Obstbäumen weideten Schafe. Eigentlich war das Haus viel zu weitläufig für seine Großtante, die allein in dem Haus lebte, den ganzen Tag Whisky Soda trank und endlos Zigaretten rauchte. Aber Fuhrmann und seine Geschwister kamen oft zu Besuch, in den Ferien oder zur Obsternte, und dann verbrachten sie ganze Tage allein auf dem Dachboden, spielten mit altem Gerümpel und Nazi-Andenken.

Wenn Fuhrmann von den kindlichen Abenteuern erzählt, fangen seine Augen an zu leuchten. Als wäre es gestern gewesen, erinnert er sich zum Beispiel daran, wie sie den vergessenen Tresor im Wohnzimmer knackten. Niemand sonst scherte sich darum. Aber die Kinder trieben den dazugehörigen Schlüsselbund auf, probierten jede mögliche Kombination für die beiden Schlüssellöcher, und hielten schließlich einen kleinen Schatz in den Händen.

„Da waren so Silberstücke und Silbermünzen drin. Durften wir natürlich nicht behalten." Aber Jahre später fand ein Batzen Geld den Weg auf sein Konto. Er erbte den Teil eines Vermögens, dessen Ursprung unklar war.


Eine stattliche Summe von der Großtante

Fuhrmann sitzt an einem großen, hölzernen Esstisch in seiner Wohnung in Berlin-Neukölln. Vor ihm ausgebreitet: Dokumentenstapel, die Blätter mit bunten Klebestreifen markiert, manche haben umgeknickten Ecken. Es sind Zeugnisse einer historischen Recherche, die ihn lange umgetrieben hat. Im Gespräch nimmt er die Papiere immer wieder nebenbei in die Hand. Zärtlich rückt er die Stapel zurecht. Ecke auf Ecke.


Fuhrmann, Mitte 30, Politikwissenschaftler, groß und schlaksig, wirkt nicht wie ein Typ für dramatische Szenen, für Anklagen mit Pauken und Trompeten. Eher wie ein Typ, der versucht, das große Ganze zu verstehen und die Rolle der Einzelnen darin. Er ist gerade erst in diese Wohnung gezogen, viele Kartons sind noch nicht ausgepackt. Aber sein Adorno, sein Gramsci und sein Foucault, all die Klassiker der linken Gesellschaftstheorie, stehen schon liebevoll aufgereiht im Bücherregal.


25.000 Euro. Das Erbe einer kinderlosen Großtante würden viele Menschen mit Kusshand nehmen. Ein Auto kaufen, schön in Urlaub fahren, etwas zurücklegen für schlechte Zeiten. Max Fuhrmann dachte keinen Moment daran. „Ich konnte der Frage einfach nicht ausweichen. Ich wollte wissen, woher die Kohle kommt und was es mit dem Menschen auf sich hat, dem ich die zu verdanken habe."


Dieser Mensch, ein gewisser Friedrich von Lossow, wurde in seiner Familie selten erwähnt. Seine Großtante hatte sich in den Vierzigerjahren mit ihm verlobt und war in sein Haus am Ammersee gezogen. Zur Hochzeit kam es nicht mehr, denn von Lossow wurde direkt nach dem Einmarsch der Alliierten verhaftet. Im Sommer 1945 brachte er sich in britischer Kriegsgefangenschaft um. Mit Zyankali, dem Gift, das auch viele hochrangige Nazis als Suizidmittel verwendet hatten. SS-Chef Heinrich Himmler war einer davon.

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