Beate Wand

(Reise-)Journalistin + Ökologin, Text + Bild, Hamburg

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Reportage

Ferien in Pommerby

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Wildpferde und Schottische Hochlandrinder fressen für die Vögel im Naturschutzgebiet Geltinger Birk ein Paradies. Doch auch Menschen sind begeistert von Wellen, Wind und Weite, genießen Ruhe und Abgeschiedenheit am Nordostzipfel Schleswig-Holsteins.

Im Topf brodelt eine rote Masse. Margarete Lidman rührt sie mit dem Holzlöffel um. Morgens befreit sie die Büsche in ihrem Garten hinterm Deich von der Last reifer Früchte. Wenn ihre Pensionsgäste gefrühstückt haben und Ruhe in der riesigen Küche einkehrt, kocht die Wirtin Marmelade daraus. So rot, wie die Erdbeeren und Johannisbeeren auf dem Herd blubbern, so rot strahlen auch die Kringel des Leuchtturms Falshöft. Er steht – umgeben von ein paar Schafen – vor dem Deich und ist ein echter Hingucker: Von der Dachterrasse, aus dem Frühstücksraum, von den Balkonen, aus dem Garten, auf dem kurzen Weg zum Ostseestrand – überall verfeinert der Signalgeber das Panorama.
Einst wies sein Orientierungsfeuer Seefahrer auf die Untiefen Kalkgrund und Bredgrund in der Einfahrt der Flensburger Förde hin. Doch seit die Kapitäne ihre Schiffe per GPS navigieren, verlieren die Seezeichen an den Küsten ihre Bedeutung. So erlosch das Feuer auf Falshöft 2002 nach nur 92 Jahren. Heute brennt es als weißes Festlicht wieder. Das Amt Geltinger Bucht kaufte den denkmalgeschützten Leuchtturm und traut darin heiratswillige Paare. Im Kleid der dänischen Nationalfarben signalisiert der Turm auch, dass es nicht mehr weit ist bis ins nordische Nachbarland. Und der Name der Gemeinde, auf der er fußt, klingt als sei er nordeuropäischer Kinderliteratur entsprungen: Pommerby, sprich: Pommerbü.
ZÜ: Einmal um die Birk
Rund vier Kilometer westlich des Leuchtturms ragt eine andere Landmarke in die Höhe: Die Mühle Charlotte. Sie steht am Geltinger Noor, einem geschützten Flachwasserbereich, der von der Geltinger Bucht am südlichen Auslauf der Flensburger Förde abzweigt. Zwischen Mühle und Leuchtturm schiebt sich eine Landzunge ins Wasser, die Außenförde und Ostsee voneinander trennt: Die Geltinger Birk. Sowohl die Mühle als auch der Leuchtturm eignen sich als Ausgangspunkt für die etwa 13 Kilometer lange Wanderung um die Birk. Etwa zwei Drittel des Weges laufen durch das Naturschutzgebiet Geltinger Birk. An beiden Küsten, im Noor und zur Spitze der Landzunge hin schafft es besonders für Vögel einen wertvollen Rückzugraum.
Wer von der Mühle Charlotte bei Goldhöft zur „Birk-Umrundung“ startet, kann sich vorher noch am Birk-Kiosk stärken. Das Angebot an der zu einem kleinen Gartencafé ausgebauten, hübsch mit Blumen dekorierten Bude reicht weit über kiosk-übliche Postkarten, Eis und Schokoriegel hinaus: Selbstgekochte Möhren-Ingwer-Orangen-Suppe, Kräuter-Ziegen-Frischkäse-Bällchen mit Antipasti und Taboulé mit Falafel überraschen an einem Selbstbedienungs-Imbiss kurz vor dem „lands end“ am Nordostzipfel Deutschlands. Mit Bio-Pfefferbeißern vom Angler Sattelschwein rundet eine regionale Spezialität das Angebot ab: Diese Haustierrasse wurde hier in Angeln, so heißt der Landstrich zwischen Flensburger Förde, Schlei und Ostsee, gezüchtet und wäre fast ausgestorben. Mittlerweile dürfen wieder einige Exemplare der robusten, dunkel-hell-dunkel gestreiften Landschweine auf Biohöfen draußen im Dreck suhlen.
ZÜ Vom Winde gekrümmt
Wind empfängt uns auf dem Weg zur Mühle. Ihre Flügel sind gerade lahmgelegt, da zwei Reetdachdecker auf Leitern der Charlotte klopfend und schraubend ein neues Kleid verpassen. Hinter dem leichten Wegeknick vom Noor zur Bucht beugen sich an der Uferseite skurrile Bäume über den Weg. Windflüchter nennen die Einheimischen diese manchmal wie Fabelwesen anmutenden Gestalten. An der Landseite grasen entfernt Rinder auf einer wilden Weide. Schottische Hochlandrinder. Sie sollen zusammen mit Wildpferden im Naturschutzgebiet unerwünschte Pflanzen wegknabbern. Der Weg verjüngt sich zum Pfad. Hohes Schilf an der Uferseite fängt den Wind ab, der nun nur noch sanft über die nackten Arme und Beine streicht. Die Sonne wärmt von hinten. Ein Plätschern unsichtbarer Wellen untermalt das vielstimmige Konzert, das die Vögel zur Mittagszeit geben. Ab und an drängeln sich überfliegende Enten und Gänse mit ihrem Knäken etwas kakophon dazwischen. Dann schluckt ein Gebüschtunnel den Pfad und bringt die Wanderer in den Gespensterwald.
