Bastian Benrath

Redakteur, Frankfurt am Main

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Reportage

Der Lohn der Wurst

Die Debatte um den Mindestlohn macht auch vor der Currywurst nicht Halt: Ein befürwortender Unternehmer und ein ablehnender Funktionär argumentieren

Bewerbungsreportage für die Deutsche Journalistenschule, Januar 2014
von Bastian Benrath

Seine Currywurst ist dem Berliner wichtig. Klassisch darf sie keinen Darm haben – auf eine verkaufte Wurst mit „Pelle“ kommen zwei ohne – und zu teuer darf sie nicht sein. Doch da beginnt das Problem. Denn was bekommt derjenige, der die Currywurst herstellt, dafür, dass die Wurst auf den Teller – stilechter: in die Pappschale – kommt? Eine Frage, über die sich der gemeine Imbissbesucher eher selten Gedanken macht. Dennoch wurde die Currywurst kürzlich in die Diskussion um den Mindestlohn hineingezogen; eine Debatte, die zumeist hoch emotional geführt wird, bei näherem Hinschauen aber vor allem eins offenbart: Es geht um Macht.
Um sicherzustellen, dass auf dem Weg zur Currywurst jeder Arbeiter seinen fairen Anteil bekommt, haben sich die Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss und die zuständige Gewerkschaft NGG am vergangenen Dienstag auf einen Mindestlohn im fleischverarbeitenden Gewerbe geeinigt. 7,75 Euro soll jeder Angestellte pro Stunde bekommen, wirksam ab Juli.
„Überfällig“ nennt das der Mann, dessen Firma als einzige berechtigt ist, ihre Currywurst unter dem Slogan „det Orijinal“ zu verkaufen – sie nimmt für sich in Anspruch, sowohl die Wurst ohne Darm, als auch die ursprüngliche Currysauce erfunden zu haben. Winfried Koch ist Geschäftsführer der Maximilian Fleischwaren GmbH, einer mittelständischen Fleischerei, die mit ihren 25 Mitarbeitern in einer Neuköllner Nebenstraße beheimatet ist.
Über ihrem Gelände mit firmeneigener Imbissbude hängt drückend grau der Berliner Januarhimmel. Draußen werden Paletten mit eingeschweißten Würsten in Lieferwagen verladen, jeder der Fahrer hat rund 50 zu beliefernde Imbisse auf seiner Liste. Koch sitzt im Fleischerkittel an seinem Schreibtisch im winzigen Büro der Geschäftsführung und bringt seine Einstellung zum Geschäft auf einen einfachen Satz: „Man muss der Sache Leben einhauchen.“
In Kochs Sätzen kommen häufig Wörter wie „Markt“, „Markenkern“, „Produkt“ und „Potenzial“ vor. Er ist Unternehmer und Innovator mit Leib und Seele; jemand, der für seine Arbeit brennt und gerne von seinen Erfolgen spricht. Trotzdem ist Maximilian ein Handwerksbetrieb, Fließbänder sucht man in der Produktionshalle vergebens. Und trotzdem zahlt er allen seinen Angestellten jetzt schon mehr als 8,50 Euro pro Stunde – das Niveau, das die neue Bundesregierung als gesetzlichen Mindestlohn festschreiben will. „Jeder Lohn unter 8,50 Euro bedeutet, seine Angestellten unter ihr Existenzminimum zu drücken“, sagt Koch mit Nachdruck. Die Initiative der Regierung begrüßt er, weil dadurch die „Wettbewerbsverzerrungen durch Dumpinglöhne“ endlich aufgehoben würden. Und schließlich: „Alle guten Unternehmen in der deutschen Wirtschaft sehen den Mindestlohn völlig unaufgeregt, weil sie sowieso schon längst Löhne darüber zahlen.“
Einen Tag später bekommt Christoph von Hammerstein in seinem holzgetäfelten Büro von einer Assitentin eine Tasse Kaffee serviert. Im wuchtigen Gebäudes des Zentralverbands des deutschen Handwerks (ZDH) in Berlin-Mitte ist sein Zimmer als Mitglied der Geschäftsführung im siebten Stock. Bedeutet 8,50 Euro das Existenzminimum? Macht ein Mindestlohn den Wettbewerb fairer? Zahlen die meisten sowieso schon mehr? Von Hammerstein nickt bei jeder von Kochs Thesen. Trotzdem ist der ZDH im Grundsatz gegen die Mindestlohn-Pläne der Bundesregierung, während Maximilian Fleischwaren – noch dazu als Handwerksbetrieb, der vom Verband vertreten wird – dafür ist. „Wir werden diesen gesetzlichen Mindestlohn nicht frontal angreifen“, sagt von Hammerstein etwas umständlich.
Der Grund für seine grundsätzliche Ablehnung liegt darin, dass der gesetzliche Mindestlohn vom Staat festgelegt werden soll – nicht wie die Branchen-Mindestlöhne, zum Beispiel der kürzlich beschlossene in der Fleischverarbeitung, von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Dafür gäbe es stattdessen eine Lohnuntergrenze, die für alle Beschäftigten in Deutschland gleichermaßen bindend wäre. „Rasenmähermethode“ nennt das von Hammerstein und kommt in Fahrt. Er pocht auf Besonderheiten in Branchen und Regionen, nach denen ein Mindestlohn ausdifferenziert werden müsse. Was er nicht sagt, ist, dass die Arbeitgeber – und mit ihnen der ZDH – durch einem gesetzlichen Mindestlohn auch einen Teil ihrer Macht einbüßten.
Wer bei der Festlegung von Löhnen genau wie viel Macht hat, das ist dem gemeinen Imbissbesucher vermutlich egal. Wichtig ist ihm hingegen, dass er genug Geld für seine Currywurst hat. Winfried Koch bekommt das zu spüren: Viele Imbissbetreiber drängen ihn, seine Preise zu senken. Vom durchschnittlichen Preis von 1,80 Euro für eine Currywurst wollen sie auf 1,60 Euro heruntergehen – Kunden klagten. Dass offenbar 20 Cent für den Verbraucher zwischen kaufen und nicht kaufen entscheiden, lässt vielleicht die Lohnsituation in Deutschland in neuem Licht erscheinen.