Birk Grüling

Wissenschaft für kleine und große Leser:innen, Buchholz

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Downsyndrom bei Kindern: "Wir wollen Eltern Mut machen"

Frau Mars, wie haben Sie sich gefühlt, als plötzlich die Diagnose "Downsyndrom" im Raum stand?

Am zweiten Tag nach der Geburt erzählten uns die Ärzte von ihrem Verdacht. Das war im ersten Moment ein Riesenschock und es flossen auch einige Tränen. Dazu kam, dass wir die ersten Tage nach der Geburt auf der Intensivstation verbringen mussten. Ich habe mich unheimlich alleingelassen und hilflos gefühlt. Wie sollte es jetzt weitergehen? Kurz brach meine ganze Welt zusammen.

Bemerkenswert fand ich die Reaktion meines Mannes. Er hat kurz nach der endgültigen Diagnose gesagt: "Das ist doch toll. Meine Tochter passt nicht in die Norm." Er ist selbst Künstler und eckt gerne an. Es fiel ihm deutlich leichter, die Diagnose anzunehmen und als Chance zu betrachten. Seine Haltung hat mir unheimlich viel Kraft gegeben. Spätestens bei der Entlassung haben wir beide nur noch nach vorne geblickt und uns gefragt, wie wir nun das Leben unserer Tochter gestalten können. Natürlich gibt es viele Eltern, bei denen dieser Prozess des Annehmens und Nachvorneblickens länger dauert. Ihnen möchte ich mit dem "Von Mutter zu Mutter"-Magazin helfen.

Können Sie etwas über die Entstehung des Projektes erzählen?

Wie schon gesagt, im ersten Moment war ich völlig überfordert mit dieser Diagnose. Wir bekamen zwar schnell Broschüren über die Behinderung und Flyer von Selbsthilfegruppen. Wirklich geholfen hätte mir aber eine andere Mutter mit einem Kind mit Downsyndrom, die berichten kann, was auf uns zukommt. Klar, solche Erfahrungsberichte gibt es auch im Internet. Aber wir haben uns bewusst gegen Googeln entschieden. Wir wollten nicht in Panik verfallen.

Diese Erfahrungen waren der Ausgangspunkt für "Von Mutter zu Mutter". Ich wollte Stimmen von Müttern sammeln, die Eltern nach der Diagnose Mut machen und ihnen vermitteln, dass es vielleicht anders wird als gedacht, aber dass diese Behinderung kein Weltuntergang ist. Das Heft soll aber kein Ratgeber sein, keine Anleitung dafür, wie man sich fühlen soll. Es sind authentische Briefe von Müttern an ihr Ich zum Zeitpunkt der Diagnose mit dem Wissen von heute.

Was würden Sie heute Ihrem Ich am Tag der Diagnose sagen?

In meinem Brief steht, dass alle Gefühle, alle Ohnmacht, alle Wut, alle Traurigkeit erlaubt und in Ordnung sind. Es ist völlig verständlich, zu trauern, zu weinen und große Angst vor der Zukunft zu haben. Gleichzeitig würde ich mir Mut machen. Über viele Ängste der ersten Stunden kann ich heute lächeln. Ich würde von meinem Freudentanz erzählen, als Tilda das erste Mal ihren Kopf hob. Nach dem ersten Krabbeln haben wir spontan eine Party in der Küche gefeiert. Meine Tochter hat viele Menschen berührt. Sie hat mich gelehrt, viele Dinge anders zu sehen, weniger Vorurteile zu haben und stärker auf die kleinen Dinge im Leben zu achten. Und genau das würde ich meinem Ich damals mit auf den Weg geben.

Kurz nach der Diagnose hätte ich mich am liebsten unter die Decke versteckt und etwas gelesen, was in diesem Moment wie eine Umarmung einer guten Freundin wirkt. Genau diesen Trost würde ich gerne mit dem "Von Mutter zu Mutter"-Magazin spenden. Deshalb habe ich auch eine Vision: Und zwar drückt der Arzt oder die Hebamme unser Heft der Familie direkt nach der Diagnose in die Hand, zusammen mit allen anderen medizinischen Informationen und Adressen für Selbsthilfegruppen.

Ja, der Alltag wird anders, aber es wird auch vieles gut und besser, als wir uns das im ersten Moment ausmalen.

Das Leben mit einem Kind mit Behinderung ist ja nicht nur sorgenfrei. Gerade das Downsyndrom bringt ja einige gesundheitliche Probleme mit sich - häufige Lungenentzündungen oder angeborene Herzfehler. Kommen auch solche Momente in dem Heft vor?