Fast 400 Jahre alt sind viele der Buchen und Eichen darin. Ihre dicken Äste schlängeln sich durchs grüne Laub, krönen so manchen Stamm mit einem reich verzweigten Holzgeweih. Wind krümmte den Wuchs und wahrscheinlich wurden die Bäume immer wieder geschlagen, wenn man auf dem alten Meierhof Beveroe heizen oder bauen musste. Am Ende des Wäldchens sonnt sich die rote NABU-Infohütte. Von ihrer Veranda genießt man direkten Blick auf die Lagune. Eine weit in die Geltinger Bucht hineinreichende Seegraswiese schirmt sie von der Förde ab. Nadine Menke blickt dort oben durch das Spektiv. Die Ökologie-Studentin will ihre Vogelkenntnisse vertiefen und arbeitet in dieser Zug- und Brutsaison als Naturschutzwartin für den NABU. Jetzt, wo die Vögel fertig gebrütet haben und noch keine Hauptzugzeit ist, kümmert sich Nadine vorwiegend um die Gäste: Sie bietet vogelkundliche Wanderungen an und hängt die aktuellen Ergebnisse ihrer Zählungen aus. Auch interessierte Besucher dürfen durch das Spektiv beobachten, wer sich in der Lagune den Magen füllt.
Ein paar Alpenstrandläufer – zu erkennen am schwarzen Bauch – tänzeln über die seichten Pfützen. Sandregenpfeifer mit dunklem Halsring hüpfen herum und ein Rotschenkel stapft durch den Schlick. Außerdem finden sich noch ein vier Wochen altes Brandgansküken und ein Schwan zum gemeinsamen Mahl ein. Rund 200 Vogelarten rasten, brüten oder überwintern auf der Birk. Fast täglich ist der Seeadler zu beobachten. Graugans, Kranich, Tüpfelralle, Mittelsäger, Feldlerche, Neuntöter und weitere Singvögel brüten hier. Viele Entenarten, Ohrentaucher, Zwerg-und Gänsesäger zählen zu den zahlreichen Wat- und Wasservögeln, die hindurchziehen. „Wenn im Frühjahr morgens noch der Nebel wabert, kann man die Vögel vom Himmel greifen, so niedrig fliegen sie“, denkt Nadine Menke daran zurück, wie sie bei den Minusgraden des späten Wintereinbruchs in diesem Jahr draußen ausharrte. Doch sie fühlt sich mehr als entschädigt: „Es ist ein echt irres Gefühl, wenn mehrere 10.000 Finken so dicht über einen hinwegfliegen. So etwas erlebt man sonst nicht.“
ZÜ: Bewegte Birk
Ab Spätsommer darf sich die Oldenburger Studentin wieder auf ihren Lieblingsplatz setzen, eine Bank am Ende des Pfadstücks auf dem Deich. Dort beobachtet sie morgens oder abends das Flugbild und lauscht den Zugrufen ziehender Vögel, um die Art zu bestimmen. „Die Bachstelze ist mein Liebling. Sie fliegt richtig wellenförmig und stößt dabei ein scharfes `tschitschilp´ aus“, beschreibt die junge Dame mit wehenden blonden Haaren, woran sie die Überflieger erkennt. Ein Stück hinter Nadines „Zugbank“ krümmt sich der Weg am Birknack und läuft fortan mit etwas Abstand zu dem hier und da hell aufleuchtenden Ostseestrand entlang. Das Nack, die äußerste Spitze der Birk, steht seit 1934 unter Naturschutz. Nach und nach erweiterte man die Schutzzone auf 773 Hektar. Ihre heutige Form nahm die Landzunge erst ab 1821 an. Die damaligen Bewohner deichten das Große Noor ein, vor dem Beveroe als Insel lag. Dadurch gestalteten sie die Birk zu einer durchgehenden Landfläche um. Die Charlotte und noch eine weitere Windmühle schöpften das Wasser aus der eingedeichten Niederung. Künftig soll der Wasserspiegel von 3,20 Meter unter dem Meeresspiegel wieder auf einen Meter unter Normalnull angehoben werden. Damit böte die Birk Brutvögeln wie Bekassine, Kiebitz und Rotschenkel noch bessere Bedingungen.
Tritt man aus dem kleinen Eichenkratt kurz hinter dem Aussichtsturm, fallen außer dem Leuchtturm Falshöft noch die bereitliegenden Rohre für den neuen Sturmflut-Simulator ins Auge: Ein Einstrombauwerk soll etwa viermal pro Jahr Ostseewasser ins Gebiet pumpen, um salzertragende Pflanzen zu locken. Salzwiesen würden die von Rindern und Koniks kurzgefressenen Weiden mit einigen Büschen und Bäumen, die Strandbereiche sowie das seichte Wasser in Noor und Lagune um einen weiteren Lebensraumtyp ergänzen. Es wird spannend sein, wie sich die geplante Wiedervernässung auf die Natur auswirkt. Bestimmt findet sich da ein passendes Thema für die Masterarbeit von Nadine Menke. Die Vogelexpertin kann sich gut vorstellen, noch einmal für längere Zeit wiederzukommen. Die Birk ist ihr ans Herz gewachsen. „Sie ist einfach schön“, urteilt die angehende Ökologin.

