Benjamin Knödler

Online Redakteur "der Freitag", Berlin

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Artikel

Die Stadt wird politisch

Über die Proteste von Flüchtlingen wurde viel berichtet. Dabei wird selten darüber gesprochen, dass die Proteste die Stadt als sozialen Raum grundlegend verändern


Im April ist es ein Jahr her, dass der Oranienplatz in Kreuzberg mit großem Polizeiaufgebot und begleitet von Demonstrationen geräumt wurde. Seitdem ist viel passiert im Kampf der Refugees um Anerkennung und eine Reform des Asylrechts in Deutschland und Europa. Zumindest, was den Protest angeht. Die Gerhart-Hauptmann-Schule wurde erst besetzt, dann geräumt, Zusagen wurden gemacht, um dann doch nicht eingehalten zu werden.

Doch jenseits der inhaltlichen Forderungen der non-citizens, also derjenigen ohne offizielle Bürgerrechte in ihrem Fluchtland, verändern die Proteste die Stadt als sozialen Raum und werden gleichzeitig durch sie begünstigt. Wie und in welcher Form – damit hat sich am vergangenen Sonntag die vom Zentrum für städtische Angelegenheiten MetroZones veranstaltete Diskussion "Refugees & die Stadt" im Studio Я des Maxim Gorki Theaters auseinander gesetzt. Auf dem Podium: Abdel Amine Mohammed, Politologe und Aktivist, der selbst 1999 als Asylbewerber nach Deutschland gekommen ist, Saidou Nouhou, Schneider, geflüchtet aus dem Niger und seit zwei Jahren in Berlin – zunächst auf dem Oranienplatz, dann als Besetzer des Hostels in der Gürtelstraße. Außerdem dabei waren die Journalistin Carolin Emcke und die Anwältin Barbara Wessel, die eng mit den Refugees in Berlin zusammenarbeitet.

Ein Effekt des Kampfes der non-citizens zeigt sich an diesem Sonntagabend unmittelbar: Der Raum ist fast zu klein für den Andrang an Menschen. Und so konstatiert denn auch Stephan Lanz, einer der beiden Moderatoren, zurecht: „Die Refugees repolitisieren die Stadt.“ Denn die Menschen wollen an diesem Abend eben nicht Tatort schauen, sondern lieber über die Frage diskutieren, wie in Deutschland mit Flüchtlingen umgegangen wird. Es ist ein politisches Bewusstsein gewachsen.


Am Anfang steht der Kampf um Grundrechte


Wer sich mit der Wirkung sozialer Auseinandersetzungen für die Stadtgesellschaft befassen will, muss sich zunächst mit dem Kampf der non-citizens um Anerkennung und die Gewährung grundlegender Rechte beschäftigen. Dies machen einmal mehr die Schilderungen von Abdel Amine Mohammed und Saidou Nouhou deutlich.

Obwohl ihre Fluchterfahrungen knapp 15 Jahre auseinander liegen, beschreiben beide eindringlich eine ähnliche Form der Entrechtung, Einengung, Isolation und der bürokratischen Zermürbung, die betroffen macht. Beide sind zunächst in Lagern fernab jeden Alltagslebens untergebracht. Essen, Schlafen, Behördengänge, das sei alles, was den Flüchtlingen erlaubt gewesen sei, fasst Abdel Amine Mohammed seine Situation 1999 in Eisenhüttenstadt und Rathenow an der Berliner Peripherie zusammen. Er habe Übergriffe miterlebt und feststellen müssen: „Ich bin hier in einem Land, in dem ich um meinen Schutz und meine Menschenrechte kämpfen muss.“

Auch Saidou Nouhou erinnert daran, wie non-citizens der Zugang zu Fortbildung ebenso verweigert wurde wie das Recht auf Arbeit.

