Das spielte sich Anfang der achtziger Jahre ab. Da war er für „Comme des Garçons" in Berlin. Er schickte mir ein Fax und hat geschrieben, dass er nach Berlin kommt. Und da habe ich ihn am Flughafen abgeholt. Danach haben wir die ganze Nacht zusammen gesessen und miteinander geredet. Der Kontakt ist nie wieder abgerissen.
Peter Lindbergh hieß eigentlich Peter Brodbeck. Wie kam es zu dem Pseudonym?Der Verrückte hat sich damals den Nachnamen von dem Piloten und Schriftsteller Charles Lindbergh gegeben, weil er internationaler klang und der Mann der erste Atlantik-Überquerer war.
Mit dem Namen ist er dann ins Ausland gegangen.Mit seinem unerschütterlichen Selbstbewusstsein ist er Ende der Siebzigerjahre zuerst nach Paris und dann nach New York. Dort hat er die Fotografie revolutioniert. Amerika war damals noch im Repräsentationsstress - so nannte er das. Es war üblich, Bilder zu retuschieren. Davon hielt er nichts.
Lindbergh wollte ursprünglich Maler werden. Hat dieser Wunsch einen Einfluss auf seine Arbeit gehabt?Er war Maler! Er hat freie Malerei studiert und sogar ein Stipendium erhalten. Zur Fotografie ist er in Frankreich gekommen. Wenn er da an den Strand fuhr in der Normandie, dachte er an seine Jugend zurück, als er mit Freunden in seinem kleinen Renault 4CV an den Strand gefahren war. Die Erinnerung an diesen kalten Strand, den Wind und den dicken Pullover hat ihn immer wieder dahin getrieben.
Und er kam nicht alleine.Vier Generationen von Models mussten dort frieren. Sie saßen am Strand in dicken Pullovern. Das war auch organisatorisch ganz wunderbar: Es gab einen Hund von einem Assistenten, der hieß Roxy, und der brachte mit der Schnauze die neuen Polaroid-Filme immer vom Wagen zu Lindbergh. Das berühmte Foto von Linda Evangelista, auf dem sie in einem weißen Hemd am Strand schreit, entstand, als der kleine Hund auf dem Hügel stand und hinter ihm eine Bulldogge auftauchte.
Lindbergh hatte die Fähigkeit, normale Models in Superstars zu verwandeln. Wie erklären Sie sich das?Das war vollkommen ungewöhnlich. Er war nicht der typische feine Modefotograf, der im gebügelten Anzug kommt, sondern ganz im Gegenteil: Perfektion hat ihn nie interessiert. Ihm war es wichtig, Persönlichkeiten einzufangen - nicht Äußerlichkeiten. Er interessierte sich bei der Modefotografie am allerwenigsten für die Mode. Und am allermeisten für den Menschen, der darin steckt. Für ihn waren alle gleich. Und er erfasste immer die richtigen Augenblicke. Er hat sich nie vorbereitet, sondern mit seiner Kamera in größter Geistesgegenwart gearbeitet. Fotografiert hat er Situationen, in denen Menschen etwas zu trinken bestellen - also Gegebenheiten, die nur zwei Menschen gehören. Wäre jemand bei ihm ins Studio reingekommen und hätte versucht, nach einem bestimmten Typus auszusehen, hätte er ihn in dieser Rolle nicht fotografiert. Er hätte vielleicht abgelehnt - und dann diesen authentischen Moment aufgenommen.
Sie haben beide in Schwarz-Weiß fotografiert. Wie kam das?Ich wurde von der Berliner Nachkriegsszene beeinflusst. Die Ruinen waren mir sehr wichtig, die Fotos davon waren schwarz-weiß. Peter Lindberghs Liebe für Schwarz-Weiß stammt dagegen aus dem Ruhrgebiet mit den unzähligen Kohlehalden und Industriebrachen. Sein Onkel war Schäfer auf den Rheinfeldern. Diese Umgebung hat ihn wahrscheinlich dazu inspiriert. Seine Schwarz-Weiß-Fotografie war ehrlich, authentisch und wirkmächtig.
Was unterschied ihn vom Durchschnittsfotografen?Er hat es geschafft, mit seiner Kamera alle Emotionen des Models einzufangen. Diese Art und Weise, wie man mit kleinsten Mitteln produziert, das ist in seiner DNA gewesen, weil er ursprünglich Künstler war. Die Fotobänder, die dabei entstanden sind, waren nicht nur Fotobände, sondern ganze Romane aus Blicken und Geschichten. Peter Lindbergh hat die Fotografie-Szene komplett revolutioniert. Und er bestach gleichzeitig immer durch seine unheimlich offene und freundliche Art, bei der man das Gefühl hatte, er habe die Sonne verschluckt. Mit seiner großen Leichtigkeit hat er jedes Problem weggelacht.