INFOKÄSTEN

i = INFO Whale Watching
Die Flensburger Förde gilt als „sehr wichtiges Gebiet“ für Schweinswale (Phocoena phocoena). Es sind die einzigen Wale, die in der westlichen Ostsee Junge bekommen. Mit bis zu 2,5 Metern Körperlänge zählen sie zu den kleinen Walarten. Nach sieben Minuten müssen die Tiere mit gedrungenem Körper, rundem Kopf und stumpfer Schnauze auftauchen, um Luft zu holen. Dabei stoßen sie ein Geräusch aus, das an Schweine erinnert. Die bedrohte Delfinart landet oft unbeabsichtigt in Grundstellnetzen. Besonders seit den letzten 50 Jahren sollen die Bestände stark schrumpfen. Wer vom Wanderweg oder dem Aussichtsturm genau hinsieht, entdeckt vielleicht einen der Meeressäuger mit dem dunklen Rücken – sie können bis zu 1,50 Meter aus dem Wasser springen.

i = INFO Hochlandrinder und Wildpferde
Rund 300 Schottische Hochlandrinder und 60 Koniks grasen in der Geltinger Birk. Konik heißt auf Polnisch „kleines Pferdchen“ und stammt vom europäischen Wildpferd, dem Tarpan, ab. Pferde und Rinder ergänzen sich perfekt, da sie unterschiedliche Gräser fressen. Sie sollen für den Naturschutz die Weiden „halboffen“ halten, also verhindern, dass Büsche und Schilf alles überwuchern. Damit schaffen sie für viele Vögel attraktives Gelände mit ausreichend Schutz zum Brüten und Rasten. Sehr erfolgreich: Viele seltene Tier- und Pflanzenarten, die solch einen Lebensraum benötigen, sind bereits zurückgekehrt. Sowohl Schottische Hochlandrinder als auch Koniks sind robust. Sie kommen gut auf sumpfigem Gelände zurecht und können das ganze Jahr draußen verbringen. Nur in strengen Wintern mit einer über längere Zeit geschlossenen Schneedecke füttern die Betreuer Heu zu (Verein Wildpferde Geltinger Birk e.V. und Rinderhalter Petersen, www.naturschutzhof2000.de).