1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Gastbeitrag zur Zukunft der Stadt: Die Migranten verjüngen Berlin

Berlin ist nicht nur die größte deutsche Stadt, sondern nach der Einwohnerzahl auch die fünftgrößte Stadt Europas. Während im Brandenburger Umland die Bevölkerung weiter zurückgeht, steigt sie in der Hauptstadt an. So zeigt es zumindest die Prognose. Die Politik steht dabei vor großen demografischen Herausforderungen, denn das Wachstum findet ungleichmäßig statt. Fast jeder vierte Berliner des Jahres 2030 wird 65 Jahre alt oder älter sein, aber nur jeder sechste im Kinder- und Jugendalter. Wissenschaftler untersuchen die Gründe dafür und fragen nach den Schlussfolgerungen.

Internationale Herkunft

Der Fall der Mauer vor 25 Jahren trug nach Meinung von Forschern zur jetzigen Entwicklung bei. „Das Ende der Förderung West-Berlins und der Rückbau der Industrie in Ost und West nahmen der Stadt zunächst ihre Attraktivität", sagt Klemens Maget vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. „Auch der Wunsch vieler Ost- und West-Berliner Familien, ins Umland zu ziehen, hat zu diesem Trend beigetragen." Erst 2007 hätten sich die Ab- und Zuwanderungen wieder ausgeglichen. Seitdem gehen die Bevölkerungszahlen leicht nach oben. Allerdings scheint dieser Aufwärtstrend nicht langfristig zu sein. „Für den Zeitraum nach 2030 ist davon auszugehen, dass Berlins Bevölkerung zurückgehen wird", prognostiziert der Senat. Und das geschieht trotz weltweiter Beliebtheit als Touristen- und Studentenstadt.

Um die kippende Bevölkerungspyramide wieder ins Lot zu bringen, braucht Berlin Zuwanderung. Denn die Mehrheit der ausländischen Migranten ist jung. Aus diesem Grund fordert die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine „offensive Integrationspolitik" und „die Entwicklung einer Willkommenskultur". Gefordert ist Handschlag statt Ressentiment.

Die Migranten Berlins machen 26 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Verglichen mit Frankfurt oder Stuttgart, wo der Migrantenanteil bei etwa 40 Prozent liegt, ist das relativ wenig. Allerdings konzentrieren sich die Migranten auf bestimmte Bezirke, zum Beispiel auf Mitte mit einem Anteil von 45 Prozent, Neukölln mit 40 oder Kreuzberg mit 38 Prozent. Auch auf bestimmte Straßenzüge: „Die meisten Migranten gibt es in der Motardstraße in Spandau, dort sind es 71 Prozent", so das Berlin-Institut. „Am Askanischen Platz liegt der Migrantenanteil bei 69 Prozent und in der Reinickendorfer Straße in Mitte bei 66 Prozent."

Nur über Zuwanderung kann Berlin eine ausgeglichene Bevölkerungsstruktur halten. Laut Amt für Statistik wuchs die Einwohnerzahl in den letzten zwei Jahren um 90.000 Menschen und liegt damit klar über den allgemeinen Bevölkerungsprognosen. Die Herkunft der neuen Berliner ist international, doch in den letzten zwei Jahren wanderten sie vorwiegend aus Polen, Rumänien, Ungarn und Bulgarien zu. Auch die Zahl der Menschen aus Krisenländern wie Ägypten, Syrien, Afghanistan und Libyen wuchs. Fast 45 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren in Berlin haben ausländische Wurzeln. So sind es die Migranten Berlins, die der Stadt die Zukunft sichern. Deren Ausbildung ist für Berlin eine große Herausforderung, vor allem deshalb, weil ein großer Anteil dieser Gruppe sozial benachteiligt ist. Allerdings sind bei weitem nicht alle mittellos. Immerhin lebt laut amtlicher Statistik jeder vierte ausländische Berliner in einem gut situierten Kiez.

Eine Nischensuche

Ein großes Problem für Berlin ist das durchschnittliche Lohnniveau. Die Stadt besitzt viele Niedriglohnbezieher. Das Demografiekonzept im Auftrag des Senats betonte bereits 2009, wie wichtig es sei, die soziale Spaltung in „arme" und „reiche" Stadtteile zu verhindern. Dies könne nur durch die Weiterentwicklung wirtschaftlicher Potenziale und sozial stabile Quartiere geschehen, sagten die Fachleute. „Bei der wirtschaftlichen Förderung handelt es sich um eine Nischensuche, weniger um große Projekte", erklärt Petra Rohland von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. „Da setzt sich beispielsweise ein Quartiersrat dafür ein, dass ein Gewerbetreibender einen Ausbildungsplatz einrichtet oder dass ein Künstler für kleine Miete vorübergehend in eine leerstehende Wohnung einziehen kann."

Diesen kleinteiligen Ansatz hält Reiner Klingholz, Leiter des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, nicht für falsch. Aber zusätzlich fordert er eine effizientere Arbeit seitens der Verwaltung: „Ob es sich um Anträge, Genehmigungen, um unsere Straßen oder S-Bahnen handelt: Die öffentlichen Stellen müssen zügig und hilfreich arbeiten." Leider zeige die Erfahrung, dass dies in Berlin nicht immer der Fall sei. „Auf diese Weise verprellt die Stadt Investoren. Dabei brauchen wir dringend Forschungseinrichtungen und Unternehmen, damit Arbeitsplätze geschaffen werden." Aus Sicht des Wissenschaftlers Klingholz entscheidet sich die Zukunft Berlins an der Frage: „Ist die Stadt einfach nur hip, oder schafft sie es, dauerhaft eine harte Wirtschaftsstruktur zu etablieren?"

Zum Original