Das Spiel war bereits entschieden, als Rudi Ball den Puck im letzten Drittel zum 3:0 ins Tor der Italiener bugsierte. Dabei blieb es am Abend des 7. Februar 1936 im Kunsteisstadion Garmisch-Partenkirchen. Es war die zweite Olympia-Partie der deutschen Eishockeyspieler. Zuvor hatten sie gegen die favorisierten Amerikaner verloren und mussten gegen Italien liefern, um die Vorrunde zu überstehen - und sie lieferten.
Dabei hatte Ball, 1,63 Meter klein, schon mit seiner Heimat abgeschlossen. Er war einer der populärsten deutschen Spieler, eine französische Zeitung hatte ihn 1931 sogar zum besten Spieler Europas gewählt. Mit dem Berliner Schlittschuh-Club wurde er Serienmeister und gewann in Lake Placid die Bronzemedaille. Seit aber die Nationalsozialisten an der Macht waren, fühlte sich Ball in Deutschland nicht mehr sicher. Er emigrierte nach Italien und schloss sich in Mailand den Diavoli Rossi an. Denn Ball galt laut den Nürnberger Gesetzen, 1935 in Kraft getreten, als "Halbjude".
Dass Rudi Ball bei den Olympischen Winterspielen aufs Eis konnte, ist exemplarisch für die verlogene Charmeoffensive, mit der die Nationalsozialisten 1936 in Garmisch-Partenkirchen begannen - und die sie später, im August in Berlin, auf die Spitze trieben. Damit sich Nazideutschland als weltoffen und friedfertig präsentieren konnte, waren Zugeständnisse nötig. Unterdessen hielt Adolf Hitler nicht nur an der Rassenpolitik fest, er plante hinter den Kulissen auch bereits den Überfall auf die Länder, die er 1936 noch scheinbar mit offenen Armen empfing.
Für Alois Schwarzmüller, 78, sind die Spiele in Garmisch-Partenkirchen der Moment, als die Politik erstmals die Macht über den Sport übernahm. Der pensionierte Geschichtslehrer forscht zum großen Propagandafest in seiner Heimat Garmisch-Partenkirchen und hat offizielle Nazidokumente, alten Zeitungsartikel oder Tagebucheinträge zusammengetragen. "Die Kehrseite der Medaille" ist der Titel einer Dauerausstellung im Garmischer Skistadion, die derzeit wegen einer Renovierung pausiert.
Der "Vorzeigejude" sollte das IOC besänftigen
Gustav Jaenecke, Balls Mannschaftskollege aus Berliner Zeiten und ein "Beckenbauer des Eishockeys", soll gedroht haben, Olympia fernzubleiben, würde nicht auch Rudi Ball nominiert, erzählt Schwarzmüller. Ohne die beiden wären die Deutschen chancenlos gewesen. Hitler lenkte also ein - auch um mit Ball als "Vorzeigejuden" das IOC zu besänftigen. Wegen des Antisemitismus hatte sich in den USA schon eine Boykottbewegung geformt: gegen die Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen, vor allem aber gegen die Sommerspiele in Berlin.
Ein "Halbjude" im deutschen Trikot, das wollte Hitler nicht mit ansehen. Er besuchte kein Spiel der Nationalmannschaft und verließ etwa nach der Partie zwischen Großbritannien und Ungarn demonstrativ die Tribüne, bevor Deutschland gegen Kanada antrat.
"Hitler wollte die Spiele unter allen Umständen", sagt Schwarzmüller, schon als Generalprobe für den Sommer. Nur wenn im Winter alles reibungslos lief, würde es mit dem Spektakel in Berlin klappen.
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