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Opfer, Täterin, so vieles mehr - Missy Magazine


Mein Ruf ist der Beweis, dass diese Scheiße echt ist / Ich steh zu meinen Taten, das ist mein Geständnis“, rappte Schwesta Ewa schon auf ihrem letzten Album „Aywa“, auf dem sie offen von ihren Verbrechen erzählt. Etwas von einem Geständnis hat auch ihre kürzlich erschienene Autobiografie „Enthüllungen“. Dass Schwesta Ewa als einzige deutsche Rapperin so oft in den Schlagzeilen landet, liegt bei der Künstlerin, die mit bürgerlichem Namen Ewa Malanda heißt, nicht nur an der Musik, sondern auch am Lebenslauf: Sie war zuerst Sexarbeiterin, dann Zuhälterin und Rapperin. Bekannt wurde sie, als sie u. a. wegen Menschenhandels vor Gericht stand und schließlich wegen Steuerhinterziehung und Körperverletzung zu rund zweieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Mittlerweile ist sie Mutter geworden und wartet auf den Haftvollzug.

In „Enthüllungen“ beschreibt Schwesta Ewa, wie sie als Kind aus Polen fliehen musste. Wochenlang schläft sie mit ihrer Mutter in Kiel in einem Park und lernt von ihr, Lebensmittel zu klauen. Als die beiden einen Platz im Frauenhaus bekommen, wird nicht alles besser: Sie wird von den anderen Kindern dort rassistisch beleidigt und schikaniert. Auch ihre Mutter ist dem Rassismus der anderen Frauen ausgesetzt. Nach der Zeit im Frauenhaus erwartet die kleine Ewa auch keine rosige Kindheit. Ihre Mutter schlägt sie, von einem erwachsenen Bekannten wird sie vergewaltigt. Diese Szenen schildert sie mal nüchtern, mal eindringlich, hält allerdings nie inne, um sie zu reflektieren. Der Text ist, obwohl er einfach zu lesen ist, wegen des Inhalts schwer zu verdauen.

Die Familie zieht in eine Kieler Hochhaussiedlung, in der Ewa sich wohlfühlt, weil sie von anderen migrantischen Kindern umgeben ist: Sie gründen eine Gang und klauen sich ihre Existenz zusammen. Doch es ist nicht allein die finanzielle Not, die sie später zur Prostitu- tion bringt: Als Barkeeperin lernt sie mit 16 Jahren Prostituierte, Zuhälter und Freier kennen und ist so beeindruckt vom Lifestyle der Sexarbeiterinnen, dass sie auch eine werden will. Nach einer Odyssee, die nach Dänemark führt, und vielen Hürden (u. a. Inhaftierung, knappes Entkommen von Menschenhändlern und Abschiebung nach Polen) kommt sie endlich in Bonn an und verdient anschließend in Frankfurt als „stolze Nutte“ gutes Geld. In Bonn lernt sie auch den Rapper Xatar kennen, der ihr später zur Rapkarriere verhelfen soll. Und dort gerät sie an die Droge Crack, die sie auf die Straßenstriche in verschiedenen deutschen Städten treibt. „Die Realität ist: Wenn du eine Nutte bist, bist du eine Nutte. Die Leute scheißen auf dich. Du bist in der sozialen Hierarchie das unterste Glied. Sogar Dealer haben eine bessere Stellung“, reflektiert Schwesta Ewa über ihre Zeit als Prostituierte. Sie beobachtet auf dem Straßenstrich auch, dass es einen Unterschied zwischen einigen Migrantinnen und deutschen Mädchen gibt: „Ich habe tatsächlich niemals eine deutsche Zwangsprostituierte getroffen. Nur die Mädchen aus dem Ostblock. Alle deutschen Mädchen, die ich kenne, sind freiwillig anschaffen gegangen. Freiwillig, im weitesten Sinne.“

Und doch ist Schwesta Ewa kein Opfer, so wie die Gesellschaft Sexarbeiter*innen gerne haben würde. Das bürgerliche Feuilleton diskutiert sogar regelmäßig, ob sie Feministin sei. Sie entspricht keinen gängigen feministischen Narrativen über Sexarbeiter*innen und wird von Feminist*innen an den Rand geschoben, weil sie die Realität komplexer zu machen scheint, als sie sein soll. Ewa bestätigt weder das Narrativ, dass Sexarbeit „ein ganz normaler Beruf“ sei und freiwillig ausgeübt werde, das unter liberalen Feminist*innen verbreitet ist, noch lässt sie sich in die Opferposition zwängen, die Sexarbeiter*innen bei einigen Radikalfeminist*innen innehaben. Es ist auch kein Zufall, dass bei liberalen Feminist*innen Sexarbeiter*innen Ausgangspunkt für den Diskurs sind, die deutsch und akademisiert sind und Sexarbeit als feministische Selbstermächtigung verstehen statt als sehr prekäre Lohnarbeit, die sie für die meisten in der Branche ist. Mit der drogenabhängi- gen Hure, die wie Ewa auf dem Straßenstrich steht, kann sich die durchschnittliche Feministin eher nicht identifizieren.

Doch Schwesta Ewa ist unter Feminist*innen auch wegen ihrer Vergangenheit als Zuhälterin unbeliebt. Auch beschreibt sie, wie sie oftmals nach unten tritt: Seien es diskriminierende Äußerungen, Gewalt gegenüber einer trans Sexarbeiterin, der sie auf dem Berliner Straßenstrich begegnet, oder auch, dass sie die Frauen schlägt, die später für sie anschaffen gehen. Es wäre vorbildlich, aber nicht sehr realistisch, wenn jemand mit einer Biografie wie Schwesta Ewa einen moralisch einwandfreien Lebenslauf vorweisen könnte. Ihre Nähe zu einem gewalttätigen Milieu paart sich auch mit einem generellen Opportunismus: Schwesta Ewa will Geld machen, weiterkommen, raus aus der Scheiße. So gerät sie, wie sie schreibt, aus Versehen ans Rappen: Eigentlich will sie nur als Promo für Sexarbeit ein Musikvideo drehen. Als ihr Rap-Mentor Xatar nach einiger Zeit vorschlägt, dass sie sich eine Facebookseite zulegen soll, antwortet sie: „Ich will gefickt und nicht geliket werden.“ Bis sie den Rap doch zur Karriere macht – und hier wird das Buch auch lustiger: Ihre ersten Schritte im Rap- und Escort-Business passen in ihrer Unbeholfenheit gut zum lockeren Stil des Texts.

Schon im Titel des Buchs beschreibt Ewa das eigentliche Problem: Nicht der Freier, sondern das Leben fickt am härtesten. Es sind nämlich vor allem die Armut und die Gewalt, die sie in prekäre Situationen bringen. Die Abschaffung von Prostitution würde nichts an solchen Lebensrealitäten ändern, in denen Menschen, die von der Gesellschaft geächtet werden, in Gewaltkreisläufen gefangen sind, bis sie schließlich, wie Ewa, sehr bald wieder im Gefängnis landen. Individuelle Gewalt ist immer auch Abbild der gesellschaftlichen Ge- waltverhältnisse – und diese gilt es zu verstehen. Schwesta Ewa ist Opfer, sie ist Täterin, und sie ist so vieles mehr.


Schwesta Ewa „Enthüllungen. Das Leben fickt am härtesten“ Riva, 208 S., 19,99 Euro

Dieser Text erschien zuerst in Missy 05/19.

 

 


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