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Russischer Rap: Wer bezahlen will, muss auch weinen

Bei der Protestaktion für den russischen Oppositionsführer Alexej Nawalnyj, die am 21. April Tausende auf Moskaus Straßen brachte, nahmen auch drei populäre Rapper teil, die ihr Treffen in einem Dreierselfie festhielten. Der mit 42 Jahren älteste von ihnen, der aus dem südrussischen Rostow stammende Vladi - mit bürgerlichem Namen Wladislaw Leschkewitsch -, postete das Foto auf Twitter mit der Botschaft: „Ljocha" - das ist die Koseform von Alexej, also Nawalnyj - „schau, was du tust!" Neben Vladi, der für die Gruppe Kasta singt und textet, standen der berühmte Battlerapper Oxxxymiron und der 24 Jahre alte Jungstar Face. Die Solidarität mit dem an Bandscheibenvorfällen leidenden Nawalnyj, der seinen Hungerstreik nach dieser Solidaritätsaktion beendete, brachte neben vielen Regimegegnern auch diese drei ganz unterschiedlichen Popmusiker zusammen.

Vladi hat mit der Hiphop-Gruppe Kasta in Rostow einen Sprechgesang entwickelt, der den Zorn junger Männer inszeniert gegen eine Gesellschaft die sich durch Konsum und soziale Gleichgültigkeit von der brutalen Wirklichkeit abkapselt. In diesen Tagen ist ihr zwei Jahre altes Lied „Geh spazieren" (Wychodi guljat) wieder populär. Das Stück, das in beschwingtem Singsang den Aufruf eines Kinderliedes wiederholt, nicht zu Hause zu hocken, und dazu Videobilder von Sonderpolizisten zeigt, die junge Leute blutig schlagen, entstand unter dem Eindruck der Moskauer Proteste gegen Manipulationen bei den Stadtdumawahlen 2019. Wie bei den Protesten gegen die Inhaftierung und Verurteilung von Nawalnyj in diesem Januar wurden damals friedliche Demonstranten von geharnirschten Polizisten verprügelt und verhaftet.

Das Lied, das dann vorigen Sommer bei der belarussischen Protestbewegung gegen den vermutlich gefälschten Wahlsieg von Präsident Lukaschenka zum Hit wurde, zeigt Gesichter junger Leute und grinsender Schläger, bevor zu den gerappten Versen „Wo wir woll'n kommen wir zusammen, geh'n spazieren wo wir möchten" die Kamera Leute mit Polizeischlagstöcken zeigt, die eine Hetzjagd auf fliehende Zivilisten macht. Den Ausdruck „Spaziergang", den damals Nawalnyj erfunden hatte, weil Demonstrationen der Opposition routinemäßig verboten wurden, machten sich vorigen Sommer auch die belarussischen Lukaschenko-Gegner zu eigen, die bei ihren Spaziergängen dann ebenfalls von Polizisten verfolgt und verprügelt wurden.

Das Musikvideo, das auch jetzt wieder von russischen Youtube-Nutzern dankbar kommentiert wird, versetzt in die Wohnung eines Polizeichefs, den seine Tochter hasst und der Blutflecken an seiner Hand entdeckt, während er sein Spiegelei isst. Er geht ins Bad, um das Blut abzuwaschen, aber die Blutflecken werden immer mehr. Dann sieht man ihn im Kreis seiner Schlägerpolizisten, die ihre Opfer blutig prügeln, foltern und vorführen wie Jäger erlegte Beutetiere. Begleitet von elektronisch verzerrten Bläserklängen ermutigen die Kasta-Rapper „große" Kinder sarkastisch, beim Versteckspiel und dem ewigen Karussell draußen mitzumachen, die Kleinen aber lieber zu Hause zu lassen. Kein Wunder, dass ein für den 7. April geplantes Konzert von Kasta in Minsk von den belarussischen Behörden abgesagt wurde.

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