Seit 2007 arbeitet das Projekt Heroes mit Jungen in Schulworkshops zu männlichen Rollenbildern. Es ist nach dem Mord an Hatun Sürücü entstanden.
BERLIN taz | „Sei ein Mann", das bekam Hamoudi von seinem Vater täglich zu hören, mitsamt einer konkreten Vorstellung davon, wie er das anstellen solle. „Gerader Rücken, und wenn jemand Stress macht, auf die Schnauze hauen."
Diese Denkweise hat Hamoudi aber nicht angenommen. Dabei geholfen hat ihm das Projekt Heroes, das mit Workshops an Schulen Jungen neue Rollenangebote machen möchte. Gegründet wurde es nach dem Mord an Hatun Sürücü, die 2005 von ihrem Bruder erschossen wurde.
Die Kernarbeit des Projekts besteht aus einer einjährigen Ausbildung in Form von Gesprächskreisen und Workshops. Am Ende ist jeder Teilnehmer zertifizierter Hero - ein Multiplikator, der dann selbst Workshops etwa zu Sexualität und Ehre in Schulklassen leitet: für Begegnungen auf Augenhöhe.
Eigene Meinung bildenDie Neuankömmlinge sind meist zwischen 16 und 20 Jahre alt. Hamoudi selbst ist seit 2012 dabei, auch er hat als Teenager in die Gruppe gefunden. Heute weiß der 26-Jährige, warum er sich so oft in Diskussionen zurücknahm, auch wenn er ganz anderer Meinung war. „Es gab vieles, das ich gegenüber meinen Eltern gern ausgesprochen hätte, mich aber nie getraut habe", sagt er. „Im Projekt habe ich gelernt, mir eine eigene Meinung zu bilden. Und wenn meine Eltern sie nicht teilen, sie trotzdem zu haben."
In den Workshops an Schulen arbeiten sie etwa mit folgendem Szenario: „Stellt euch vor, eure Schwester hat einen Freund." Ein tonangebender Schüler sagt dann, er würde seine Schwester umbringen. „Nicht alle Jugendlichen denken so", meint der Gruppenleiter Tayfun Guttstadt. „Viele trauen sich aber nicht, der dominanten Meinung auf dem Schulhof zu widersprechen. Dann hilft es, wenn unsere Jungs vorbeikommen und ganz klar sagen: Das sehe ich nicht so."
Wenn Hamoudi von seiner Gruppe spricht, fällt häufig das Wort Familie. Bei den regelmäßigen Treffen erzählen die Jugendlichen von ihren Problemen, tauschen sich aus. Dann reflektieren sie über Themen wie das Patriarchat, Sexualität und toxische Männlichkeit, also überkommene und schädliche Denk- und Verhaltensmuster von Männern - etwa die Annahmen, dass Männer ihre Macht durch Verbote demonstrieren müssen, dass die Schwester keinen kurzen Rock tragen soll und keinen Freund haben darf.
Manchmal stoßen Fachleute dazu. Eine Frauenärztin erklärt dann, warum das Konzept der Jungfräulichkeit aus medizinischer Sicht nicht haltbar ist und auf ein kulturelles und restriktives Verständnis von der Sexualität der Frau zurückgeht. An anderen Tagen begleiten Theaterpädagog:innen Rollenspiele. So sollen tradierte Rollenbilder aufgezeigt und im Anschluss gemeinsam mit den Schüler:innen diskutiert werden.
Über Rollenbilder redenIn den Workshops geht es oft darum, was Ehre für die Schüler:innen bedeutet. Ein Hero schlüpft dann zum Beispiel in die Rolle eines neuen Teamkameraden, die anderen aus seiner Fußballmannschaft können ihn gut leiden, denn er sorgt für Erfolg. Ob er sich den anderen anschließen möchte, später gehen alle feiern. „Es gibt geile Weiber, komm doch mit." Der Neue sagt, dass er schon mit seinem Freund verabredet sei. Na, dann soll er seinen Kumpel doch mitbringen. „Nein, kein Kumpel, ich bin schwul" - „Oh."
Danach folgt die Inszenierung eines gängigen Schlagabtauschs: Verurteilung, Ausgrenzung - Homophobie. Gruppenleiter Guttstadt sagt, die Jugendlichen würden sich meist auf ein kollektivistisches Selbstverständnis berufen, weil sie eine Minderheit innerhalb einer individualistisch ausgelegten Mehrheitsgesellschaft sind. Sie hätten meist nicht das Privileg, sich als eigenständige Person entfalten zu können, sondern unterliegen den Erwartungen ihrer sozialen Gruppe. Die Jugendlichen sagten oft nur: Ich bin Kurde. Ich bin Alevite. „Wir sagen dann: Hey, es interessiert mich nicht, was du denkst, wie du dich als türkischer Junge verhalten sollst. Du kannst auch einer sein, der sich freut, wenn seine Schwester verliebt ist."
Durchbrechen die Heros langfristig patriarchale Strukturen in den Köpfen? „Erst mal kümmern wir uns um die Jungs", sagt Guttstadt.