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Radio-Beitrag

Flüchtlinge - Die Politik hat Angst geschürt

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Kommentar in den Themen des Jahres im Deutschlandfunk, 27.12.2015

Die Politik hat die Ängste und Sorgen der Pegida-Demonstranten mitverursacht, kommentiert Benjamin Dierks. Wenn sie nun darauf eingehen möchte, solle sie doch auch auf die andere Seite schauen. Denn die Hälfte der Bevölkerung spreche sich dafür aus, mehr Flüchtlinge aufzunehmen.
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Haben Sie sich mal die Fernseh-Interviews mit Pegida-Demonstranten angehört? Klar, manche davon sind so verdreht, dass man ihnen raten möchte, lieber in Therapie zu gehen als auf die Straße. Aber es gibt ja auch die ganz normalen Bürger. All jene, die eigentlich gar nichts haben gegen Ausländer und auch Kriegsflüchtlingen und wirklich Verfolgten Hilfe zugestehen - aber die nach diesem Lippenbekenntnis dann loslegen gegen angebliche Wirtschaftsflüchtlinge, Betrüger, Kriminelle. "Die wollen doch gar nicht arbeiten", sagte einer. "Die kommen hier her und kriegen alles. Schmarotzer sind das." Es werde immer "attraktiver, zu uns zu kommen und mit Bargeld wieder abzureisen", sagte ein anderer. Oder: "Wenn ihr hier illegal tätig seid, egal wie, dann geht doch bitte wieder zurück, wo ihr herkommt". "Rausschmeißen" solle man die und zwar "ohne großes Federlesen".

Ist Ihnen etwas aufgefallen? Klang alles ziemlich ähnlich, oder? Nur: Einige der Zitate stammten gar nicht von Demonstranten, sondern vom ehemaligen deutschen Innenminister Hans-Peter Friedrich. Der ließ einiges von dem, was Pegida-Anhänger heute sagen, sinngemäß schon vor zwei, drei Jahren vom Stapel. Die Demonstranten mögen sich regierungskritisch geben, aber eigentlich plappern viele von ihnen nur plump nach, was die Politik über Jahre oft etwas verklausulierter, aber manchmal eben auch genauso plump vorgegeben hat. Nun gehörte Friedrich sicher nie zu den linguistischen Feingeistern. Aber der CSU-Minister äußerte keine Privatmeinung, sondern flankierte mit markigen Worten die Linie der letzten Bundesregierung. Als immer mehr Menschen vor dem Krieg in Syrien flohen, setzte Berlin alles daran, die Grenze zur Türkei abzudichten. Offen blieb da für viele nur der gefährliche Weg übers Mittelmeer. Und als in der EU die Forderung aufkam, die Asylsuchenden innerhalb der Gemeinschaft gleichmäßiger zu verteilen, startete die Bundesregierung als Ablenkungsmanöver eine Kampagne gegen Armutszuwanderer aus Südosteuropa, die bei uns keine Rettung suchten, sondern nur einen Platz in der sozialen Hängematte.

Ressentiments bestimmen Umgang mit Flüchtlingen

Wenn also der amtierende Innenminister Thomas de Maizière Verständnis äußert für die Sorgen und Ängste der Bürger, dann für Sorgen und Ängste, die seit Jahren geschürt werden. Und die so mitgeprägte Meinung der Bürger führt de Maizière heute gern an, um sein härteres Vorgehen gegen mutmaßlich unberechtigte Asylsuchende zu rechtfertigen. Menschen vom Balkan können nach einer Gesetzesänderung nun praktisch keine Fluchtgründe mehr geltend machen. Das sind die sogenannten Armutszuwanderer. Und nachdem zwei Gerichte, der Europäische Gerichtshof und der Bundesgerichtshof, den Einsatz von Abschiebehaft in Deutschland gerügt hatten, reagierte de Maizière auch hier mit einem neuen Gesetz. Darin enthalten: eine ganze Reihe an Gründen, die helfen, Flüchtlinge vor der Abschiebung weiter einbuchten zu können - nicht nur als Ausnahme, sondern eher im Regelfall. Sein neuester Vorstoß: Flüchtlinge schon in sogenannten Transitzentren in Afrika abfangen. Das wird als humanitär verkauft, wäre aber eine weitere Aushöhlung des Asylrechts. Denn es ist offenkundig, dass diese Lager den Transit eher verhindern als ermöglichen sollen. Bleibt zu hoffen, dass de Maizière damit ebenso aufläuft, wie vor zehn Jahren schon sein Vorgänger Otto Schily.

Daneben gab es, das soll nicht unterschlagen werden, auch erfreuliche und von Flüchtlingsinitiativen lange geforderte Änderungen. Die Lockerung der Residenzpflicht, die hat Asylsuchende lange an einen Landkreis oder ein Bundesland gebunden. Oder die erleichterte Arbeitserlaubnis. Es gibt nur einen Schönheitsfehler: Sie kamen nicht bedingungslos, sondern wurden als Verhandlungsmasse eingesetzt, um Mehrheiten für die Asylrechtsverschärfung zu beschaffen.

Es stimmt ja, das Recht auf Asyl - oder das, was davon übrig ist - gilt nur für politisch Verfolgte und kann nicht herhalten, um all jenen ein Bleiberecht zu geben, die aus vielerlei guten und sicher auch manchen weniger guten Gründen nach Europa und nach Deutschland kommen. Und ja, die Zahl der Asylbewerber steigt. Länder und Kommunen in Deutschland haben Probleme bei der Unterbringung, auch weil sie über Jahre Unterkünfte abgebaut haben. Aber wie schon in den 90er-Jahren liegen die Ursachen für die wachsende Zahl zu einem großen Teil in Krieg, Verfolgung und Vertreibung. Damals im ehemaligen Jugoslawien, heute in Syrien und im Irak. Über ein Viertel der Menschen, die in diesem Jahr in Deutschland Erstanträge auf Asyl stellten, kam aus den beiden Ländern. Dass Deutschland kontingentweise Bürgerkriegsflüchtlinge aufnimmt, ist gut. Ärgerlich aber ist es, wenn im Gegenzug wieder einmal das Ressentiment den Umgang mit Flüchtlingen bestimmt. Und wenn die Politik die Stimmung in der Bevölkerung schon als Motiv heranzieht, dann doch bitte auch beide Seiten. Gut die Hälfte spricht sich nämlich dafür aus, mehr Menschen aufzunehmen.

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Foto: Rasande Tyskar (CC BY-NC 2.0) https://www.flickr.com/photos/rasande/15032627489/in/photostream/