Sie erinnert sich noch gut daran: Als die Vollzugsbeamten sie zu ihrer Zelle in der Münchner JVA Stadelheim führten, hatten ihre Tränen das Schwarz des Kajals im ganzen Gesicht verteilt. Überall haftete der Blick der Männer auf ihr, erzählt Laura Meißner. Auf ihren langen blonden Haaren, auf ihren Brüsten, Größe Doppel D. Einige Minuten zuvor hatte Meißner in einem Raum gesessen, um auf ihre "eingangsmedizinische Untersuchung" zu warten. Es ist das Standardprozedere für Neuankömmlinge - ein Arzt prüft, ob der Inhaftierte drogenabhängig oder auf Entzug ist, ob er Lebensmittelunverträglichkeiten oder Allergien hat.
Sie erinnert sich, wie ein als Helfer eingeteilter zu ihr sagte: "Jetzt kommt gleich einer, den haben sie in seiner Zelle vergewaltigt." Der Mann sprach aus, was sie dachte. Sie, schlank, groß und blond, allein unter Männern, die wegen Vergewaltigung oder Mord teils lebenslänglich saßen und nichts mehr zu verlieren hatten. Eine Arzthelferin riet ihr, sie solle behaupten, sie sei suizidgefährdet. So würde sie in Einzelhaft kommen. "In eine Gummizelle, so wie Hannibal Lecter" sei da ihr erster Gedanke gewesen.
Einige Monate später, nachdem sie in die Männerabteilung der JVA Stadelheim eingewiesen wurde, sitzt Meißner in der Caféteria des Amtsgerichts München und tippt mit rot lackierten Fingernägeln auf ihre Tasse mit schwarzem Kaffee. Sie wartet an diesem Tag auf das Urteil in ihrem Prozess. Die Frau mit Rollkragenpullover und Hornbrille, die seit dreißig Jahren Hormonpillen nimmt, steht nicht gern im Mittelpunkt. Sie möchte eine Privatsphäre haben, sie heißt nicht Meißner, sie möchte mit ihrem echten Namen nicht in der Öffentlichkeit stehen. Sie will auch nichts zu ihrer Biografie sagen; nichts darüber, wie sie als Fluggerätebauerin zur Prostitution kam; nichts über mögliche Identitätskonflikte ihrer Jugend, als Frau gefangen in einem Männerkörper, dies alles in der schwäbischen Provinz.
Sie möchte nur erzählen, wie grauenhaft das Leben im Gefängnis für sie als transsexuelle Frau war. Alle Schilderungen über ihre Erlebnisse in Stadelheim stammen von Meißner selbst. Auf Anfrage baten das Bayerische Justizministerium wie auch die Gefängnisverwaltung um Verständnis, sich nur über allgemeine Verfahrensregeln, nicht aber zum Fall Meißner äußern zu dürfen - zum Schutz der Persönlichkeitsrechte. Nach verschiedenen Gesprächen, etwa mit Meißners Anwalt sowie mit Andrea Ottmer von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (DGTI), verdichten sich Meißners Erzählungen zu einer glaubwürdigen Darstellung.
Meißner erinnert sich an das Grinsen, als sie im Mai 2019 nackt vor drei Beamtinnen der Frauenabteilung in der JVA Stadelheim stand. Nicht gehässig, vielleicht etwas unbeholfen. Ein Grinsen, das so etwas aussagte wie: "Jetzt haben wir ein Problem." Auf dem Parkplatz vor dem Bordell, in dem sie arbeitete, war sie zuvor von zwei Zivilfahndern kontrolliert worden. Diese hatten in ihrer Handtasche und in ihrem schwarzen 3er 5,19 Gramm Kokain gefunden, verpackt in sieben Druckverschlusstütchen. Die Abteilungsleiterin telefonierte einige Minuten, bis feststand: Meißner musste rüber, zu den Männern. Die transsexuelle Frau hatte noch keine geschlechtsanpassende Operation an sich durchführen lassen.
Sie sagt, sie habe im Männerknast viel Frauensolidarität erfahren. Und lachtNach unterschiedlichen Schätzungen haben 0,1 bis 0,6 Prozent der Bevölkerung das Gefühl, dem falschen ( Transsexualität) oder keinem der beiden Geschlechter anzugehören (Intersexualität). Trotzdem gibt es in deutschen Gefängnissen keine Richtlinien, wie mit Intersexuellen oder Transsexuellen umgegangen werden soll. Im Strafvollzugsgesetz von 1976 steht lediglich: "Frauen sind getrennt von Männern in gesonderten Frauenanstalten unterzubringen." Das ist wenig überraschend: In der öffentlichen Wahrnehmung waren Transmenschen lange Exoten, schrille Dragqueens der Kiez-Etablissements. Über Jahrzehnte nahmen Ärzte pauschal an, Transsexuelle müssten psychisch krank sein. Noch vor 25 Jahren mussten sich Betroffene sogenannten Konversionstherapien unterziehen. Umpolungsversuche, von denen man heute weiß, dass sie schwere Traumata auslösen können. Transsexuelle mussten mit einer erfolglosen Konversionstherapie beweisen, wirklich im falschen Körper geboren worden zu sein. Ende 2019 verboten das Bundeskabinett und Gesundheitsminister Jens Spahn Konversionstherapien für Homosexuelle oder Transmenschen. Erst im Juli 2019 strich die Weltgesundheitsorganisation Transsexualität von ihrer Liste der Geisteskrankheiten. Seitdem das Bundesverfassungsgericht 2017 entschieden hat, das "dritte Geschlecht" ins Geburtenregister aufzunehmen, wird der deutsche Behördenalltag allmählich so umgekrempelt, dass Transmenschen sichtbarer werden. Es ist leicht, ein zusätzliches Kästchen auf Antragsbögen zu drucken. Schwieriger ist es, Lösungen für eine Gefängniswelt zu finden, die nur Männer und Frauen kennt.
Wer wie Meißner während der Untersuchungshaft als suizidgefährdet gilt, wird auf der Krankenstation des Gefängnisses untergebracht. Inhaftierte trugen schon vor der Corona-Pandemie dort oft Mundschutz, weil viele häufig an hochansteckenden Infektionskrankheiten litten wie Tuberkulose oder multiresistenten Krankenhauskeimen. Bevor Laura Meißner in ihre Krankenzelle gebracht wurde, musste sie warten: Die Putzkräfte waren dabei, den zwei mal drei Meter großen Raum zu reinigen. Der Insasse vor ihr hatte die Wände mit Exkrementen beschmiert.