1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Heckler & Koch - Knarren für Demokraten

Zu schön, um wahr zu sein? Heckler & Koch schließt nach eigener Angabe keine Deals mehr mit Diktatoren ab. Der Waffenhersteller aus Oberndorf im Schwarzwald könnte damit vom „tödlichsten Unternehmen Deutschlands" zum moralischen Vorbild der Rüstungsindustrie avancieren. Allerdings müssten dafür zunächst bestehende Altverträge mit autoritären Regimen abgewickelt werden.

Wie Heckler & Koch (H&K) auf seiner Aktionärshauptversammlung Mitte August in Sulz-Glatt offiziell bekannt gab, hat sich das Unternehmen neue Exportregeln gesetzt. Es will nur noch an nach eigener Definition integre Staaten liefern. Dafür gibt es drei Kriterien: Erstens, ob ein Land Mitglied der NATO ist oder NATO-Ländern gleichgestellt wie Japan, Australien, Neuseeland und die Schweiz. Zweitens werden Platzierungen im Korruptionsindex von Transparency International und drittens im Demokratie-Index der Analysefirma Economist Intelligence Unit einbezogen. So ordnen die Waffenbauer die Länder in einem Ampelsystem in rote, gelbe und grüne ein - künftig will H&K nur noch grüne Länder beliefern.

Nach Meinung von Friedensaktivisten ist dies durchaus ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings mahnen sie an, dass bislang nur Absichtsbekundungen zu hören waren und außerdem im Ampelsystem das entscheidende Kriterium fehle: ein Menschenrechtsindex. Schließlich würden auch NATO-Mitglieder wie die USA oder Frankreich für menschenrechtswidrige Militäreinsätze kritisiert.

Menschenrechte? Egal

Derlei Vorhaltungen mussten sich die Chefs von H&K auf der diesjährigen Hauptversammlung erstmals von eigenen Aktionären anhören: Aktivisten des RüstungsInformationsBüros (RIB) aus Freiburg war es gelungen, Aktien des Waffenkonzerns zu erwerben. Sieben von ihnen erschienen bei der Versammlung und stellten insgesamt 110 kritische Fragen zum Unternehmen und dessen neuer Exportstrategie.

Einer von ihnen war RIB-Mitgründer Jürgen Grässlin. Der Pädagoge gilt als Deutschlands bekanntester Friedensaktivist. Seit drei Jahrzehnten bereist Grässlin Kriegs- und Krisengebiete, spricht mit Opfern von Waffengewalt oder ihren Hinterbliebenen und recherchiert, welche Waffen wo eingesetzt werden. Kleinwaffen sind am gefährlichsten, denn auf den weltweiten Kriegsschauplätzen werden 19 von 20 Opfern durch sie getötet. Grässlin schätzt auf Basis von Militärdaten und eigenen Recherchen: „Alle 13 Minuten wird ein Mensch durch eine Waffe von Heckler & Koch getötet." Seit Beginn der Waffenproduktion in Oberndorf 1955 seien mehr als zwei Millionen Menschen durch H&K-Waffen getötet worden. Etwa fünf Millionen weitere Menschen seien aufgrund der Waffen verstümmelt und traumatisiert, schätzt Grässlin. Deshalb bezeichnen Friedensaktivisten Heckler & Koch, den größten Kleinwaffenhersteller Europas, als das „tödlichste Unternehmen Deutschlands".

Nach der Kalaschnikow ist das Maschinengewehr G3 von Heckler & Koch die am zweithäufigsten verbreitete Waffe der Welt: Schätzungsweise 15 Millionen G3 sind heute noch im Einsatz. 1959 wurden die ersten G3-Maschinengewehre hergestellt, in den 1960ern begann H&K, Lizenzen an autoritäre Regime zu verkaufen - Pakistan, Portugal in Zeiten der Salazar-Diktatur, Iran, die Türkei und Saudi-Arabien durften das G3 nachbauen. In den 1970er Jahren folgten dann Thailand, Brasilien, Malaysia und Mexiko.

So verbreiteten sich Kleinwaffen von H&K praktisch in der ganzen Welt. „Waffen bleiben selten dort, wohin sie geliefert werden", sagt Jürgen Grässlin, „sie wandern zu demjenigen, der den höchsten Preis zahlt." 2010 erstattete er Strafanzeige gegen Heckler & Koch wegen illegaler Waffenexporte nach Mexiko. Seine Recherche-Ergebnisse veröffentlichte er mit dem Filmemacher Daniel Harrich in der preisgekrönten Dokumentation Tödliche Exporte. Das Zollkriminalamt bestätigte in einem Untersuchungsbericht, dass G36-Sturmgewehre nach Mexiko exportiert wurden. Doch noch hat der von Grässlin angestrebte Prozess nicht begonnen. Das Landgericht Stuttgart eröffnete im Mai 2016 lediglich das Hauptverfahren, ein erster Verhandlungstermin steht noch nicht fest. Angeklagt sind zwei ehemalige Geschäftsführer, zwei ehemalige Vertriebsleiter und eine ehemalige Vertriebsmitarbeiterin von Heckler & Koch. Ihnen werden Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz vorgeworfen.

