Birk Grüling

Wissenschaft für kleine und große Leser:innen, Buchholz

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"Zweifel habe ich andauernd" : Dorothee Elmiger junge Autoren Literaturkurs

Sie ist jung und sie traut sich was: Die 1985 in Wetzikon geborene Dorothee Elmiger gilt als eine der großen Hoffnungen der Schweizer Literaturszene. Ihr erster, sprachlich wie formal radikaler Roman "Einladung an die Waghalsigen" etablierte die damals 25-jährige Schweizerin mit einem Paukenschlag in der deutschsprachigen Literaturlandschaft. Neben vielen positiven Kritiken erhielt Elmiger auch einige begehrte Preise dafür: beispielweise den Kelag-Preis bei den "Tagen der deutschsprachigen Literatur" und den "Aspekte"-Literaturpreis.

Nach längeren Aufenthalten in Leipzig und Berlin lebt Dorothee Elmiger zurzeit in Zürich und führt dort ihr Studium der Politikwissenschaft fort. Birk Grüling sprach für fluter.de mit ihr.

fluter.de: Gibt es ein Buch, das für dich als Jugendliche besonders wichtig war?

Dorothee Elmiger: Ein sehr wichtiges Buch war für mich Herta Müllers Roman "Herztier". Es hat mich als Schülerin völlig überrascht, weil das Buch so anders war. Die Autorin arbeitet vor allem mit der Sprache und ihren Bildern. Bis dahin kannte ich vor allem stringent erzählte Romane. Diese Möglichkeit, auch anders mit Sprache umzugehen, hat mein Interesse geweckt. Bis heute ist das Lesen von Büchern für mich sehr wichtig - nicht weil ich Dinge eins-zu-eins auf meine Arbeit übertragen will, sondern eher als ein Klangraum, der mich inspiriert.

Das ist spannend. Ich habe nämlich gelesen, dass dir Sprache wichtiger sei, als nur eine Wirklichkeit zu beschreiben.

Ich glaube, in ihrer Sprache zeigt sich die Gesellschaft genauso wie in einer Geschichte. Die Art, Dinge zu beschreiben und Bilder im Text zu zeichnen, kann sehr viel für sich aussagen. In meinem Buch reihe ich deshalb auch eher Fragmente aneinander. Ich finde es unglaublich spannend, was zwischen diesen Episoden passiert und möchte genau diese Interpretation meinen Lesern überlassen.

Großes Glück gehabt
Wann hast du gemerkt, dass du das Zeug zur Buchautorin hast?

Mit dieser Überzeugung tue ich mich heute noch schwer (lacht). Es gab aber einen Punkt, an dem ich wusste, dass ich mein Buch "Einladung an die Waghalsigen" fertigstellen kann. Davor hatte ich vor allem kürzere Stücke geschrieben und merkte bei diesem Mal, dass der Text länger werden könnte und sich auch auf Dauer trägt.

Hast du vor "Einladung an die Waghalsigen" schon Manuskripte an einen Verlag geschickt?

Nein, ich hatte großes Glück. Für mein erstes langes Manuskript bekam ich gleich die Zusage von einem Verlag. Meine Texte davor waren deutlich kürzer und hätten zusammen kein Buch ergeben. Auch bei dem Manuskript hatte ich noch große Zweifel. Ich glaube, dass es anders erzählte Texte bei den Verlagen oft schwer haben.

Hast du manchmal Zweifel beim Schreiben deiner Texte?

Eigentlich andauernd und auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Das sind beispielsweise Zweifel, den Text nicht beenden oder dem Thema nicht gerecht werden zu können. Ich mache mir auch Gedanken darüber, warum ich eigentlich schreibe und für wen. Es gibt natürlich auch viele gute Momente - aber die Zweifel sind bei mir schon sehr eng mit dem Schreiben verknüpft.

Welche Eigenschaften sind für junge Autoren wichtig?

Ich finde es wichtig, dass man empfänglich für Kritik ist und trotzdem stur genug bleibt, um immer weiter zu machen. Außerdem sollte man wirklich entschlossen sein, denn vom Schreiben lässt es sich oft nur schwer leben.

