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Vom Kaff inspiriert - WELT

Max Gruber alias Drangsal und seine Freunde werfen Steine auf Bierflaschen. Es sind nur noch wenige Stunden bis zum Konzert im Hamburger „Übel und Gefährlich". Die Band ist aufs Dach des Bunkers gestiegen, in dem sich der Klub befindet. Da ist nicht nur dieser tolle Blick über die Stadt im Abendlicht, sondern eben auch eine Menge Kies - und die Langeweile vorm Soundcheck.

Dieser jungenhafte Kerl, der sich über jeden Treffer freut, will auf den ersten Blick gar nicht zu seiner dunklen, erwachsenen Musik passen. Sein Debutalbum „Harieschaim" klingt, als sei es irgendwo zwischen Joy Division und The Cure in den 80er Jahren erschienen und jetzt wieder ausgegraben worden. Doch damals war Gruber noch gar nicht geboren.

Als Jugendlicher entdeckte der heute 23-Jährige den Sound des New-Wave- und Post-Punk-Jahrzehnts für sich - Synthieklänge, ein stark hallendes Schlagzeug. Musik, die an kalte Herbsttage und Kellerklubs in Großstädten denken lässt. Rein klanglich schon das Gegenstück zu Grubers Heimatort Herxheim bei Landau in der Südpfalz. „Die Initialzündung waren The Smiths", sagt er, den weichen Dialekt seiner Heimat, der aus jedem T ein D und aus jedem S ein ß macht, will oder kann er nicht verstecken. „Von da an habe ich mich jeden Tag in meinem Zimmer verschanzt und Musik gehört." Die langen Nachmittage im Kaff, plötzlich hatten sie einen Sinn.

Er flieht aus der Einöde, nach dem Abi nach Berlin, geistig schon viel früher in die Musik. Erlernt jedes Instrument, das ihm in die Finger kommt. Schlagzeug mit acht. Bass mit dreizehn. Gitarre kurze Zeit später, weil ein ebenfalls musikbegeisteter Freund eben keinen Bass hatte. Das erste Lied, das er spielen kann: „The Dope Show" von Marilyn Manson. „Wäre ich in Hamburg oder Berlin aufgewachsen, wäre es nicht dieselbe Musik geworden", sagt er. „Wenn es überhaupt Musik geworden wäre."

Grubers Inspirationen hört man so deutlich in seinen Songs, dass es unmöglich ist, ihn nicht darauf anzusprechen. Trotzdem tut er sich schwer mit dem Begriff der Referenz. „Es hört sich immer so an wie: Du hast dich bedient", sagt er, „dabei wird außer Acht gelassen, dass man selbst die Songs schreiben muss". Künstlerisch ist Drangsal eine Ausgeburt des unerschöpflichen Archivs an Inspirationsmöglichkeiten, das das Internet bietet. Dass aus Max Gruber Drangsal wurde, verdankt er nicht zuletzt der Zusammenarbeit mit dem Produzenten Markus Ganter. Er war es, der Drangsal dazu ermutigte, nicht nur englische, sondern auch ein deutsches Lied auf sein Album zu bringen. „In einem schwachen Moment habe ich Markus meinen Song ‚Will ich nur dich' gezeigt, und er meinte: Den nehmen wir auf." Die Songs auf „Harieschaim" sind das Ergebnis von Grubers Arbeit der letzten vier Jahre, ein Sammelsurium, das sicher auch dank der Zusammenarbeit mit Ganter eine klare klangliche Linie hat und sich konsequent abseits des Mainstreams bewegt.

Gegen den Mainstream nämlich hegt Gruber eine gewisse Abneigung. „Hauptsache nicht AnnenMayKantereit" - mit dieser Bemerkung löste er für Aufsehen, als er Anfang September den Preis für Popkultur in der Kategorie „Hoffnungsvolle/r Newcomer/in" entgegen nahm. „Ich habe nichts gegen AnnenMayKantereit persönlich", sagt er jetzt. „Nur gegen die leicht konsumierbare Art von Musik, für die sie stehen." Es ist mit Abstand die längste Antwort, die er gibt, das Thema scheint ihn sehr zu bewegen. Am Ende kann er sich eine bissige Bemerkung nicht verkneifen: „Viele Leute fanden den Satz scheiße, weil sie meinten, ich könne nicht gegen meine Kollegen hetzen. Aber ich empfinde nicht jeden, der eine Gitarre in der Hand hat, als Kollegen."

Gruber hat einen eigenen Kopf, auch das macht ihn zum prädestinierten Kritikerliebling. Ein etwas eigenbrötlerischer Typ mit kreativer Energie. Auf der Bühne stehen, das sei eigentlich gar nicht so sein Ding, sagt er. „Ich bin ein gemütlicher Typ, ich tüftle lieber zuhause und im Studio an neuen Songs." Tatsächlich wirkt er später beim Konzert nicht wie der große Performer. Manchmal wirbeln seine Arme durch die Luft, und man fragt sich: Ist das jetzt diese Understatement-Coolness unserer Zeit oder einfach Unsicherheit?

Vielleicht ist es auch nur die Portion Dorfjunge, die er niemals loswerden wird - und will. „Harieschaim" ist übrigens der altertümliche Name für where it all began - Herxheim bei Landau. Dort wird er heute erkannt - aber erst, seit die „Rheinpfalz" über ihn berichtete. Dass er sein Heimatdorf in jedem Interview als Kaff bezeichnet, nimmt ihm die Bürgermeisterin ein wenig übel.

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