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Mexican Beer und Schusslöcher

Der Libanon ist ein Land mit zwei Gesichtern. Das kosmopolitische Glitzermeer Beirut kontrastiert mit den illegalen Zeltstädten der syrischen Flüchtlinge. Von Anne Steinbach und Clemens Sehi

Auf der Terrasse des Mezyan in Hamra wird es langsam kühl. Drinnen, in der Bar im westlichen Teil der libanesischen Hauptstadt Beirut, steht die Luft. Dicke Bässe dröhnen aus den Boxen. Es ist kurz nach elf Uhr abends und das junge libanesische Publikum scheint die lautstarke Salsa-Musik mit noch lauteren Unterhaltungen übertönen zu wollen. Wir drängeln uns durch das Getümmel, das an eine Taverne erinnert - vorbei an einem bunten Potpourri aus Holzstühlen, Tischen und Bänken, die erst bei genauerem Hinsehen doch ein stimmiges Ganzes ergeben.

An der Bar angekommen bedient uns ein Mittzwanziger, der mit seinem vollen Rauschebart auch in Berlin-Kreuzberg hinter der Theke einer hippen Bar stehen könnte. Wir bestellen das, was hier alle trinken: Mexican Beer, ein Gemisch aus Bier mit Zitronensaft und Salz am Glasrand. Der Bezug zu Mittelamerika bleibt uns aber auch nach der zweiten Runde ein Geheimnis. „This is Lebanon", kommentiert die junge Beiruterin Yara unsere fragenden Blicke an der Bar. Feiern wie die Mexikaner können sie aber, die Libanesen, und vor allem lang. Stunden später endet unser erster Abend, wie er begonnen hat: in der angenehm kühlen Beiruter Nacht.

Beiruts funkelnde Shoppingmeile

Durch einen dunklen Durchgang laufen wir in Richtung der belebten Hamra Street, die schon von Weitem leuchtet. Es sind die Leuchtröhren der beliebten Marken Zara, H&M, Mango und Starbucks, die die Shoppingmeile auch nachts in ein wahres Glitzermeer verwandeln. Wir laufen die Straße entlang, um ein Taxi zu finden. Hupen hier, betrunkene Menschen dort und Kindergelächter auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

„Das sind die Jungs und Mädels aus Syrien", erklärt uns Yara, die wir in der Mezyan Bar kennengelernt haben. Damit meint sie Flüchtlingskinder, die nun, wie viele andere, versuchen im Libanon ein besseres Leben zu führen. So zum Beispiel mit geöffneten Händen und Kulleraugen morgens um Vier auf der größten Einkaufsstraße Beiruts. „Der Libanon ist eines der Länder, die dringend Hilfe brauchen", sagte UN-Generalsekretär Ban gegenüber der Tagesschau. In dem Land, halb so groß wie Hessen, leben heute eine Million Flüchtlinge unter 4,5 Millionen Einwohnern.

Militärposten mit grimmigem Blick

Mitten in der Rush Hour verlassen wir das funkelnde Beirut und fahren hinein in den Krisenherd: nach Tripoli, dem wohl orientalischsten Ort des Libanon, im Norden des Landes. Meter für Meter schieben uns die Automassen über den Highway. Zwischen Luxuskarossen tuckern Blechbüchsen, die der TÜV sicher schon vor Jahren aus dem Verkehr gezogen hätte. Alle paar Kilometer werden wir an Militärposten gestoppt, aber mehr als einen grimmigen Blick schenken uns die jungen Soldaten nicht.

Knapp eineinhalb Stunden dauert es, bis wir im Wirrwarr von Tripoli ankommen - Hupen, Stau, Smog und alte Männer, die mit sperrigen Holzwägen voller Orangen die von Schusslöchern gezierten Hausfassaden passieren. Keine Spur vom Glitzer und Glamour Beiruts. Die zweitgrößte Stadt des Landes scheint, als sei sie vor Jahren stehen geblieben. Nur 30 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, wird hier deutlich mehr Arabisch gesprochen, als im kosmopolitischen Beirut, Englisch rückt in den Hintergrund. Wir schlängeln uns mit dem Auto durch das Zentrum. Immer wieder manövrieren sich syrische Frauen durch den Verkehr, die Babys vor die Brust gewickelt. Manchmal sind es auch nur die Flüchtlingskinder, die schnell von rechts nach links über die Kreuzung rennen und auf Spenden ziviler und religiöser Hilfsorganisationen hoffen.

Zelte aus LKW-Planen

Die Flüchtlinge, die in Tripoli leben, stellen jedoch nur einen Bruchteil der Syrer dar, die sich im Landesinneren aufhalten. Der Wohnraum in den Großstädten ist rar, der Widerstand der Einheimischen ungebrochen. Gerade deshalb ist die Bekaa-Ebene das Zentrum für die improvisierten und vor allem illegalen Zeltlager der Syrer geworden. Die von Nord nach Süd langgestreckte fruchtbare Hochebene verläuft östlich des Libanon-Gebirges und liegt mit ihrem südlichen und mittleren Teil in ca. 900 bis 1000 Metern Höhe. Wir folgen der einspurigen Landstraße in Richtung Beirut. Durch die Klimaanlage des Autos bahnt sich der penetrante Geruch von Urin. Unzählige Zelte, notdürftig zusammengeschustert aus ausrangierten LKW-Planen, stehen rechts und links auf den Äckern mit überdimensionalen Schriftzügen von Pepsi, Michelin und Coca-Cola. Erst mit der Auffahrt auf die Autobahn lassen wir die Zeltstädte hinter uns und so scheint auch die Flüchtlingskrise des Libanon plötzlich wie in Luft aufgelöst.

„This is Lebanon, guys"

Keine zwei Stunden später liegen die glitzernden Häuserfassaden der Hauptstadt vor uns. An der Zaitunay Bucht, nur einen Sprung von der Mohammed-al-Amin-Moschee entfernt, reiht sich eine Haute-Couture-Modefiliale an die andere. Hier ankern teure Yachten im Hafen. Hier schlürfen Businessleute edlen Champagner, während die Ladies bei Gucci und Co. das Sonnenbrillen-Repertoire aufstocken.

Wieder lassen wir den Abend in der Mezyan Bar ausklingen und treffen dabei auf Yara. Wie uns das Zentrum und der Norden des Landes gefallen haben, will sie wissen - und schon prasseln unsere Eindrücke auf sie ein. Yara jedoch zuckt unbeeindruckt mit den Schultern. „This is Lebanon, guys", fügt sie trocken hinzu. Ein Land mit zwei Gesichtern, über das wir uns noch die ganze Nacht unterhalten werden - bei Mexican Beer und Salsa-Klängen.

Anne Steinbach und Clemens Sehi, freie Reisejournalisten und Blogger, tauschen die digitale Welt gern mal mit verstaubten Hintergassen der etwas anderen Reisedestinationen ein. Beide wohnen in Berlin, leben aber am liebsten aus dem Backpack.
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