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Schutzlos draußen: Gefährliche Zeit für Obdachlose

Während Straßen und Plätze in den Städten wegen der Angst vor Corona von Tag zu Tag leerer werden, herrscht in der Bahnhofsmission am Berliner Bahnhof Zoo noch reger Betrieb - und Solidarität. Die Mitarbeiter wollen die Gesundheitsvorschriften, die der Berliner Senat wegen der Pandemie erlassen hat, mit größter Gewissenhaftigkeit umsetzen. Essensausgabe gibt es nur durch die Fenster der Bahnhofsmission. Obdachlose stehen Schlange, halten den Sicherheitsabstand zu den Mitarbeitern aber ein. Über die Viadukte des Bahnhofs Zoo rattern noch immer im Minutentakt die Züge.

Auf Berlins Straßen leben Schätzungen zufolge zwischen 2000 und 20.000 Personen. Was machen sie in einer Zeit, in der jeder seine eigene Gesundheit und die seiner Familie im Blick hat und weniger das Leid auf der Straße sieht? Für Barbara Breuer, Pressesprecherin der Berliner Stadtmission, die viele Einrichtungen in der Wohnungslosenhilfe betreibt, ist Corona gerade das alles bestimmende Thema. „Vorurteile gegenüber Wohnungslosen haben zugenommen", sagt sie, „gerade deswegen wollen wir aufklären."

Die Stadtmission ist mit 327 Schlafplätzen in der Notübernachtung der größte Anbieter der Hauptstadt. Noch herrscht Normalbetrieb, und alle Betten stehen täglich zur Verfügung. Doch durch die Pandemie verändert sich auch das Hilfsangebot der Stadtmission. Breuer, die momentan zwischen den verschiedenen Hilfseinrichtungen hin und her fährt, kennt die Probleme, die jetzt auf die Stadtmission zukommen. So seien besonders an der in ganz Deutschland bekannten Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo 70 bis 80 Prozent der ehrenamtlichen Mitarbeiter im Seniorenalter und gehörten damit zur Risikogruppe für einen schweren Infektionsverlauf.

Bislang positive Stimmung in Einrichtungen

„Wir haben all unsere Helfer, die zur Risikogruppe gehören, gebeten, erst einmal zu Hause zu bleiben", sagt sie. „Doch einige lassen sich nicht von der Arbeit abbringen - gerade in dieser Lage muss man den Schwächsten helfen, ist da das Credo." Auch deswegen stehe die Stadtmission in engem Austausch mit den Gesundheitsämtern der Bezirke und setze zudem weitere Maßnahmen um. Anstelle von Suppe gebe es etwa Notfallpakete mit Sandwiches. Doch Breuer bekümmert auch, dass gerade der soziale Aspekt der Obdachlosenhilfe wegbricht. „Wir schließen Sozialräume, und der Austausch zwischen Mitarbeitern und Betroffenen wird auf ein Minimum reduziert."

Die soziale Isolation, von der praktisch alle Menschen gerade betroffen sind, ist für Obdachlose besonders hart. Während viele sich zu ihren Familien und in ihre vier Wände zurückziehen, fehlt Obdachlosen dieser Rückzugsraum, auch im Falle einer Quarantäne. Deshalb versucht die Stadtmission, solange es geht, den Alltag der Hilfebedürftigen aufrechtzuerhalten, mit allen Mitteln Normalität in ungewissen Zeiten herzustellen. In Zeiten leerer Straßen ein unmögliches Unterfangen: „Die Obdachlosen sitzen da, haben einen Becher vor sich und bitten um Geld oder Essen. Aber es geht kein Mensch vorbei", sagt Breuer. Das führe dazu, dass sich die meisten Obdachlosen nicht einmal ihre kleinsten Bedürfnisse erfüllen könnten.

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