Wie jeden Morgen macht Susanne Müller-Dornieden ihren Rundgang - vorbei am Babylotsen-Postfach gleich neben dem Kreißsaal, durch die langen, weißen Flure der Geburtenstation, mit kurzem Halt am Schwesternzimmer. Hier herrscht geschäftiges Treiben. Das Telefon klingelt, Schwestern sitzen über Papieren, man bespricht die Geburten der Nacht. Für ein kurzes Hallo bleibt doch Zeit.
Babylotsen beraten Eltern vor und nach der GeburtDie 38-Jährige ist eine von drei Babylotsen im Hamburger Marienkrankenhaus. Hier, in der größten Geburtsklinik der Stadt, kommen pro Jahr rund 3700 Babys zur Welt. Für die meisten Eltern ist der Start ins oder der Zuwachs fürs Familienleben aufregend und schön. Auch an diesem Morgen schiebt eine selig-lächelnde Mutter ihr Neugeborenes im Bettchen über den Flur vor dem Schwesternzimmer, eine Großmutter mit Teddy unter dem Arm blickt suchend auf die Zimmernummern.
Doch abseits der Anfangseuphorie bedeutet ein Kind auch viele Veränderungen. „Nicht für alle Eltern ist das Familienglück ungetrübt. Umso wichtiger ist es, dass sie von Anfang an jede Unterstützung bekommen, die sie brauchen", sagt die Diplom-Pädagogin. Genau das ist ihre Aufgabe als Babylotsin. Sie berät Familien vor und nach der Geburt und vermittelt ihnen passende Unterstützung. In ihrer Datenbank hat sie die Nummern von mehr als 400 Netzwerkpartnern. Die Regale ihres kleinen Beratungszimmers sind randvoll mit Flyern von Elternschulen, Hebammensprechstunden und Sozialberatungsstellen.
Babylotsen als vorbeugender KinderschutzDie Idee der Babylotsen stammt von dem Hamburger Kinderarzt und Gründer der Seeyou-Stiftung Sönke Siefert. Sein Ziel: ein vorbeugender Kinderschutz und die frühe Gesundheitsförderung von Kindern, vor allem aus Familien, die durch Arbeitslosigkeit, Trennung oder Krankheit besonders belastet sind. 2007 startete das Programm am Hamburger Marienkrankenhaus und wurde schnell zum „Exportschlager". Heute gibt es in fast 40 Geburtskliniken und fast 30 Arztpraxen in sieben Bundesländern Babylotsen. Laut eigenen Angaben steht das Angebot jährlich über 70 000 Familien kostenlos zu Verfügung.
Im Hamburger Marienkrankenhaus wird bereits bei der Anmeldung zur Geburt auf das Beratungsangebot hingewiesen. Ein zusätzlicher Fragebogen erörtert, ob die Mutter alleinerziehend ist, ob sie raucht oder es in der Familie wirtschaftliche Probleme oder Suchterkrankungen gibt. Die Eltern können auch eigene Beratungswünsche notieren. Zusätzlich weisen Schwestern und Hebammen die Babylotsen auf möglichen Unterstützungsbedarf bei den Familien auf Station hin. Zum Beispiel wenn eine Mutter kaum Körperkontakt zu ihrem Kind sucht oder kaum auf Weinen reagiert. Ob die Eltern die Hilfe der Babylotsen in Anspruch nehmen, entscheiden sie selbst - das Angebot ist für sie nicht nur kostenlos, sondern auch freiwillig.
Babylotsen bieten auch bürokratische UnterstützungAuf Ablehnung oder Hemmungen stoßen Müller-Dornieden und ihre Kolleginnen jedoch selten. „Die meisten Familien sind für jede helfende Hand dankbar, gerade wenn es keine Großeltern oder Verwandte in der Nähe gibt", sagt sie. Viele Mütter und Väter freuen sich deshalb auch, wenn die Pädagogin ein, zwei Tage nach der Entbindung auf der Station vorbeischaut und Fragen beantwortet. Und die sind so vielfältig wie die Familien selbst. Ein Klassiker in Hamburg: Kurz vor der Geburt wird noch händeringend eine Nachsorgehebamme gesucht. Zaubern kann Müller-Dornieden natürlich nicht, aber sie kennt genug Einrichtungen mit offenen Hebammen-Sprechstunden.
Auch der Papierkram nach der Geburt überfordert viele Eltern. Sie wollen wissen, wie man Eltern- und Kindergeld beantragt, welche Papiere vom Standesamt geholt werden müssen oder wie die Vaterschaft anerkannt wird. Oft belasten zusätzlich finanzielle Probleme oder Konflikte in der Partnerschaft die jungen Familien. Dann hilft Müller-Dornieden bei der Beantragung von Wohngeld oder vermittelt einen Termin mit einer kostenlosen Schuldner- oder Eheberatung.
Manchmal müssen sie auch weitergehen und zum Beispiel das Jugendamt verständigen, wenn das Kindeswohl durch Sucht, Gewalt oder Wohnungslosigkeit gefährdet ist - dies jedoch immer mit Kenntnis und meistens auch mit dem Einverständnis der Eltern. Zusätzlich gibt es seit knapp anderthalb Jahren das Angebot der psychosozialen Kurzintervention. Dabei begleitet eine speziell ausgebildete Babylotsin Familien mit komplexen Problemen über einige Wochen, oft sogar mit Hausbesuchen.
Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, sind die Babylotsen kein Projekt für „sozial benachteiligte" Familien. „Wir beraten nicht nur Familien, die psychische oder soziale Schwierigkeiten haben. Auch gut vorbereitete Akademikerfamilien stoßen immer wieder auf Schwierigkeiten", sagt sie. Erst vor wenigen Wochen half sie einer Mutter aus bester Wohnlage. Sie war erst vor Kurzem nach Hamburg gezogen, ihr Mann war oft auf Dienstreise. Nun hatte die junge Mutter große Angst, keinen Anschluss zu finden. Zum Glück war schnell ein passender Babykurs ganz in der Nähe gefunden.
Von RND/Birk Grüling