Ein freier Mitarbeiter einer Erstaufnahmestelle erklärte sich bereit, über die Zustände zu berichten. Seine Bedingung: Er möchte anonym bleiben. Er arbeitet in einem Flüchtlingsheim einer Großstadt, in dem mehr als tausend Asylbewerber untergebracht sind.
Eigentlich sollten die Flüchtlinge höchstens drei Monate in dieser Erstaufnahmeeinrichtung wohnen. Doch weil die Unterkünfte, in die sie danach verlegt werden, überfüllt sind, bleiben einige Bewohner viel länger hier, im Durchschnitt vier Monate. Viele Flüchtlinge fühlen sich isoliert, sehen keine Perspektive für sich, und dann müssen sie auch noch in dieser Enge ausharren - da sind Konflikte programmiert. Das aggressive Potenzial unter den Bewohnern ist sehr hoch.
Was zurückbleibt, wird weggeworfen
Sechs bis sieben Sozialberater sind täglich vor Ort, sie helfen etwa bei Asylanträgen. Vor ihrem Beratungsbüro bilden sich oft lange Warteschlangen, sie können den Bedarf kaum decken. Deutlich größer ist die Zahl der Sicherheitsleute, die zwischen Containern und Zelten patrouillieren. Sie gehören zu einem Subunternehmen, das der staatliche Betreiber engagiert hat. Dass Mitarbeiter Flüchtlinge misshandelt hätten, habe ich noch nie beobachtet.
Doch Beschimpfungen und abfällige Bemerkungen gegenüber Flüchtlingen kommen mir immer wieder zu Ohren. Vergangene Woche musste eine Familie ihren Container räumen, weil sie abgeschoben werden sollte. Eine Stunde Zeit hatten die Menschen, um ihre persönlichen Sachen zusammenzupacken. Was zurückbleibt, wird weggeworfen. Einer der Wachmänner sagte dann, er freue sich 'den ganzen Kram endlich wegzuschmeißen. Das ist doch sowieso alles Diebesgut'.
So etwas ärgert mich, die Bewohner haben Respekt verdient. Allerdings sind viele Wachleute schlichtweg überfordert, denn sie müssen Aufgaben von Sozialarbeitern übernehmen, indem sie oft Streit schlichten und für Ruhe sorgen. Für die Arbeit mit Flüchtlingen sind sie jedoch nicht ausgebildet, das ist zumindest mein Eindruck. Zwar gibt es für sie Deeskalationstrainings, dort müssen die Sicherheitsleute aber lediglich ein Seminar absitzen, am Ende legen sie keine Prüfung ab.
Ein negativer Ort
Wir brauchen dringend geschulte Mediatoren, die bei ethnischen und religiösen Konflikten zwischen den Bewohnern vermitteln können. Denn wo so viele verschiedene Kulturen auf engstem Raum zusammenleben, ist es kein Wunder, dass irgendwann Emotionen hochkochen und es dann auch mal knallt. So häufig kommt das aber nicht vor. Wir müssen verstehen, dass die Flüchtlinge Furchtbares erlebt haben, zum Teil schwer traumatisiert und frustriert sind. Wenn man sensibel und vorsichtig auf sie eingeht, lassen sich Streitereien schnell wieder schlichten.
Dass man nun alle Hebel in Gang setzt, um neue Unterkünfte zu schaffen, finde ich gut und richtig. Doch diese Bemühungen kommen zu spät und sind teilweise auch unkoordiniert, wir Mitarbeiter werden erst spät über die Errichtung neuer Wohncontainer informiert.
Für mich wäre ein Leben hier die Hölle, dieses Lager ist ein negativer Ort. Doch tatsächlich freuen sich gerade die neu ankommenden Flüchtlinge oft einfach nur, ein Dach über dem Kopf zu haben. Sie sind so erleichtert, Krieg und Verfolgung in Syrien, Irak oder Afghanistan entkommen zu sein. Sie empfinden das Leben hier als eine Verbesserung, sind geduldig und optimistisch. Doch wenn sie länger hier bleiben, wächst oft ihre Verzweiflung, weil sie zum Nichtstun verdammt sind. Irgendwann hat ihre Geduld eben Grenzen."
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