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Wildlese

Diebstahlsicherung gibt es in deutschen Weinbergen nicht. (Foto unter CC-Lizenz: Frank Hamm / Flickr)

Ungewöhnlicher Diebstahl im Rheingau: Mit professionellen Mitteln lesen Unbekannte einen Weinberg ab.


Der Winzer will nur schauen, wie es den Trauben geht, als er am Dienstag seinen Weinberg im Ortsteil Hallgarten besichtigt. Die Riesling-Trauben sollten extra noch hängen bleiben; ihr Most sollte zur Spätlese werden. Umso größer ist die Wut im Weingut Eser im hessischen Oestrich-Winkel - denn an jenem Südhang, Lage "Hallgartener Jungfer", hängt keine einzige Traube mehr. Unbekannte haben sämtliche Rebzeilen mit einer Erntemaschine gelesen. Dem Familienbetrieb entgehen mehrere Tausend Euro Umsatz, "das ist für uns richtig ärgerlich", sagt die Chefin Elisabeth Uebe, "zumal es um gute Qualitäten geht". Den Wein hätte sie für zwölf Euro pro Flasche verkaufen können.

Diebstahlsicherung, so etwas gibt es in Deutschland nicht: Anders als in französischen Spitzenlagen ist es hierzulande nicht üblich, Weinberge einzuzäunen. Bislang vertrauen die Winzer darauf, dass jeder nur in seinen eigenen Flächen liest. Und wer aus Versehen eine Rebzeile des Nachbarn erntet, meldet sich; dann einigt man sich unter Kollegen. Aber: Ein ganzer Hang? Sie sei sich "unsicher, ob es ein Versehen oder Absicht war", sagt Uebe. Die Lesemaschine sei so weit gefahren, bis ein Graben kam. Die umliegenden Weingüter bestreiten, wild gelesen zu haben.

Im größten deutschen Weinbau-Bundesland Rheinland-Pfalz kennt man diese Art des Diebstahls schon. "Zwar kommt es relativ selten vor, dass die Ernte eines Weinbergs mit der Lesemaschine gestohlen wird", teilt das Wirtschaftsministerium in Mainz mit, das für Weinbau verantwortlich zeichnet. "Einzelfälle sind uns aber in den letzten Jahren durchaus bekannt geworden." Auch der Verband deutscher Prädikatsweingüter berichtet, solche Diebstähle passierten immer mal wieder. Für die Winzer sei der Schaden freilich groß, zumal gerade Familienbetriebe nur wenige verschiedene Weinberge bewirtschaften.

Der Most reift wohl in fremden Fässern heran. Der Dieb muss die Ernte in seine Bücher mogeln

Für das Weingut Eser fällt der Diebstahl in ein ohnehin schwieriges Jahr. "Die Qualität ist zwar sehr gut", sagt Uebe, "aber die Ernte dürfte in diesem Jahr um 40 Prozent geringer ausfallen als im langjährigen Schnitt." Die Krankheit "Falscher Mehltau" befiel die Reben bundesweit, zudem gab es häufig Gewitter und Starkregen.

Wegen des dreisten Raubes hat das Weingut nun Anzeige erstattet - erhofft sich aber nicht viel davon. "Gegen diesen Diebstahl kann man wenig machen", sagt Uebe. Längst dürfte der Most in fremden Fässern heranreifen. Das ist nicht trivial. Denn Weingüter müssen genau aufschreiben, wo sie wie viel gelesen und wie viel Wein sie daraus hergestellt haben. Sollte sich der Wildleser nicht melden, wird er versuchen müssen, die zusätzliche Ernte in die Bücher zu mogeln. Vielleicht geht sie in den allgemeinen Schwankungen unter.

Der Name der Lage "Hallgartener Jungfer" soll übrigens auf die Mönche des früheren Klosters Eberbach zurückgehen. Die Ordensleute sollen den Südhang der Jungfrau Maria gewidmet haben. Ganz in der Nähe von Hallgarten bewirtschafteten die Mönche früher den Steinberg, einen Weinberg, den sie mit einer drei Kilometer langen Steinmauer umzäunt haben, die bis heute steht. Die Ordensleute wussten schon, warum.

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