Birk Grüling

Wissenschaft für kleine und große Leser:innen, Buchholz

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Der Russe kommt

Er verprügelt Amerikaner und liebt Putin: Alexander Rusev ist der böseste Bösewicht im Wrestling. Die Show im Ring braucht klare Feindbilder - und internationale Konflikte liefern die Vorlage.

Die Choreografie des Bösen sitzt. Alexander Rusevs Augen funkeln wild entschlossen. Schnaufend schiebt er das Kinn nach vorne, seine bullige Brust bebt. Er sitzt auf dem Rücken seines Gegners, Jack Swagger heißt der, ein blonder Hüne, Kampfname „The Real American". Rusev umfasst Swaggers Kopf, reißt ihn nach hinten und stemmt seine 140 Kilogramm gegen den letzten Widerstand. Sekunden später gibt Swagger auf. Der Schiedsrichter im gestreiften Hemd reißt den Arm in die Höhe: Rusev hat gewonnen. Loslassen will Rusev trotzdem nicht. Ein echter Bösewicht kennt keine Regeln.

Kann gut böse sein: Alexander Rusev

Seit etwas mehr als einem Jahr spielt Alexander Rusev, 29 Jahre alt, den bösen Russen im amerikanischen Wrestling-Zirkus. Woche für Woche immer dasselbe Bild: Rusev macht sie alle fertig, zwingt immer stärkere Gegner zur Aufgabe. Nach seinen Siegen übertönt Marschmusik das buhende Publikum. Rusev schüttelt dazu das schweißnasse lange Haar und stößt seinen animalischen Siegesschrei aus, ein langgezogenes „Aaaahh", Worte sind nicht nötig. Mit einem Knall entrollt sich die russische Fahne von der Decke, manchmal erscheint auch ein Bild von Wladimir Putin auf dem Videowürfel. Rusevs wasserstoffblonde Managerin Lana schreitet im knappen Kostüm durch den Ring und preist mit schrägem Akzent die russische Nation und ihren Präsidenten. Und natürlich ihren Rusev, „The Super Athlete". Putin und er, sie seien den USA weit überlegen. „USA! USA! USA!", antwortet das Publikum. Der Hass in der Halle erreicht seinen Höhepunkt.

Wrestling ist ein Destillat der Stimmung im Land

Niemand schlachtet den Konflikt zwischen den USA und Russland derzeit so genüsslich und überzeichnet aus wie das US-Wrestling-Unternehmen „World Wrestling Entertainment", kurz WWE. Rusevs Gegner sind immer Amerikaner durch und durch. Jeder seiner Kämpfe ist deshalb auch eine Niederlage für Amerika, die Supermacht. Immer sehnsüchtiger wartet das Publikum in der Halle und vor den Fernsehern auf den Fall des bösen Russen und den Triumph der USA.

Natürlich ist das alles nur Show und Kalkül - ein übertriebenes Spektakel für ein bierseliges Publikum, das leichte Unterhaltung will und sonst nichts. Gerade deshalb ist es aber interessant. Wrestling erzählt die Geschichten, die die Masse in den USA hören will, und zwar möglichst simpel in das Schema Gut-gegen-Böse gepresst. Das bringt Einschaltquoten und ausverkaufte Hallen und sichert den weltweiten WWE-Jahresumsatz von rund einer halben Milliarde US-Dollar. Wrestling ist ein Destillat der Stimmung im Land, wer dort zuschaut, blickt direkt in die Seele des Volkes. Und gerade ist diese Seele voller Hass gegen den bösen Alexander Rusev.

„Nichts ist schlimmer als Gleichgültigkeit im Publikum", sagt Philipp Kutzelmann. Der Münchner Kulturhistoriker hat sich ausgiebig mit dem US-Wrestling beschäftigt und ein Buch über dessen kulturelle Bedeutung in den USA geschrieben. „Es braucht klare Helden und Feindbilder. Das gilt für Hollywood genauso wie für Wrestling."

Bei der Entwicklung der Charaktere und ihren Geschichten lassen sich die WWE-Macher immer wieder von der Popkultur und aktuellen Ereignissen beeinflussen und versuchen so den Zeitgeist zu treffen. Eines der prominentesten Beispiele dafür ist der Aufstieg von Wrestling-Legende Hulk Hogan Mitte der Achtzigerjahre. Auf dem Höhepunkt der amerikanisch-iranischen Spannungen und während des Ersten Golfkriegs besiegt der damals noch unbekannte Hogan den monatelang ungeschlagenen Iron Sheik, einen Iraner mit Schnauzbart und Kopftuch. Auch böse Russen haben eine lange Tradition im amerikanischen Wrestling. Ende der Achtzigerjahre betreten zwei Hünen mit dem Ringnamen „The Bolsheviks" äußerst erfolgreich die Wrestling-Bühne. „Das Aufbauen einer „ausländischen" Gefahr ist ein bewährtes Mittel, um ein patriotisches Wir-Gefühl zu schaffen. Und es wird gerne dazu verwendet, um einen neuen amerikanischen Helden zu stilisieren", sagt Kutzelmann.

Vor etwa einem Jahr lieferte das politische Geschehen in Europa wieder eine Steilvorlage für die Seifenoper im Ring. Russland annektierte die Krim-Halbinsel, im Osten der Ukraine rissen prorussische Separatisten die Macht an sich. Die Krise weitete sich zu einem Bürgerkrieg aus. Westliche Staaten und die Nato sind überzeugt, dass Russland direkt in den Konflikt in der Ostukraine involviert ist, die EU und die USA belegten Russland mit Sanktionen. Vor allem Konservativen in den USA ist das nicht genug. Die Stimmung erinnert an die Zeiten des Kalten Kriegs

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