Annkathrin Weis

Freie Journalistin, Videografin, Offenbach

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Corona-Krise: Den Tafeln geht das Essen aus

„Wer möchte einen Mundschutz?", ruft Dagmar Heintz in das Foyer der St. Lioba Kirche hinein. „Ihr müsst euch absprechen, wir haben nicht für jeden einen." Um sie herum stehen ihre zehn Helfer, die an der Tafel-Ausgabe im Frankfurter Stadtteil Bonames arbeiten. Etwa die Hälfte von ihnen hebt die Hand, gerade die Jüngeren werden ganz vorne stehen und mit den Kunden Kontakt haben. Kurz kämpfen sie mit den Schnüren der ausgeteilten Einweg-Atemmasken, sie sind das Aufsetzen nicht gewohnt. Dagmar Heintz verzichtet auf eine, Handschuhe trägt aber jeder. „Alles etwas anders heute", sagt sie und schnappt sich eine der Gemüsekisten, um sie an den richtigen Ort zu stellen.


Kurz darauf trifft die letzte von insgesamt drei Lieferungen an diesem Vormittag ein. Mehr wird es nicht werden. Seit die Hamsterkäufe begonnen haben, werden die Spenden, die von Großmärkten, Logistikunternehmen, Bäckereien und Tankstellen kommen, weniger. Normalerweise bauen Dagmar Heintz und ihr Team die Kisten mit vorhandenen Lebensmittenl wie in einem kleinen Warenhaus auf, in dem sich die Kunden selbst aussuchen können, was sie wirklich brauchen und auch essen möchten.

Um sich an die erhöhten Hygienestandards zu halten, sortieren die Helfer jetzt Kisten vor: frisches Gemüse, Teigwaren, Kräuterpflänzchen, Konserven, Brötchen, aber auch der ein oder andere Smoothie oder Pudding. Fleisch gibt es bei Nachfrage obendrauf. „Ein schönes Sortiment", sagt die Teamleiterin und bedeutet den vier jungen Frauen, die heute spontan eingesprungen sind, einige Kisten zur Seite zu stellen.


Obst, das sie sich sonst nicht leisten könne

Das Foyer ist wie jeden Donnerstag von 12 Uhr an geöffnet, doch diesmal nur, um eine breite Theke aus Biergarnituren aufzubauen, darüber können die Helfer die Kisten reichen. Es gilt: So wenig Kontakt zu den Kunden wie möglich, so viel Hilfe wie möglich. Nur vier Helfer stehen an der Theke, der Rest arbeitet im hinteren Bereich und füllt weitere Kisten. Am vorderen Ende des Tisches steht auf dem Papierschild derselbe Hinweis geschrieben, der auch auf mehreren Aufstellern auf dem Vorplatz der Kirche zu lesen ist: „Bitte mindestens zwei Meter Sicherheitsabstand halten".


Auf der Theke stehen die Kassen für den obligatorischen Euro, den die Kunden zahlen müssen. Danach erhalten sie von einem der Helfer, einem lauten Mann Mitte fünfzig, die Kisten auf eine der umstehenden Bänke gestellt, mit zwei Meter Abstand zwischen ihnen, versteht sich. Einige kommen mit großen Einkaufstaschen, die meisten haben jedoch kleine Handwagen dabei, um die Lebensmittel zu transportieren. Immer wieder muss der laute Mann sie darauf hinweisen, den Abstand zu wahren. Eine große Schlange gibt es an diesem Tag aber nicht, die Menschen kommen tröpfchenweise. Trotzdem halten sich ein paar Kunden ihren Schal vor dem Mund.


Es ist nicht das Ziel der Tafel, die Grundversorgung für Bedürftige zu gewährleisten. Vielmehr sollen gerade das frische Obst und Gemüse ein gesunder Zusatz sein, den sich die meisten sonst nicht leisten könnten. Normalerweise sind es fast doppelt so viele Kunden, die zwischen 12 und 14.30 ihr Kärtchen vorzeigen und ihre Tasche mit Lebensmitteln füllen. Jeden zweiten Donnerstag dürfen sie vorbeikommen und erhalten dann auch die Marke für den nächsten Turnus. An diesem Tag ist die Ausgabe jedoch schon nach 30 Minuten beendet - weil die Lebensmittel trotz der strengen Portionierung in den vorbereiteten Kisten bereits leer sind.


Nicht viel Essen verfügbar

In dieser Woche können einige Ausgaben der Frankfurter Tafel überhaupt nicht mehr stattfinden. Zum einen, weil es zu wenige Spenden gibt. Zum anderen, weil ein Großteil der Helfer aufgrund des hohen Alters zur Risikogruppe gehört und zuhause bleiben soll. Zwar gebe es vereinzelt jüngere Leute, die nun einspringen. Bislang könnten diese aber nicht die große Zahl der fehlenden Helfer ersetzen.


Dagmar Heintz hilft schon 15 Jahre bei der Tafel als ehrenamtliche Mitarbeitern. An den Ausgaben leitet sie mit demselben Organisationstalent ihr jeweiliges Team, mit dem sie früher eine leitende Position bei einem Mittelständler eingenommen hat. Der Wille, sich für Menschen und gegen Lebensmittelverschwendung einzusetzen, habe sie auch in diesen schwierigen Zeiten nicht verlassen, sagt sie. „Am liebsten hätte meine Familie, dass ich das Haus gar nicht mehr verlasse." Heintz, die selbst Teil der Risikogruppe ist, treffe aber ausreichend Sicherheitsvorkehrungen und arbeite nicht direkt an der Ausgabe, sondern halte sich wie auch die anderen älteren Helfer im hinteren Bereich des Raums auf. „Es muss ja weitergehen."


Noch lange nachdem das Team das Foyer wieder geräumt hat, kommen Menschen mit leeren Tüten und suchen nach der Lebensmittelausgabe. Eine ältere Dame und ein Mann im Rollstuhl winken bereits ab, als eine dritte Person vor die geschlossen Türen des Foyers tritt. Die Helfer, die drinnen noch den Boden reinigen, können nur mit den Schultern zucken, sich entschuldigen und weiter putzen. Sie sollen nächstes Mal früher kommen, momentan sei nicht viel Essen verfügbar, sagen sie. Am Donnerstag wird die Ausgabe wieder stattfinden.

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