Birk Grüling

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Intelligenten Wohnungen gehört die Zukunft

Betreutes Wohnen wird künftig anders aussehen. Statt eines Pflegers ist dann der Techniker gefragt, denn in Zukunft werden Badezimmerspiegel, Wohnzimmerteppich und Küchenschrank miteinander "reden". Von Birk Grüling

"Guten Tag", spricht Serge Autexier in das Headset. "Guten Tag", kommt die prompte Antwort der Computerstimme. Jetzt kann der Forscher die kleine Laborwohnung im ersten Stock des Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz mit seiner Stimme steuern. Der Rollstuhl "Rolland", die beiden kleinen Zimmer, die Küchenzeile und der schmale Flur mit den Schiebetüren - die gesamten 60 Quadratmeter sind miteinander vernetzt.

Ein Beamer wirft den Grundriss der Wohnung an die Wand, eingezeichnet sind alle Lampen, Türen und Einrichtungsgegenstände. "Ich möchte eine Pizza essen", sagt Autexier. Der Rollstuhl setzt sich automatisch in Bewegung und rollt für die Tiefkühlpizza in Richtung Kühlschrank. Jetzt fehlt eigentlich nur noch der Teller.

"Fahre den Geschirrschrank nach unten" lautet der Befehl und schon senkt sich der Geschirrschrank auf eine rollstuhlgerechte Arbeitshöhe. Autexier lächelt zufrieden. Zusammen mit Kollegen und Studenten arbeitet er an der seniorengerechten Wohnung der Zukunft. "Ambient Assisted Living, kurz AAL, nennt man die technisch-unterstützende Wohnung, die Senioren helfen soll, möglichst lange ein selbstständiges Leben zu führen", erklärt er. Der Bedarf für die unterstützende Technik nimmt zu. Grund dafür ist der demografische Wandel. Bis 2050 wird sich die Zahl der Über-80-jährigen verdreifachen, von knapp vier auf zehn Millionen.

So lange wie möglich in der Wohnung

Die modernen Senioren wollen solange wie möglich in der eigenen Wohnung bleiben. Gleichzeitig erschweren die Lebens- und Arbeitsumstände der Kindergeneration die Betreuung der Angehörigen. In der Pflege herrscht schon heute ein Fachkräftemangel, also muss die intelligente Wohnung in der Zukunft bei der Bewältigung des Alltags helfen.

In Bremen versucht man genau diesen Alltag zu simulieren. Wie finden sich zwei Rollstühle in der kleinen Wohnung zurecht? Wie kann ich den Toilettengang in der Nacht mit der Beleuchtung besser begleiten? Wie hält man die Bedienung der einzelnen Komponenten möglichst einfach? Neben der Sprachsteuerung lässt sich die Seniorenwohnung beispielsweise per Tablet "befehligen": Mit einem Wischen geht das Licht an, die Türen öffnen sich oder die Heizung wird wärmer. Seniorenhandys mit übergroßen Knöpfen haben dieser Vision kein Platz.

Die Senioren der Zukunft sind den Umgang mit Tablet und Smartphone längst gewöhnt. Für die Entwicklung von AAL-Angeboten sicher ein Vorteil, denn die Berührungsängste in Sachen Technik nehmen bei den Senioren ab, vor allem wenn der Nutzen für den eigenen Alltag offensichtlich ist. Besonders ältere Frauen interessieren sich laut einer Umfrage der Johanniter-Unfall-Hilfe für die AAL-Angebote. Trotzdem gibt es auch für die Forscher noch ein paar offene Fragen zu der Benutzung.

Teppich meldet Sturz

Zu der vernetzten Seniorenwohnung der Zukunft gehört auch die Beobachtung des Alltags. Der intelligente Bodenbelag registriert beispielsweise sofort, wenn ein Mensch gestürzt ist und sendet ein Notsignal an die Angehörigen oder den Pflegedienst. Die Sensoren sind dabei sensibel genug, um den Sturz von einer Verschnaufpause auf dem Teppich zu unterscheiden. Mit Bewegungsmeldern lässt sich außerdem feststellen, ob der betagte Bewohner aus dem Bett aufgestanden und ob er abends vom Spaziergang zurückgekehrt ist.

