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Energiekrise in Ghana: Der tägliche Blackout

Plötzlich ist es dunkel und still. Die jungen Menschen, die sich extra für diesen Abend gestylt und ausgelassen zu R'n'B-Musik getanzt haben, bleiben ruhig auf der Tanzfläche stehen. Die Billardspieler an der Fensterfront halten kurz inne. Dann ziehen sie ihre Smartphones aus den Hosentaschen, leuchten auf Tisch und Kugeln - weiter geht's.


Es dauert ein paar Minuten, bis das grelle Licht und der laute Bass schlagartig zurückkehren. Der Generator ist angesprungen. Es ist Samstagabend kurz vor Mitternacht in Ghanas Hauptstadt Accra, der Stromausfall für viele hier nicht der erste an diesem Tag. Seit vier Jahren steckt das Land in einer Energiekrise. Die Ghanaer haben ein eigenes Wort dafür gefunden: Dumsor sagen sie, wenn es wieder einmal dunkel wird. Es setzt sich aus den beiden Wörtern für An und Aus der westafrikanischen Sprache Ga zusammen.


Es gibt einen Dumsor-Song und Dumsor-Apps - zum Beispiel die Dumsor-Taschenlampe fürs Handy. "Es sind nicht nur Stromausfälle, die gab es vorher auch schon. Diese Krise ist anders, schlimmer", sagt Noble Wadzah von der Organisation Oil Watch.


Die Regierung rationiert den Strom - Stadtteil für Stadtteil wird zum Beispiel in Accra die Versorgung für je zwölf Stunden abgestellt. Hinzu kommen die unangekündigten Blackouts. Das hat drastische Folgen für das Land. "Die Energiekrise trifft uns in allen Lebensbereichen, eigentlich ist sie auch eine Gesundheits- und Wirtschaftskrise", sagt Wadzah.


Insbesondere für kleine Unternehmen ist die Energiekrise eine Katastrophe. Autolackierer oder Lebensmittelläden sind vom Strom abhängig. Tagelange Blackouts zwingen sie, ihre Arbeit ruhen zu lassen, unterbrechen die Kühlketten und gefährden ihre Existenz. Wer es sich leisten kann, lässt während der Stromausfälle einen Dieselgenerator laufen. Die Kosten dafür sind häufig vier- bis fünfmal höher als die normale Stromrechnung.


Der Strombedarf wächst schneller als die Produktion

Fragt man nach den Gründen für die Krise, gibt es viele verschiedene Erklärungen: Die Regierung sieht eine Ursache in ausbleibenden Gaslieferungen aus Nigeria und den schwachen Regenfällen. Die Hälfte der einheimischen Stromproduktion kommt aus den Wasserkraftwerken in der Voltaregion, doch die Pegel sind zu niedrig. Eigene Erdgasvorkommen kann das Land nicht nutzen, weil die Aufbereitungsanlage noch nicht fertig ist.


Kritiker werfen der Regierung vor, in den vergangenen Jahren nicht auf das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum reagiert zu haben. Nach Protesten versprach Präsident John Dramani Mahama vom sozialdemokratischen National Democratic Congress (NDC) das Problem bis zu den nächsten Wahlen 2016 zu lösen. Dafür sollen unter anderem Kraftwerksschiffe aus der Türkei gemietet werden - eine teure Zwischenlösung.


Der Strombedarf wächst schneller als die Produktion. Energieminister Kwabena Donkor bezifferte die erforderliche Kapazität in diesem Jahr auf mehr als 2100 Megawatt (MW), zur Verfügung stünden jedoch nur knapp 1500. "Jedes Jahr steigt die Nachfrage - dem muss man erst einmal begegnen", sagt Steffen Behrle. Er ist Teamleiter der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit ( GIZ) in Accra und berät die ghanaische Regierung in Fragen zu erneuerbaren Energien.


Politik und Wirtschaft haben erneuerbare Energien wie Solar-, Wind- und Biomasse als eine Alternative erkannt. Bis 2020 sollen zehn Prozent des Strommixes aus diesen Quellen kommen. Ein ambitioniertes und kaum realisierbares Ziel der Regierung, bislang ist es nur ein Prozent.


