Mit 117 Jahren gestorben Addio Emma!
Emma Morano war der letzte Mensch der Welt, der noch drei
Jahrhunderte erlebt hat. Für ihr hohes Alter machte sie eine einfache
Diät verantwortlich.
Emma Morano war mit 117 Jahren und 137 Tagen der älteste lebende Mensch der Welt. Sie war ein Original: Lebenslustig, weise und zugleich bescheiden war die alte Signora vielen ein Vorbild. Auch die Mitarbeiterin der F.A.Z. durfte sie kurz vor ihrem Geburtstag Ende November so kennenlernen. Bei dem Besuch Mitte November saß sie gut gelaunt und in ein warmes Wolltuch gehüllt in ihrem Schlafzimmer. Ein zartes Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie von ihrem langen Leben sprach und von den Gebeten, die sie Tag für Tag für ihre Liebsten und für verstorbene Familienmitglieder nach oben richtete. Vor allem der Rosenkranz war – wie für viele ältere Italienerinnen – ein festes Ritual. Das mitgebrachte Heiligenbild mit der Madonna und Schutzheiligen der Kirche San Vittore auf der kleinen Isola dei Pescatori und ein neuer, funkelnder Rosenkranz bereiteten Emma sichtlich Freude.
Nun ist Emma am Samstag des Osterwochenendes friedlich in ihrem Heimatort Pallanza, einem Stadtteil von Verbania (Region Piemont) eingeschlafen. Morano war tief in ihrem katholischen Glauben verwurzelt und vertraute darauf, dass auch der Tod ihr kein Unglück bringen würde. Nichtsdestotrotz genoss sie ihr Leben und äußerte immer wieder, es mit dem Sterben nicht eilig zu haben. Jeder, der Emma Morano kennenlernen durfte, wird sich gerne an sie und ihre liebenswerte Art erinnern.
Bis zum Schluss wohnte die freundliche Dame bei wachem Geiste in ihrer kleinen Wohnung direkt am Lago Maggiore. Vor wenigen Wochen berichtete die Nichte Antonietta, wie sich Emmas Zustand nach ihrem Geburtstag verschlechtert habe. Als sie am Nachmittag des 15. April kurz vor 17 Uhr zusammen mit Emmas Nichte Rosi und der Pflegerin nach der auf dem Sofa schlafenden Seniorin schauten, merkten sie, dass sie nicht mehr atmete. Ihr Hausarzt Carlo Bava äußerte sich am Tag ihres Todes zu den letzten Monaten ihres Lebens: „Wir hatten sie wieder stabilisiert, doch in den letzten Wochen ging es wieder bergab.“ Wie Doktor Bava bestätigt, starb sie ohne zu leiden: „Das ist uns ein Trost. Noch bei meinem Besuch gestern hat sie mich begrüßt und sich bei mir bedankt.“
Doch Emmas Leidensfähigkeit war in jungen Jahren zur Genüge getestet worden. In ihren frühen Zwanzigern litt sie an Eisenmangel – seitdem hielt sie die von ihrem damaligen Arzt verschriebene Diät mit täglich mehreren rohen Eiern ein. In ihrer Ehe litt sie unter den Gewaltausbrüchen ihres Ehemannes und zu allem Übel starb auch noch ihr einziges Kind im Säuglingsalter.
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Aber Emma kämpfte sich zurück ins Leben: Sie beharrte auf ihrer Unabhängigkeit, trennte sich von ihrem Ehemann und arbeitete bis über das Rentenalter hinaus hart. Nachdem sie pensioniert wurde, bekochte sie bis sie 70 Jahre alt wurde ihre Mitmenschen in der Küche des katholischen Collegio „Santa Maria“. Trotzdem gelang es ihr, sich ihr sonniges Gemüt zu erhalten und die kleinen Freuden des Lebens auszukosten. Sie liebte Nougatpralinen aus piemontesischen Haselnüssen, Honig und ab und zu einen Grappa. Vor allem aber liebte Signora Morano die Musik: Als junge Frau tanzte sie gerne, schlich sich dann und wann mit ihren Schwestern für einen unbeschwerten Abend aus dem Elternhaus. Bis ins hohe Alter sang sie mit Leidenschaft und war stolz auf ihre Stimme. Oft stimmte sie ihr Lieblingslied „Parlami d’amore Mariù“ (deutsch: „Erzähl mir von der Liebe, Mariù“) an – so auch bei unserem Besuch. Der Schlager erlangte in ihrer Jugend 1932 Berühmheit, gesungen von Vittorio de Sica im Film „Gli uomini, che mascalzoni“ (deutsch: „Die Männer, was für Schufte“). Ein Leben lang begleitete Emma das Lied.
Zu ihrem Lebensabend wurde Signora Emma die späte Ehre als Galionsfigur des Feminismus zu teil: Das Literaturfestival „Verbania for Women“ wählte Emma als Symbol. Die Schriftstellerin Mariangela Camocardi widmete ihr 2016 ein Musical, in dem sie Emmas Leben sowie Italiens Geschichte von 1899 bis in die Gegenwart beleuchtete. Zu Emmas Tod äußerte sie sich gegenüber der F.A.Z.: „Emma Morano war eine großartige Frau und uns allen ein Vorbild, vor allem mit ihrer großen Demut und ihrem Willen zur Unabhängigkeit. Mit Stolz sagte sie mir: ‚Ich habe gearbeitet, bis ich 70 war.‘ Sie wird mir sehr fehlen“. Gut einen Monat vor Moranos Ableben wurde ihr am internationalen Frauentag am 8. März eine große Goldmünze in Erinnerung an ihr Leben und die Lira gewidmet. Als die 16 Jahre alte Signorina Emma in Pallanza in der Jutefabrik Maioni ihren Dienst antrat, verdiente sie täglich zwei Lire.
© EPA Emma Morano neben einem Porträt, das sie als junge Frau zeigt.
Seit dem 12. Mai 2016 hatte Morano den Rekord als ältester lebender Mensch der Welt inne. Als Geschenk zu ihrem letzten Geburtstag bekam sie eine eigene Fanpage bei Facebook. Am 29. November 1899 erblickte die Norditalienerin im kleinen Bergdorf Civiasco (Provinz Vercelli) das Licht der Welt. Damit war sie die letzte lebende Person gewesen, die drei Jahrhunderte erlebt hat. Seit dem 2. April 2013 war die Italienerin die älteste lebende Person Europas gewesen. Zudem ist sie der fünft älteste Mensch aller Zeiten. Der offiziell älteste Mensch aller Zeiten ist die Französin Jeanne Calment. Sie wurde 122 Jahre und 164 Tage alt. Bei den sogenannten „Supercentenarians“ – das sind Menschen, die mindestens 110 Jahre alt wurden – werden in den Ranglisten nicht nur Lebensjahre und Monate, sondern jeder einzelne Tag gezählt. Frei nach dem Motto „Carpe diem“ bietet das eine schöne Erinnerung, jeden Tag zu nutzen und das Beste daraus zu machen. Emmas Nachfolgerin als älteste lebende Person der Welt ist die Jamaikanerin Violet Brown. Sie wurde am 10. März 1900 geboren und feierte vor kurzem ihren 117. Geburtstag. Darauf folgen Nabi Tajima (* 4. August 1900) und Chiyo Miyako (* 2. Mai 1901), beides Japanerinnen. Die älteste lebende Europäerin ist nun die 115 Jahre alte Spanierin Ana Vela-Rubio.
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