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Pop-Duo IC3PEAK: An die Grenzen des Machbaren

Auf vielen seiner Clips sieht das Duo von IC3PEAK aus wie Marionetten in einem Puppenspiel. Weiß geschminkt und schwarz gekleidet, bewegen sich die experimentellen Elektro-Musiker Anastasia Kreslina und Nikolai Kostyljow mechanisch, tanzen wie Spieluhrballerinen. Ihre Augen starren ins Leere - und treffen bei mehr als 62 Millionen Hörern auf Youtube den Nerv. Im postsowjetischen Raum gelten sie als Signatur der Zeit.

Die radikal subversive Musik von IC3PEAK (zu übersetzen als „Augen sprechen") handelt von gesellschaftlichen Umbrüchen, Repressionen, häuslicher Gewalt, Geschlechterungerechtigkeit und bedient sich dabei einer Melange aus Sprech- und opernhaftem Gesang, getragen von sowohl klassischen Instrumenten wie auch elektronischen Störgeräuschen, als wollten die Künstler die Grenzen des Machbaren außer Kraft setzen.

Die Clips von IC3PEAK amalgamieren politische Kritik, sozialen Aktionismus, Kino und verarbeiten die Verbitterung von Generationen im postsowjetischen Raum. So in ihrem jüngsten Lied „Marsch", das Präsident Putins Verfassungsreform vom vorigen Jahr, seine abermals ausgeweiteten Vollmachten, aber auch die gewaltsamen Repressionen des belarussischen Regimes gegen friedliche Demonstranten zu kommentieren scheint. Vorigen Sommer gehörte die Gruppe zu den rund hundert russischen Popkünstlern, die sich in einem offenen Brief mit den Protesten gegen die gefälschte Präsidentenwahl in Belarus solidarisierten.

Das Video von „Marsch" zeigt schwarz uniformierte, weiß geschminkte Pioniere mit blutroten Lippen, die in einem Betonkeller mit leerem Blick Blechtrommeln schlagen. Bis ihnen Maschinengewehre in die Hände gedrückt werden, damit sie brav auf Pappsonnen, Regenbogen, Häschen schießen. Die Kindheit ist vorbei, die Marschrichtung vorgegeben. Musikalisch werden kindlich folgsamer Gesang mit Marschklängen und Bässen kombiniert, die an fernes Geschützfeuer erinnern. Die erwachsen Gewordenen erschießen dann wie im Videospiel höchst symbolisch ein Herz und einen Schwan.

„Marsch" versetzt in eine Welt des militärisch strukturierten Überlebenskampfes. Die Machtmaschine hämmert den Menschen ein, sich zu unterwerfen, weil sie keine Chance hätten. Die Figuren im Clip von „Marsch" können weder ihr Leben gestalten noch sich weiterentwickeln. Dabei geht es IC3PEAK nicht nur um Machthaber wie Putin, sondern um das repressive Klima in vielen postsowjetischen Gesellschaften.

Bezeichnend für das Renommee von IC3PEAK ist, dass der angesehene Videoblogger Juri Dud, der mit Beiträgen über Alexej Nawalnyj, aber auch etwa über die ehemaligen Straflager in Kolyma vor allem ein jüngeres Publikum anspricht, vorigen Sommer Kreslina und Kostyljow um ein Gespräch bat. Dabei erzählten die beiden, wie wichtig eine Tournee in den Vereinigten Staaten für ihre Arbeit gewesen sei. In Amerika seien die Leute geradezu fixiert auf ihre Identität und ihre Wurzeln gewesen, erinnerten sie sich. Daraufhin hätten sie, die bis dahin englisch sangen, sich der eigenen Kultur, ihren Besonderheiten und Schönheiten zugewandt. Die jüngsten Alben sind daher überwiegend russisch.

Ein provokanter Denkanstoß

Unterdrückung findet freilich auch innerhalb der Familie statt. Männer nehmen fähige Frauen oft nicht ernst, sagte Kreslina, die Vokalistin und Texterin von IC3PEAK, gegenüber Dud. Als Frau müsse man einem Mann erst beweisen, dass man ebenbürtig ist. Ein Gesetzesprojekt gegen häusliche Gewalt wurde in Russland mehrfach abgelehnt. Um das Problem zu lösen, müsse man zuerst diese privaten Dinge öffentlich machen und diskutieren, glaubt Kreslina. Das versucht IC3PEAK mit dem Lied „Plak Plak" (zu Deutsch: Weine, weine).

Darin spielt ein - wieder „gotisch" weiß geschminktes - Mädchen im dunklen Betonkeller mit einem Puppenpaar, das per Computeranimation als die streitenden Eheleute Kreslina und Kostyljow zum Leben erwacht. „Mama sagt zu mir immer: Hör auf deinen Mann. Ich gehorche nicht, mache alles nur schlimmer", singt Kreslina darin. Die Puppen von Vater und Mutter streiten, er bedroht sie - bis sie ihn mit dem Küchenmesser erdolcht. Hier provoziert innereheliche Gewalt einen Akt weiblicher Emanzipation.

Der ist freilich psychosymbolisch gemeint. Die Gattenmörderin, die auch als multiplizierte Kleinfigur über den Körper des Kindes kriecht, säubert die Puppenstube von weißem Blut. Doch dann betrauert sie mit warmer Gesangsstimme die Vaterfigur in einer wunderschönen russischen Landschaft.

IC3PEAK vergegenwärtigt, wie Gewalt von schwachen Opfern zurückgespielt wird, und verstört durch die Verschränkung von Brutalität und Infantilismus. Zugleich sei die Naivität und Reinheit eines Kindes etwas, was der Natur der Kunst am nächsten komme, findet Kreslina. Mit ihren Natur- und Kinderbildern beschwören die Musiker auch ein reineres, besseres Russland. Deswegen leben die Künstler nicht in Moskau, sondern am Rand der Hauptstadt.

Ihr erfolgreichstes Musikvideo „Es gibt keinen Tod mehr" (Smerti bolsche net) konstatiert eine schlechte Unsterblichkeit und spielt damit nicht nur auf Putin an, sondern auch auf die Figur des unsterblichen bösen alten Zauberers Kaschtschej aus der russischen Märchenwelt, die Kreslina viel bedeutet. Zu monotonen Beats stöhnt sie immer wieder den Refrain „Ich spüle meine Augen mit Kerosin, alles soll brennen!", während sie sich mit Kostyljow vor dem Regierungsgebäude anzündet, scheintot im Sarg die Augen verdreht oder vampirische Drinks herunterstürzt. Dann sitzen beide Huckepack auf den Schultern von Sonderpolizisten vorm Hauptquartier der Staatssicherheit. Aus dieser Antiwelt ist kein Entkommen, Kreslina und Kostyljow sind wie verhexte Märchenhelden, die trotz allem auf ein gutes Ende hoffen.

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