Auch typische Gefahrenquellen im Alltag lassen sich minimieren. Vergessene Herdplatten und Wasserhähne erinnern den Bewohner ans Ausschalten oder stellen sich gleich selbst ab. Auch die Koordination von Lüften und Heizen könnte die Wohnung vollautomatisch übernehmen. Selbst eine körpernahe Sensorik zum Messen von Herzschlag, Blutdruck und Zuckerwerten wäre denkbar. Der Gedanke einer solchen Vollüberwachung gefällt dabei nicht jedem. "Wir setzen bewusst nicht auf Kameras in der Wohnung, sondern nur auf Sensoren. Außerdem machen wir uns viele Gedanken darüber, wie man mit den gesammelten Daten umgeht", sagt Autexier.

Als Überwachung sehen die Bremer Forscher ihre Ideen nicht, sondern sprechen lieber von "Monitoring". Ein mögliches Modell dafür sehe folgendermaßen aus: Die Sensoren geben die Daten aus der Wohnung nur an Vertrauenspersonen weiter, der Pflegedienst bekommt dagegen nur eine Notfallversion und zusätzlich schützt eine Firewall die persönlichen Daten. "Jeder sollte außerdem für sich entscheiden können, wie viel Daten er preisgibt und wie viel Technik er in seiner Wohnung braucht", sagt er.

Zuschuss von der Krankenkasse?

Ein weiterer ungeklärter Punkt ist die Übernahme von Umbaukosten durch die Krankenkassen, dabei ließen sich erste Systeme schon heute einbauen. Ein Lokalisierungssystem samt Sturzmelder im Boden kostet beispielsweise rund 60 Euro pro Quadratmeter. "Bei einem Neubau ist eine solche Installation problemlos. Wer seine alte Wohnung umrüsten möchte, muss richtig investieren. Dazu gehört auch die Neuverkabelung der Wohnung", erklärt Autexier. Noch übernehmen Krankenkassen die Kosten dafür nur in Ausnahmefällen.

Langfristig könnte sich das ändern, denn die stationäre Unterbringung der Senioren ist deutlich teurer. Auch Wohnungsbauunternehmen könnten langfristig mit einer entsprechenden Ausstattung den Wert ihre Immobilien heben. "In Weiterstadt wurden gerade Eigentumswohnungen mit AAL-Systemen gebaut. Laut dem Makler war die Nachfrage extrem groß", erzählt Reiner Wichert, Sprecher der Fraunhofer Allianz "Ambient Assisted Living". Wie lange es dauern wird, bis sich die intelligenten Wohnungen flächendeckend am Markt etabliert haben, kann der Experte nur grob schätzen.

"Viele Anbieter entwickeln ihre Angeboten kontinuierlich weiter. Gleichzeitig wartet man auf einen Boom am Markt, mit dem die Preise fallen und das Interesse des Otto-Normal-Verbrauchers zunimmt." Entscheidet könnte dabei die Positionierung sein. In der Fraunhofer Allianz sieht man die Zielgruppe für intelligente Wohnungen längst nicht nur auf Senioren beschränkt. Auch Familien und Singles sind als Zielgruppe interessant. So gehören Lösungen zur Vermeidung des plötzlichen Kindstods bei Neugeborenen ebenfalls zu den AAL-Technologien.

Vernetzung von mehreren Häusern

"Ein sehr relevanter Bereich ist schon heute die Energieeffizienz", sagt Wickert. Knapp 40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs gehen auf das Konto von Gebäuden. Diesen Anteil wollen Bauexperten mittelfristig senken, gerade im Hinblick auf steigende Strompreise.

Die Ansätze sind dabei vielfältig: Die Häuser der Zukunft gewinnen durch Solarmodule und Brennstoffzellen Strom, Wärmepumpen unterstützen die Heizung und intelligente Blockheizkraftwerke versorgen ganze Wohnblocks mit Elektrizität und Wärme.

Denkbare ist auch eine stärkere Vernetzung der Häuser untereinander. Produziert das eigene Haus überschüssigen Strom, kann man ihn entweder speichern oder an die Nachbarn weitergeben. So lassen sich Schwankungen in der Energieerzeugung ausgleichen. Auch die Wohnungen selbst können sich an den Lebensrhythmus ihrer Bewohner anpassen. Sensoren sorgen für eine angenehme Raumtemperatur, koordinieren das Lüften und Heizen der Räume und verhindern unnötigen Stromverbrauch durch angelassene Haushaltsgeräte und vergessenes Zimmerlicht. Natürlich lassen sich alle Funktionen des Hauses per Smartphone oder Tablet steuern. Eine SMS von der Arbeit genügt und das Haus bereitet sich auf den gemütlichen Feierabend vor.