Doch Noble Wadzah sieht die Krise auch als Chance: "Sie ist ein Weckruf, wir brauchen alternative Energiequellen." "Die Rahmenbedingungen in Ghana sind gut. Es gibt Wasserkraft, Wind, Sonne und Biomasse und dazu mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz auch attraktive Einspeisetarife", sagt Behrle. Das gerade erst verabschiedete Gesetz ähnelt dem deutschen EEG - es soll Investitionen in erneuerbare Energien attraktiver gestalten und so Investoren anlocken.


Hoffnung Biomasse

Umfangreiche Investitionen sind jedoch noch sehr selten. Das liegt auch an den hohen Zinsen von 20 bis 40 Prozent, die Banken für Kredite verlangen - wenn sie sie für erneuerbare Energien überhaupt gewähren. Ohne die Banken fehlt den Investoren das Kapital.


Insbesondere auf lokaler Ebene, für Unternehmen oder Privathaushalte ist Solarenergie eine Möglichkeit, sich gegen Stromausfälle abzusichern. Bislang sind es auch meist Privatleute, die Geld in eine Solaranlage stecken.


Sam Odoteye war 79 Jahre alt, als er beschloss, sich unabhängig von der Stromversorgung aus der Steckdose zu machen. "Das war die beste Entscheidung überhaupt", sagt er ein Jahr später. Er lebt in einem schicken Einfamilienhaus in Accra, die Solarpanels auf dem Dach sind von der Straße aus nicht sichtbar. Immer wieder kommen Freunde vorbei, die große Probleme mit der Stromversorgung haben. Odoteye zeigt ihnen dann die Anlage und die Batterien im Flur und erklärt geduldig, wie alles funktioniert. Die Solaranlage fasziniert ihn und seine Besucher - auch wenn von denen selbst noch keiner ein Solarpanel gekauft hat. "Ihnen fehlt das Kapital", sagt Odoteye.


In Kumasi, einer Millionenstadt vier Stunden nordwestlich von Accra, arbeitet Andreas Ahrenbog an einer anderen Lösung. Wenn er seinen Besuchern zeigen will, welches Potenzial Ghana bei der Energieerzeugung hat, führt er sie zu den alten Sägewerken von Kumasi. Hinter den großen, teilweise verfallenen Hallen liegt ein hügeliges Feld. Der Boden ist dunkel und weich, mehrere Meter ist die Schicht aus Sägespänen an manchen Stellen dick. Alle paar Meter steigen zwischen den niedrigen Palmen Rauchschwaden auf. Hunderte Männer und Frauen verbrennen hier die Holzreste aus den Fabriken. Keine besonders umweltschonende Entsorgung.


Beste Qualität, sagt Ahrenbog und deutet auf einen Holzhaufen aus Schnittresten und Sägespänen. Hier gibt es jedoch keine Verwendung für diesen Abfall - lediglich eine Firma stellt aus den Resten Brennhölzer her. "Wenn diese Biomasse energetisch verwertet und Elektrizität damit erzeugt würde, wäre dies ein enormer Beitrag zur Deckung der Energieversorgung für das Land", sagt Ahrenbog, der ebenfalls für die GIZ vor Ort ist. Insgesamt bleiben jedes Jahr in Ghana eine Millionen Tonnen Abfall aus der Land- und Forstwirtschaft ungenutzt: Holz, Cashew- oder Kakaoschalen. Der Umweltwissenschaftler arbeitet deshalb an einer Lösung, wie die Biomasse genutzt werden könnte.


Läuft alles nach Plan, soll in Kumasi bis Ende 2017 das größte Biomasse-Kraftwerk Westafrikas entstehen. Der Standort ist ideal: Mitten in der Millionen-Stadt gibt es das Wood Village, 2000 Schreiner arbeiten dort in großen Hallen und produzieren jeden Tag 150 Tonnen Holzabfall der direkt im Biomassekraftwerk landen könnte.


Dazu kommen Cashew- und Kakao-Schalen von Farmern aus der Umgebung. Ein ghanaischer Geschäftsmann ist bereit, Millionen in das Biomassekraftwerk zu investieren. Ahrenbog ist optimistisch, dass das Projekt realisiert wird: "Bei Erfolg wäre es eine Blaupause für weitere Biomassekraftwerke", sagt er. Davon könnten dann auch andere Länder in Westafrika profitieren.


SPIEGEL ONLINE 2015
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