Am Ende haben sich beide für den Widerstand gegen derartige Verhältnisse entschieden und engagieren sich für mehr Rechte und verbesserte Verhältnisse. So organisierte Abdel Amine Mohammed Demonstationen, erreichte dringend notwendige mediale Aufmerksamkeit und den Dialog mit der Politik. Saidou Nouhou lebte auf dem Oranienplatz bis zu dessen Räumung, zog weiter in das Hostel an der Gürtelstraße, das er schließlich, als auch dieses geräumt wurde, ebenfalls mit besetzte.

Gerade solche Aktionen belegen die Bedeutung einer Aneignung der Stadt durch non-citizens – eine Aneignung, die dringend notwendige Zeichen setzt, und zwar von Menschen, denen das deutsche Asylrecht basale Grundrechte vorenthält.

Dass Refugees diese Rechte vorenthalten wird, ist kein Zufall, analysiert Anwältin Wessel am Abend des 1. Februar, sondern vielmehr von Teilen der Politik so gewollt: „Es geht darum, non-citizens außerhalb der Rechte zu lassen. Es soll so sein.“ Doch hat sich daran etwas geändert, haben die Proteste zu einer rechtlichen Anerkennung geführt?

Das Fazit fällt gemischt aus: „Es ist kein Recht entstanden“, betont Wessel. Zugleich hätten die non-citizens es aber geschafft, politische Zusagen zu erzwingen. Auch wenn viele davon letztlich nicht viel wert gewesen wären. Der symbolische Erfolg sei dennoch enorm wichtig.


Die Stadt wird zur Bühne, die offen legt, was falsch läuft


Auch Carolin Emcke wünscht sich entschiedenere juristische Ergebnisse. Am Ende sei es eben so, wie schon Hannah Arendt gesagt habe: Der Mensch brauche das Recht, Rechte zu haben. Trotzdem erkennt und anerkennt auch Emcke die symbolische Kraft der Aktionen der non-citizens: „Eine Stadt definiert sich über eine Unterscheidung von innen und außen.“ Diese Unterscheidung zwischen denen, die zu einer Stadt gehören und denen, die dies nicht tun, haben die Flüchtlinge beispielsweise durch die Besetzung des Oranienplatzes aufgebrochen. Auf diese Weise ist die Bedeutung eines städtischen Raums verändert worden: Ein öffentlicher Platz ist zum provisorischen Wohnort für Menschen mit stark eingeschränkten Rechten geworden und hat so zumindest zum Nachdenken, vielleicht auch zum politischen Engagement der Stadtgesellschaft angeregt.

Das Aufbrechen städtischer und damit gesellschaftlicher Strukturen führt zu deren Veränderung. Denn die non-citizens setzen sich über Grenzen hinweg, die durch Gesetze überhaupt erst etabliert wurden und die sie von der gesellschaftlichen Teilhabe ausschließen. Zudem haben die Proteste des vergangenen Jahres Öffentlichkeit geschaffen, haben non-citizens zu politischen Akteuren gemacht, denen Bürgermeister und Bürgermeisterinnen und Senatorinnen und Senatoren auf Augenhöhe begegnen müssen, und sie somit unmittelbar in gesellschaftliche Prozesse eingebunden. Wenn dies geschieht, dann wird die Stadt auch zu einer Bühne, die zeigt was falsch läuft.

In diesem Sinne bieten die Städte besonders gute Voraussetzungen, um den öffentlichen Raum zu politisieren. Das Beispiel Berlin zeigt, dass das funktionieren kann und vor allem, dass sich eine Stadt dadurch verändert, dadurch geprägt wird. Es zeigt, dass Politik auch und gerade von Menschen gestaltet und gemacht werden kann, denen die Politik selbst grundlegende Rechte aberkennt. Und es zeigt, dass eine ganze Gesellschaft politisiert werden kann. Als die Refugees etwa im vergangenen Sommer die Gerhard-Hauptmann-Schule in Kreuzberg besetzten, beschäftigte das alle Bewohner des Viertels.

Diese Form Politisierung gilt freilich nicht nur für Berlin, sondern eben auch für andere Städte, für die Stadt an sich. Gerade in Zeiten von Pegida und anderen Besorgnis erregenden Tendenzen ist ein solches Signal wichtiger denn je.

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