Es wird nicht demonstriert. Das ist zu gefährlich. Wegen der Proteste haben die belarussischen Behörden viele neue Gesetze erlassen, um Demonstranten härter zu bestrafen. Vor zehn Jahren bekam man dafür fünfzehn Tage Arrest unter mehr oder weniger vernünftigen Bedingungen. Jetzt sind Demonstrationen eine Straftat, kriminell. Viele bekamen zwei, drei Jahre Haft für irgendeinen Unsinn. Und du liegst in einer kalten Zelle ohne normale Kleidung, weil das, was Freunde für dich abliefern, nicht weitergegeben wird. Dann wirst du noch krank. Es ist einfach dumm rauszugehen. Es könnte eine Komödie sein, wenn es nicht so tragisch wäre.
Sind die Menschen erschöpft?Niemand in Belarus ist erschöpft. Die Belarussen haben Partisanenwurzeln, das wurde über Jahrhunderte kultiviert. Auf diesem Territorium wurde immer wieder Krieg geführt, zuerst gegen das Moskauer Fürstentum, dann gegen Russland, dann gegen Schweden. Wir waren Teil der Litauischen Union, dann der Union mit Polen, deshalb ist es für Belarussen normal, Dinge im Stillen zu tun. Die Unzufriedenheit verschwindet nicht. Die Wut und der Hass der Menschen sind nicht weg. Die Menschen sind bereit, sie warten nur.
Sie selbst sind seit Jahren Repressalien ausgesetzt.Meine Band Krambambulya und ich stehen seit ungefähr zehn Jahren auf der schwarzen Liste. Seit wir verboten sind, spielen wir Untergrundkonzerte. Als wir nicht verboten waren, spielten wir halb verboten Konzerte. Wir waren von staatlicher Seite keine „empfehlenswerten Künstler", im Fernsehen oder im Radio wurden wir nicht gespielt, die staatliche Presse ignorierte uns. Open-Air-Auftritte im Zentrum von Minsk waren ausgeschlossen. Als die schwedische Botschaft uns zu einem Projekt einladen wollte, erklärte die Stadtverwaltung, Projekte mit uns dürfe es nicht geben.
Wie steht es um die Kultur in Belarus?Seit 28 Jahren ist das kulturelle Leben in einem schlechten Zustand. Es wird von kulturfernen Staatsbeamten kontrolliert. Traditionelle belarussische Kultur gibt es natürlich: Klassische Theaterstücke von belarussischen Autoren, die hundert Jahre alt sind. Aber zeitgenössische Kunst oder Rockmusik verstehen sie nicht. Sie wollen einen slawischen Basar mit primitivem Folk und sowjetischer und post-sowjetischer Popkultur. In all den Jahren gab es aber auch eine Gegenkultur, die parallel existierte, deren Ausdrucksmöglichkeiten aber begrenzt sind. Daher können viele von uns sich nur im Ausland verwirklichen, einige in Russland, andere in der Ukraine, wieder andere im Westen.
Die meisten Vertreter der Gegenkultur leben im Ausland. Dass Kunst, die der Staatsdoktrin widerspricht, gefährlich ist, sah man bei den Protesten.Viele Musiker, auch ich, spielten in den Höfen. Das erzeugte Aufmerksamkeit und ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Daher wurden viele Künstler eingesperrt. Fast alle meine Freunde saßen in Untersuchungshaft. Viele gingen ins Ausland. Schon vor den Protesten gab es in der Kunstszene Wut auf die Regierung. Wir haben uns zusammengeschlossen und gemeinsam Musik gegen die Regierung gemacht. Die Regierung setzt faschistische, auch stalinistische Methoden ein, um die Menschen zu unterdrücken. Selbst, wenn jemand per Lautsprecher im Hof Musik abspielt, wird das unterbunden.
In Belarus sprach man lange fast nur Russisch. Seit den Protesten sprechen immer mehr Leute Belarussisch. Wie stehen Sie zur Sprachfrage?Als der Aufstand begann, bekamen viele Musiker, die auf Belarussisch singen, ein großes Publikum. Viele wollten damals belarussische Musik in belarussischer Sprache hören. Es ist meine Sprache, ich spreche sie, ich singe und schreibe in ihr. In Minsk sprechen viele Belarussisch. Früher war die Sprache weniger populär, Belarussisch ist die Sprache der Landbevölkerung und der kreativen Intelligenz. Stadtkinder hat das nicht interessiert, es entsprach nicht ihrer Lebensrealität. Heute ist es die Sprache der gebildeten Masse.