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Die Abschiedsausstellung erinnert an zehn tolle Jahre in der Bülowstraße

Die Mieten zu hoch, die Fördermittel zu knapp oder fürs Corona-Hilfspaket zu langsam - in diesen Tagen gibt es viele Gründe, sich aus der Kunstwelt verabschieden zu müssen. Doch die Kunstsäle schließen aus eigenem Willen. Sie haben sich für den „Freitod" entschieden, wollen Zeit und Raum für Neues schaffen.


Was vor gut elf Jahren mit einem Versprechen zwischen dem Künstler Michael Müller, dem Galeristen Alexander Hahn und den Kunstsammlern Geraldine Michalke und Stephan Oehmen begann, wurde zu einer Institution. Die Kunstsäle in der Bülowstraße 90 wurden ein Ort für Kunst, Begegnung und Diskurs. Nach 130 Ausstellungen schließt der Raum seine Pforten. Die Macher verabschieden sich mit einer retrospektiven Gruppenausstellung.


Zwei Sammler, ein Künstler und ein Galerist taten sich zusammen

„Wir haben das über zehn Jahre gemacht, und jetzt ist's gut" sagt Michael Müller. Er ist die treibende Kraft hinter den Kunstsälen. 2009 stellte er den Sammlern Geraldine Michalke und Stephan Oehmen den Galeristen Alexander Hahn vor. Gemeinsam beschlossen sie, sich zusammenzutun und bezogen einen mondänen Altbau in der Bülowstraße, in dessen Räumen einst Samuel Fischer die Romane von Franz Kafka verlegte. Dort sorgten sie mit jungen wie renommierten Künstlerinnen und Künstlern für Aufmerksamkeit.


Direkt zu Beginn fand der legendäre „Salon Populaire" der Kuratoren Ellen Blumenstein und Florian Wüst in den Kunstsälen eine Heimat, bevor er samt Kuratorin 2012 weiter in die Kunst-Werke in der Auguststraße zog. In der Folge wirbelten Blumenstein und ihre Mitarbeiter mit der Initiative „Haben und Brauchen" viel Staub auf, stellten den Umgang Berlins mit seinen Künstlern in Frage.


Mit Ellen Blumensteins "Salon Populaire" fing es an

Die City Tax, die geschaffen wurde, um die Berliner Kreativwirtschaft für ihren Beitrag zum Tourismus zu entlohnen, ist ein Resultat dieser kulturpolitischen Initiative.

Ein anderer Meilenstein in der Historie der Kunstsäle ist die Ausstellung „Nobody Spoke", die sich dem Gesamtwerk der Künstlergruppe Art&Language widmete. Deren theoriereichen Konzeptarbeiten, die die Grundlagen der Kunst- und Weltwahrnehmung reflektieren, waren in Deutschland in diesem Umfang zuvor nicht zu sehen gewesen.


In den Kunstsälen wurden die großen Sinnfragen gestellt

Die großen Sinnfragen der Kunst spielten bei den Kunstsälen immer eine Rolle. Das ist den Inhalten der beiden beteiligten Sammlungen zu verdanken - und den Interessen von Michael Müller. Die Mitstreiter Stephan Oehmen und Alexander Hahns Galerie Aanant & Zoo schieden nach und nach aus, in den vergangenen Jahren betrieb Müller die Kunstsäle mit Unterstützung von Geraldine Michalke alleine weiter.

Die Ausstellung „Freitod" ist als Retrospektive aufgebaut und führt chronologisch durch die vergangenen Jahre. Der Eingangsbereich zitiert mit einer grell-gelben Tapete eine frühere Ausstellung. Zwei Räume weiter gibt es eine Miniatur-Version des Salon Populaire, die mittels einer Dia-Show an die Diskussionen von damals erinnert.

Solche Déjà-vus treffen auf ältere und ganz junge Werke. So kann man ein kleines Gemälde auf Holz der jungen Künstlerin Toni Mausberger entdecken, sich aber ebenso an den Werken alter Bekannter erfreuen, etwa an dem legendären Bonbonpapierhaufen „Candy Spills" von Félix González-Torres.


Die Räume sind leuchtend-orange, quietsch-gelb gehalten

Besonders überzeugend ist ein etwas ruhigerer, in Anthrazit getünchter Ausstellungsraum, der unterschiedliche Formen der Notation nebeneinanderstellt. Channa Horwitz systematisiert in ihren Zeichnungen die Abläufe einer Performance, Paula Döpfner arbeitet mit einem Text von Paul Celan, Phillip Lörsch zeigt die Dimensionen eines Bleistiftes.

Am Ende der Ausstellung werden die Besucher in einen orange-erleuchteten Raum geleitet. Eine Geste des Abschieds und ein weiteres Zitat: Ein ähnlicher Farbrausch hat 2017 die letzte Ausstellung der Galerie Aanant & Zoo begleitet.

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