Die H&K-Führung erklärte ihren plötzlichen Strategiewechsel in der Exportpolitik damit, dass es um den Ruf - und damit um den Marktwert - des Unternehmens gehe. Zusätzlich mag ein minimal restriktiveres Regelwerk für Waffenexporte eine Rolle gespielt haben, welches das Bundeswirtschaftsministerium noch unter Sigmar Gabriel (SPD) erlassen hatte.

Vorerst allerdings ändert sich gar nichts an den Ausfuhren von H&K: Bereits bestehende Verträge mit „gelben" und „roten" Staaten will die Konzernführung noch erfüllen. Denn sie fürchtet Strafzahlungen wegen nicht gelieferter Waffen.

Das betrifft unter anderem Waffenexporte an drei südostasiatische Staaten, die der Bundessicherheitsrat im November 2016 genehmigt hatte. Indonesien, Malaysia und Südkorea werden zwar schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, dennoch rüstet H&K die dortigen Sicherheitsbehörden mit hunderten vollautomatischen Gewehren aus, insgesamt für etwa sieben Millionen Euro. Die Konzernführung gab außerdem an, sie werde noch bestehende Vereinbarungen mit Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) abschließen. In diesem Jahr sowie 2019 sollen zudem Waffenteile in die Türkei geliefert werden, wo die Firma MKE seit Ende der 1960er H&K-Waffen in Lizenz produziert.

Man werde sehen, ob das Unternehmen den eigenen Kurswechsel ernst nehme und zumindest die Lizenzen zur Produktion von H&K-Waffen in gelbe und rote Staaten zurückfordere, sagt Friedensaktivist Grässlin. Derzeit ist davon keine Rede. Dazu wurde Vorstandschef Norbert Scheuch, der den „Kulturwandel" bei H&K in die Wege geleitet hatte, Ende August gefeuert - nach nur 18 Monaten im Amt, und nur zwei Wochen, nachdem er die freiwilligen Exportrestriktionen auf der Aktionärshauptversammlung bekräftigt hatte. Ein Grund für die Entlassung ist offiziell nicht bekannt. Das Unternehmen gab an, der neue Kurs werde auch ohne Scheuch weitergeführt.

In jedem Fall wären die neuen Exportregeln, insofern sich H&K nach Abwicklung der Altverträge an diese hält, eine weltweit einmalige Art der Selbstregulierung in der Rüstungsbranche. Heckler & Koch hätte damit eine restriktivere Exportpolitik als die letzte schwarz-rote Bundesregierung. Plötzlich wäre das mutmaßlich „tödlichste Unternehmen Deutschlands" ein Vorbild für seine Branche. Von den fünf großen deutschen Waffenkonzernen Rheinmetall Defence, Krauss-Maffei Wegmann, Diehl Defence, Airbus Defence und Thyssenkrupp Marine Systems sind keinerlei derartige Töne zu vernehmen.

USA: Ran an den Massenmarkt

Diese fünf wollen anscheinend weitermachen wie bisher: Rheinmetall lässt laut Recherchen von Correctiv und Stern seit Ende Juni über ein Joint Venture mit der türkischen Firma BMC in Karasu an der Schwarzmeerküste eine Fabrik errichten, die auch Kampfpanzer herstellen wird. Eine Rheinmetall-Tochter kooperiert mit Militärfirmen in den VAE sowie Saudi-Arabien. Krauss-Maffei Wegmann exportierte jüngst die neuen Leopard-Panzer an das Emirat Katar. Obwohl Saudi-Arabien und die VAE derzeit den Jemen in Schutt und Asche bomben, können sie sich anscheinend weiter auf deutsche Waffenlieferungen verlassen.

Heckler & Koch konzentriert sich stattdessen auf den NATO-Raum. 2016 sicherte sich das Oberndorfer Unternehmen zwei Großaufträge: H&K liefert das neue Standard-Sturmgewehr für die Armeen von Frankreich und Litauen und rüstet die Polizeibehörden in Niedersachsen und Baden-Württemberg, Sachsen, Bremen, Niedersachsen, Brandenburg und Hamburg mit tausenden Waffen auf.

Über die Hälfte der H&K-Waffenexporte geht indessen in die USA. Allein die Verkäufe auf dem „zivilen US-Markt" machten 2016 fast 40 Prozent des Umsatzes aus. Seit Frühling 2017 baut H&K im Bundesstaat Georgia eine Waffenfabrik, auch dort sollen „zivile" Waffen hergestellt werden - Sport- und Jagdgewehre sowie Pistolen. Die USA sind nach wie vor der größte Markt für Kleinwaffen weltweit.

Zum Original