Natürlich wollen wir nichts beschönigen. Wir haben zum Beispiel den Brief einer Mutter im Heft, deren Tochter mit einem schweren Herzfehler zur Welt kam und heute künstlich ernährt werden muss. Auch über die Sorge, keine Beziehung zum Kind aufbauen zu können, schreiben gleich mehrere Mütter. Auch die ständige Angst um das eigene Kind wird nicht ausgespart.

Gleichzeitig geht es natürlich nicht vorrangig darum, einen differenzierten Blick in die Zukunft zu schaffen. Gerade zu Themen wie Schule, berufliche Zukunft oder Inklusion in der Gesellschaft können wir natürlich noch nicht viel schreiben. Das ist aber auch gar nicht der Anspruch des Heftes. Wir wollen den Eltern in den ersten Momenten Mut machen. Ja, der Alltag wird anders, aber es wird auch vieles gut und besser, als wir uns das im ersten Moment ausmalen.

Tilda mit dem Magazin "Von Mutter zu Mutter". © Quelle: Von Mutter zu Mutter

Welche Erfahrungen haben Sie mit Inklusion gemacht?

Bisher kaum negative! Gerade mit den anderen Müttern aus dem Geburtsvorbereitungskurs hatte ich anfangs viel Kontakt. Wir besuchten zusammen auch zwei Schwimmkurse. Dort waren wir wie in allen anderen Babykursen immer willkommen. Wenn mal eine Übung für Tilda nicht passte, haben wir einfach etwas anderes gemacht. Nur bei einem Babymassagekurs war die Reaktion etwas komisch. Die Kursleiterin hat einen großen Wirbel um Tilda gemacht und uns gedankt, dass wir hier sind. Das war mir absolut zu viel, Inklusion ist für mich eher Normalität. Zum Glück war das die Ausnahme. Zum Beispiel geht Tilda seit ein paar Monaten zur Tagesmutter. Diese hatte vorher keine Erfahrung mit Kindern mit Behinderung und behandelt meine Tochter wie alle anderen Kinder. Das klappt ganz wunderbar und macht mich sehr glücklich.

Woher kamen die anderen Mütter im Magazin?

Ich habe schnell nach der Geburt Instagram für mich entdeckt. Dort gibt es neben vielen Hochglanzeltern auch authentische Einblicke in den Familienalltag mit einem zusätzlichen Chromosom. Ich habe dort auch schnell Kontakt zu anderen Müttern gefunden und wir tauschen uns regelmäßig aus - zum Beispiel über Frühförderung, Therapien oder die Wahl des Kindergartens. Ein paar dieser Mütter aus meiner Timeline habe ich gefragt, ob sie nicht Lust hätten mitzumachen. Sie waren sofort begeistert und mit voller Leidenschaft dabei. Gleiches gilt übrigens für viele andere Helfer und Helferinnen. Eine Freundin von mir hat unentgeltlich das Layout übernommen. Über 8000 Euro Spenden finanzierten die erste Auflage mit 5000 Heften. Außerdem haben wir über 160 Unterstützerinnen, die unser Magazin bei Frauenärzten, Geburtsstationen und Hebammen in Deutschland verteilen. Viele von ihnen haben selbst ein Kind oder Geschwister mit Downsyndrom oder arbeiten im Sozialwesen.

Richtet sich Ihr Magazin nur an Eltern von Kindern mit dem Downsyndrom?

Ja. Mir haben schon mehrere Mütter geschrieben, deren Kinder andere Formen von Behinderung haben und die auch gerne einen solchen Brief beigesteuert hätten. Die Idee klang anfangs reizvoll, aber ich habe sie bald wieder verworfen. Heute weiß ich natürlich viel über Inklusion und Behinderungen. Aber kurz nach der Geburt hätten mich Erfahrungsberichte über viele verschiedene Behinderungen völlig überfordert. Deshalb wollte ich den Fokus im ersten Heft auf das Downsyndrom legen. Aber natürlich wäre es durchaus denkbar, das "Von Mutter zu Mutter"-Konzept auf andere Behinderungen oder spätere Lebensphasen zu übertragen. So kamen zum Beispiel auch schon Lehrkräfte auf uns zu, die sich ein solches Format zur Sensibilisierung für das Thema Inklusion vorstellen könnten. Aber das ist bisher Zukunftsmusik und kaum mehr als kühne Visionen.

Über Lara Mars

Lara Mars (33 Jahre) ist Marketingmanagerin in einem IT-Unternehmen. Sie näht fast alle Anziehsachen ihrer Tochter selber, ist kürzlich zur Gemüsegärtnerin geworden und schreibt auf Instagram über die Herausforderung sowie Wunder des Lebens mit Downsyndrom. Das Thema Inklusion oder Behinderung spielte vor der Geburt der Tochter überhaupt keine Rolle in ihrem Leben.

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