Du hast selbst an dem Schweizerischen Literaturinstitut in Biel studiert und außerdem einige internationale Literaturkurse besucht. Was lernt man dort genau?

An dem Literaturinstitut in Biel besucht man Seminare zum literarischen Schreiben. Dabei setzt man sich viel mit Texten an sich auseinander und diskutiert über Sprache. Geleitet werden die Kurse meist von erfahrenen Autoren und Autorinnen. Im Zusammenhang mit dem Bachmann-Preis habe ich auch einen einwöchigen Literaturkurs besucht. Auch dabei trifft man andere Leute, die schreiben, und man diskutiert über mitgebrachte Texte.

Genau auf Sprache und Bilder schauen
Kann man literarisches Schreiben überhaupt lernen?

Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, man kann vor allem genau lesen lernen. Jedenfalls habe ich das aus diesen Kursen mitgenommen - also genau auf die Sprache und die Bilder zu schauen. Dadurch lernt man natürlich auch etwas für die eigenen Texte. Auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass es Rezepte für literarisches Schreiben gibt. Bei der Arbeit an meinem neuen Buch hatte ich das Gefühl, nur wenig auf Schreiberfahrungen von meinem Debütroman zurückgreifen zu können.

Wie sieht dein Arbeitsalltag als Autorin aus?

Ich arbeite am liebsten sehr früh morgens. Nach dem Aufstehen setze ich mich gleich vor den Text. Wie lange und wie intensiv ich daran arbeite, hängt von den anderen Aufgaben des Tages ab. Ich versuche, jeden Tag der Woche an meinem Text zu arbeiten, vor allem weil ich merke, dass mir diese Regelmäßigkeit und Routine beim Schreiben hilft.

Stehst du unter Druck, jetzt nachdem dein zweites Buch erwartet wird?

Als ich an meinem ersten Text gearbeitet habe, war ich ganz allein mit ihm und es gab keine Erwartungen. Niemand hat gefragt, wann der Text endlich erscheint. Solche Fragen werden inzwischen häufiger an mich herangetragen. Gerne sagt man mir auch, dass das zweite Buch das schwerste ist. Garniert werden diese Geschichten am liebsten mit Beispielen von Autoren, die an ihrem Zweitling gescheitert sind.

Kannst du schon etwas über dein neues Buch verraten?

Ich arbeite gerade an einem Buch, das im nächsten Frühjahr erscheinen soll. Darin beschäftige ich mich sehr stark mit Reisen und Bewegungsfreiheit. Was passiert an den Grenzen und wer kann sich wie bewegen?

Um Grenzen wird zurzeit ja viel diskutiert. Haben Ereignisse wie die Flüchtlingskatastrophen vor Lampedusa Einfluss auf den Text?

Die Debatte um Migration wird auch in der Schweiz wie in ganz Europa sehr heftig geführt, gerade von rechter Seite. Solche Ereignisse und Diskussionen haben natürlich einen großen Einfluss auf mein Buch. Mein eigener Anspruch geht aber über das Tagesaktuelle hinaus, ich will die aus meiner Sicht wichtigen Fragen etwas grundsätzlicher stellen.

Du hast in Berlin und Leipzig gelebt und lebst nun wieder in Zürich. Kann man die kreative Atmosphäre dieser Städte vergleichen?

Ich weiß nicht, ob ich das richtig beantworten kann. Ich nehme zwar gerne am Stadtleben teil, aber meine Texte werden dadurch kaum beeinflusst. In Berlin und auch in Leipzig habe ich trotzdem große Unterschiede zu Zürich festgestellt. Es gibt dort sehr viel Platz und es werden viele, kleine, unabhängige Kulturprojekte auf die Beine gestellt - das ist anders als in der Schweiz. In Zürich ist es zum Beispiel viel schwieriger, Orte zu finden, die noch nicht besetzt sind. Ich würde das aber auch nicht zu einseitig sehen: Jede Stadt hat sehr viele Gesichter.

Birk Grüling lebt und arbeitet als freier Journalist am Rande von Hamburg. Seine Schwerpunkte sind Reportagen und Interviews rund um Wissenschaft, Gesellschaft und Popkultur. Fotos: © Dumont Verlag, © Sam Tyson
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