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Spaziergang mit Lars Eidinger

Den Schauspieler würde man nicht für einen überzeugten Charlottenburger halten, aber genau das ist er. Dort wohnt und arbeitet er – und hat seine Ruhe. Gut gelaunt hat Eidinger tip-Autorin Antje Binder seine Version der Prachtstraße gezeigt.


Es heißt, Lars Eidinger kommt gerne etwas zu spät, da er es nicht mag, auf andere zu warten. Heute dauert es zwanzig Minuten, bevor er um die Ecke des KaDeWe rauscht: jung, dynamisch, die Haare etwas zerzaust vom Wind, die Augen stahlblau. Er trägt Jackett, darunter ein einfaches T-Shirt, lässige Hose, Turnschuhe.

Es sei nicht seine Art, zu spät zu kommen, entschuldigt er sich. Und das klingt überzeugend. Doch er sei einen neuen Stoff für die Couch auswählen gewesen. Eine fast unlösbare Aufgabe. Schrecklich, diese ganzen Musterstoffe. Eidinger malt mit dem Finger ein kleines Quadrat auf den Ärmel seines Jacketts. „Wie soll man anhand eines so kleinen Quaders wissen, wie hinterher das ganze Sofa aussieht?" Er lacht und zuckt mit den Schultern. Es wird schnell klar, was Thomas Ostermeier, Intendant der Schaubühne, meint, wenn er den Schauspieler „Everybodys Darling" nennt.

Wir treffen uns am KaDeWe. Hier beginnt unsere kleine Tour durch Charlottenburg. Lars Eidingers Charlottenburg. Sein Kiez befindet sich im Dreieck zwischen der Schaubühne am Lehniner Platz, wo er Theater spielt, dem Savignyplatz, in dessen Nähe er lebt, und dem Kaufhaus des Westens. Oben in der Feinschmeckeretage geht er nach der Probe gerne ein Fischbrötchen essen.

Das KaDeWe ist für ihn der Mittelpunkt, nicht nur von Charlottenburg, sondern der ganzen Stadt. „Es scheint, als wäre ganz Berlin um dieses Haus herumgebaut", sagt er und erzählt von seiner Schwiegermutter, die vor Kurzem eine Woche in Berlin gewesen sei. Jeden Tag war sie eine Weile im KaDeWe. „Dieses Bourgeoise lieben die Leute." Es wären auch viele reiche Russen, die dorthin kämen. „Ein Freund sagt manchmal schon Charlottengrad." Wie damals in den 20er-Jahren. Für ein Matjesbrötchen ist heute aber keine Zeit, denn Lars Eidinger hat uns viel zu zeigen.

Es ist Samstag, und auf dem Ku'damm drängen sich die Menschen. Wir schieben uns durch die Massen in Richtung Gedächtniskirche. Am Wochenende sei er eigentlich nie hier, da ist es viel zu voll. Er läuft selbstbewusst, mit großen Schritten. Der Ku'damm ist sein Revier. Dabei ist er in Tempelhof aufgewachsen. Zumindest sagt er das gerne, weil es sich mehr nach Stadt anhört. Genau genommen kommt Eidinger aus Marienfelde im südlichen Teil des Bezirks. Mit seinen Eltern wohnte er dort in einem beschaulichen Reihenhaus. Mitten in einer Westberliner Plattenbausiedlung. „Wie das gallische Dorf bei Asterix und Obelix."

Nach Charlottenburg verschlägt es ihn 1998. Er ist im zweiten Studienjahr an der Schauspielschule Ernst Busch, als er durch sein Engagement bei Jürgen Gosch am Deutschen Theater erstes eigenes Geld verdient. Er zieht in die Roscherstraße, zufällig gleich neben die Schaubühne. Als es dort zum Vorsprechen kommt, ist die Nervosität groß. „Ich dachte, wenn das nicht klappt, muss ich umziehen. Ich ertrag das nicht, dass meine Kollegen alle dort spielen und ich nebenan lebe." Als er dann an der Schaubühne engagiert wird, hat der Schauspieler seine Arbeitsstätte quasi vor der Tür, wohnt so nah, dass er im Spaß daran denkt, sich einen Einruf in die Wohnung zu bauen. „Weißt du, wie in der Theater-Garderobe. Ich hätte dann zu Hause im Kostüm warten können." Heute wohnt er mit seiner Frau Ulrike und seiner vierjährigen Tochter Edna gleich um die Ecke in der Schlüterstraße.

Seine Nachbarn treffen wir auf der Höhe Europa-Center. Ein älteres Paar läuft zielstrebig auf Lars Eidinger zu und begrüßt ihn herzlich. Die Nachbarn sind Inhaber des Hotels Bogota in der Schlüterstraße und an diesem Nachmittag auf Shoppingtour. Natürlich gehen sie regelmäßig in die Schaubühne, erkundigen sich nach den nächsten Vorstellungen und versprechen zu kommen.

Wir verlassen den Ku'damm, laufen die Grolmanstraße hoch zum Savignyplatz und kommen vorbei am Restaurant Diener Tattersall. Hier gebe es drei Stammtische, erzählt Eidinger. Einen für die Kömödie am Ku'damm, einen für das Schillertheater und einen für die Schaubühne. Dort würden sich die Kollegen über ihre Premieren unterhalten, oft mit einem schadenfrohen Spruch, wenn es mal nicht so gut lief. Sein Lieblingsort am Savignyplatz aber: der Bücherbogen. „Eine der letzten traditionsreichen Inseln", sagt er. Und schiebt nach, dass es dort gerade ein Buch über ihn gäbe.

Das ist typisch Eidinger. Immer schwankt er zwischen Stolz und Bescheidenheit. Er genießt den Rummel um seine Person. Gleichzeitig bleibt er ihm auf diffuse Art suspekt. „Es ist der unangenehme Teil des Schauspielerberufs", sagt er über rote Teppiche und Prominenz. Zum Deutschen Filmpreis vor einigen Tagen war er eingeladen. Eine halbe Stunde vorher kamen Zweifel: „Was will ich da eigentlich?" Er ist schließlich zu Hause geblieben. Vielleicht aus Bescheidenheit, vielleicht auch aus Enttäuschung. Im letzten Jahr, als er mit Maren Ades Film „Alle anderen" im Kino war und mit seinem hochgelobten Hamlet auf der Bühne stand, brachte ihm das keine Nominierung ein.

Wird er eigentlich auf der Straße erkannt? Manchmal, sagt er. Schwer zu sagen in Berlin. Hier würde man als Prominenter eher absichtlich ignoriert. Die Stadt ist zu cool, um bekannten Gesichtern Beachtung zu schenken. „Wenn man komplett ignoriert wird, hat man es wahrscheinlich geschafft", sagt er und lacht. Aber sicher, er werde erkannt, gerade in Charlottenburg. „Es gibt ein paar Leute, die kennen mich, die kreischen aber auch nicht rum, wenn sie mich sehen."

Fotos: Oliver Wolff

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