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Die Hoffnung ruht auf einem Eiweiß

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Seit 20 Jahren forscht der Mediziner Armin Giese an den Ursachen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Jetzt glaubt er, einen Wirkstoff entdeckt zu haben, der auch gegen Parkinson helfen könnte

Armin Giese streift sich einen grünen Kittel um, schlüpft mit seinen Schuhen in Plastiküberzieher und öffnet die Tür zur Biobank. Dort werden die Gehirne von Verstorbenen aus dem Schädel gelöst, gesäubert und eingelagert. Der Mediziner geht vorbei am stählernen Seziertisch, wie man ihn aus Fernsehkrimis kennt, hinein in einen Raum voll mit Gefrierschränken. Hier lagern die Gehirne bei minus 80 Grad. Er öffnet einen der Schränke und zieht ein metallenes Gestell nach oben. In jeder Etage liegt eine weiße Pappbox. Darin in Ziplock-Tüten nebeneinander sechs Querschnitte von Gehirnen. Pink und runzelig.

"Aus diesen Proben bekommen wir die fehlgefalteten Eiweiße, die wir für unsere Versuche brauchen", erklärt Giese. Seit zwanzig Jahren forscht der 52-Jährige an der Ludwig-Maximilians-Universität in Großhadern an einem Medikament gegen die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit.

In Medizinerkreisen kannte man Creutzfeldt-Jakob schon vor dem Auftreten von BSE, auch Rinderwahn genannt. Was viele heute wie damals nicht wussten: Creutzfeldt-Jakob kann auch ohne den Kontakt zu infizierten Rindern ausbrechen. "Glücklicherweise passiert das nicht sehr oft", sagt Giese. In Deutschland sterben daran pro Jahr rund 100 Menschen, meist nur wenige Monate, nachdem die ersten Symptome aufgetreten sind. Erst können sie ihre Bewegungen nicht mehr gut koordinieren, dann kommen Probleme mit den Augen und Vergesslichkeit hinzu. Ein, zwei Wochen später können sie häufig schon nicht mehr richtig greifen und laufen. Ein Medikament gegen die Krankheit gibt es noch nicht. Doch Armin Giese ist nach jahrelanger Arbeit und mit Hilfe der gespendeten Gehirne überzeugt, einen vielversprechenden Wirkstoff gegen die Krankheit gefunden zu haben. "Anle138b" hat er ihn getauft.

Ursprünglich kommt Giese aus Pinneberg, einer Kleinstadt westlich von Hamburg. Er hat in Kiel und London studiert, arbeitete später in Göttingen am Lehrstuhl von Hans Kretzschmar, der in Deutschland als Experte für Creutzfeldt-Jakob galt. Im Jahr 2000 folgte er seinem Chef nach München. Kretzschmar übernahm die Leitung des Zentrums für Neuropathologie an der LMU. Bis kurz vor seinem Tod 2014 war er Direktor des Instituts.

Bis heute haben sich mehr als eintausend Gehirne im Keller des Zentrums für Neuropathologie in Großhadern angesammelt. Ein Stockwerk höher liegt das Büro von Armin Giese. An die Wand hat er ein kleines, gemaltes Porträt von sich gehängt: braune Haare, Seitenscheitel, hohe Stirn. Wenn der passionierte Billardspieler - immer mittwochs spielt er mit seinen beiden fast erwachsenen Söhnen - über seine Forschung spricht, sprudeln die Worte nur so aus ihm heraus. Er habe zu Beginn seines Studiums schon gewusst, dass er später mit Gehirnen arbeiten wolle, sagt er. Die Vielseitigkeit des Organs fasziniere ihn. Darum habe er sich auf die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit spezialisiert.

Die Krankheit bedeutete für viele Menschen ein Horrorszenario - für Armin Giese war das damals die Sternstunde seiner bisherigen Karriere. Als junger Forscher wurde er zu Konferenzen in ganz Europa eingeladen. Zu verdanken hatte er das auch seinem Chef. Kretzschmar entdeckte das Gen, das für die Bildung des Prionproteins beim Menschen verantwortlich ist. "Das Prionprotein ist eine spezielle Art von Eiweiß, das jeder Mensch in sich trägt", erklärt Giese. In seiner ursprünglichen Form ungefährlich. Durch Infektion, aber auch durch Zufall, kann es seine Struktur, "seine Faltung" verändern. Dann verklumpen einzelne Eiweiße und sind für die Nervenzellen im Gehirn schädlich. Letztendlich sterben die Zellen ab.

"Das sieht man hier ganz schön", sagt Giese. Er sitzt vor einem Mikroskop und deutet auf das Glasplättchen vor ihm. Das Glas umschließt eine hauchdünne Gewebeprobe aus dem Hirn eines verstorbenen Patienten. Damit man das engmaschige Gewebe besser erkennt, hat Giese es rosa eingefärbt. "Bei gesunden Menschen würde ich hier nur rosa sehen", sagt er und fährt mit einem Marker über das Glas. "Hier sehe ich im farbigen Gewebe aber immer wieder kleine weiße Löcher. Das sind aufgequollene Fortsätze von Nervenzellen, die durch die fehlgefalteten Eiweiße zerstört wurden." Sein Wirkstoff soll verhindern, dass die Eiweiße miteinander verklumpen. An Tieren habe das schon gut funktioniert, sagt Giese. Jetzt wartet er darauf, dass sein Medikament am Menschen getestet werden kann. Er glaubt, dass es auch gegen Parkinson und Alzheimer helfen könnte. Das sieht Parkinson-Experte Wolfgang Oertel ähnlich. Er ist ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und gründete 1994 die Gehirnbank in München. Er sagt, "Anle138b" sei derzeit einer der vielversprechendsten Wirkstoffe, vor allem gegen Parkinson. In fünf bis zehn Jahren, so die Hoffnung, werde man mehr wissen.

Für Studien am Menschen hat Armin Giese im April von Investoren mehr als zehn Millionen Euro bekommen. "Der nächste Schritt", sagt er. Sollte sich zeigen, dass sein Wirkstoff auch gegen Alzheimer und Parkinson hilft, würde Giese mit einem Schlag reich werden. Was er mit seinem Vermögen machen würde, weiß er noch nicht. Für einen eigenen Billardtisch würde es aber sicher reichen.

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