Wohnlabor "Living Place"

Wie dagegen die Wohnung der Zukunft für technikbegeisterte Menschen mit dem nötigen Kleingeld aussieht, kann man im Wohnlabor "Living Place" an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg bestaunen. Großzügige 130 Quadratmeter hat das Loft in einer ehemaligen Hausmeisterwohnung. Küche, Schlaf- und Wohnzimmer gehen fließend ineinander über, die Wände sind nüchtern Weiß gehalten und die Designmöbel sorgen für moderne Wohnatmosphäre.

"Neben der Unterstützung von Menschen mit Handicap ist der Komfortbereich ein wichtiger Wachstumsmarkt für intelligentes Wohnen", sagt Kai von Luck, Professor für Informatik an der HAW. Zusammen mit 30 Kollegen und Studenten entwickelt er die Annehmlichkeiten des Lofts. Die ganze Wohnung ist mit Kameras und Mikrofonen ausgestattet, von einem Kontrollraum aus können die Wissenschaftler so jeden Wohnversuch mit Probanden genau auswerten.

Im Living Place selbst sieht man von der Verkabelung wenig, die Haushaltsgeräte und Sensoren kommunizieren drahtlos miteinander. "Unter dem Parkett befindet sich ein Hohlraum für die Kabel. Insgesamt agieren 150 Hotspots miteinander. Allein für den Alltagsbetrieb nutzen wir zwei Sendekanäle der Hochschule", erklärt er.

Spiegel mit integriertem Display

Eines der neuesten Projekte im Living Place ist ein Spiegel mit eingebautem Display. Beim Zähneputzen könnte hier ein Nachrichtenticker, der persönliche Terminplan und der Wetterbericht durchlaufen, alles gesteuert durch Gesten. "Ein Touchscreen wäre beim Zähneputzen unsinnig", sagt von Luck und lächelt. Bisher ist der Spiegel noch mit einem Rechner verkabelt und längst nicht bereit zum Einzug in das Testloft.

Dort warten dafür schon ganz andere Technikspielereien auf den Besucher - ein fast zwei Meter großer Tisch mit Touchscreen zum Beispiel. Neben dem Frühstücksteller kann man darauf bequem im Internet surfen, beim Tomatenschneiden noch einmal das Rezept nachsehen oder die gesamte Wohnung samt Kaffeemaschine, Heizung und Licht steuern. "Viele dieser Dinge haben das Potenzial, die Nachbarn zu beeindrucken", bringt der Informatiker den Hauptzweck mit einem Augenzwinkern auf den Punkt.

An Ideen mangelt es den Forschern dafür nicht. Mit leuchtenden Augen erklärt von Luck den intelligenten Wecker der Zukunft. Anhand des Terminkalenders und dem Weg zur Arbeit entscheidet dieser über die richtige Aufstehzeit, natürlich wird die aktuelle Verkehrslage mit einbezogen. Sensoren in der Matratze registrieren, wenn der Körper in die Aufwachphase übergeht und geben der Kaffeemaschine rechtzeitig Bescheid. Statt eines lauten Klingelns wird man sanfter Musik geweckt, perfekt angepasst an die eigene Herzfrequenz.

Gemeinsame Plattform nötig

Eine letzte Hürde auf dem Weg zur intelligenten Wohnung ist die Zusammenführung all dieser einzelnen Anwendungen. Bisher fehlt ein solcher Standard, der alle Haushaltsgeräte, die Lichtsteuerung und andere Anwendungen verbindet.

An einer globalen und semantischen Plattform namens universAAL arbeitet man in der Fraunhofer Gesellschaft. "Mit unserem Konzept sollen allen Komponenten innerhalb der Wohnung miteinander kommunizieren können. Kommt eine Funktion hinzu, wird sie problemlos integriert, und zwar herstellerübergreifend", erklärt Wichert.

Noch ist das Zukunftsmusik. Meist gibt es für steuerbare Haushaltsgeräte verschiedener Herstellern nur einzelne, spezialisierte Apps, und für die Verknüpfung sind noch Programmierkenntnisse nötig. "Langfristig muss eine gemeinsame Plattform entstehen, sonst ist die AAL-Entwicklung nicht sinnvoll", sagt er.

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