Anne Jerratsch

Freie Journalistin | Redakteurin, Berlin

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Artikel

Wie kommt das Neue in den Journalismus?

Anfang März 2016 lud die Otto-Brenner-Stiftung zu einer Diskussion mit verschiedenen Medienvertretern in die Rheinland-Pfälzische Vertretung in Berlin ein, um sich einem der dringendsten Themen, die derzeit in der deutschen Mediendebatte umgehen, zu widmen: Die Politik- und Medienverdrossenheit eines Publikums, das sich augenscheinlich durch ein gleichzeitig stattfindendes Überangebot und dennoch vermuteter "Gleichschaltung" der "Lügenpresse" nur mit Protest, Abkehr und bisweilen sogar Hetze zu helfen weiß.

Zum Disput geladen waren Journalisten und Medienleiter verschiedener Häuser. Auf dem Podium saß der Journalismusforscher Hans-Jürgen Arlt, die stellvertretende Chefredakteurin des Spiegel-Magazins, Susanne Beyer, der neue taz-Chefredakteur Georg Löwisch, Blogger und Medienkritiker Stefan Niggemeier, außerdem Jörg Quoos, Chefredakteur der Berliner Funke Medien Gruppe (u.a. Berliner Morgenpost, Hamburger Abendblatt, WAZ, etc.), sowie die neue Geschäftsführerin der ARD DEGETO, Christine Strobl. Geleitet wurde diese unverhältnismäßig große Elefantenrunde von Thomas Leif.

Das Publikumsinteresse war groß, so groß sogar, dass ich, obwohl ich gut 20 Minuten zu früh vor Ort war, keinen Platz mehr im Saal ergattern konnte und von außen per Leinwand und Beschallung teilnehmen musste, um ein wenig Platz für meine Notizen zu haben. Der Altersdurchschnitt der interessierten Zuhörer war überraschend hoch, außer mir und vielleicht einer Hand voll Volontäre war hier niemand unter 50 Jahren im Haus. Ich verspürte leise Zweifel, ob denn nun wieder die alte, so oft beobachtete Problematik des Nichtverstehens von Social Media aufkommen würde.

Nach ein paar einleitenden Worten von Heike Raab, Bevollmächtigte von Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa, Medien und Digitales, wärmte Thomas Leif die Runde mit ein paar Vorstellungsfragen auf. Er zeigte sich hier von den Damen und ganz besonders vom taz-Chef (er bezeichnet ihn etwas kumpelig als "Linksinhaltist", was dieser sofort abwehrte) beeindruckt.

Während Frau Beyer noch die eigenen Arbeitskreise der Spiegel-Redaktion und den "Werkstattcharakter" ihres Mediums lobte (und sich nebenbei recht deutlich von der SPON-Redaktion distanzierte), brachte Christine Strobl den für mich ersten kontroversen Punkt auf: Die ARD habe als öffentlich-rechtliches Medium den Auftrag, Themen an- und unterzubringen, mit denen sich auch fachfremde Personen beschäftigen könnten.

Als Beispiel brachte sie die Israel-Thematik eines in der Woche ausgestrahlten Tel-Aviv-Krimis auf. Ob sich hieraus allerdings eine komplexere politische Diskussion unter den Zuschauern ersponnen hat, darf wohl bezweifelt werden. Ich muss an die sonntäglichen Tatort-Lästerrunden denken, bei denen die aktuellen Debatten, die oft sehr krampfig und in das Drehbuch gequetscht wirken, direkt erkannt und analysiert werden. Meist kommen die Drehbuchschreiber und Medienvertreter da weniger gut weg. Sie schaut etwas unsicher und ich frage mich, ob sie selbst davon überzeugt ist, was sie sagt.

Den nächsten Punkt schneidet Jörg Quoos an, der sich darauf beruft, mehr regionale Inhalte liefern zu müssen. Zugleich stellt er sich die Frage, wie glaubwürdig der neue Journalismus ist, denn das Grundproblem bleibt bestehen. Wie später Hans-Jürgen Arlt so inspirierend betont, bestünde es vor allem darin, dass "Leute, die ich nicht kenne, mir etwas über ein Ereignis erzählen, bei dem ich nicht dabei war. Wieso sollte ich denen glauben?" Im Foyer bricht eine ältere Frau spontan in Beifall aus.

Die Spiegel-Chefredakteurin widerspricht, dass gerade jetzt eben gute und herausfordernde Zeiten für den Journalismus seien, denn die Debatten wurden nie so lebendig geführt wie jetzt. Ich muss spontan an Facebook denken und schüttele leise den Kopf. Diese Debatten könnt ihr nicht mehr einfangen. Diejenigen, die jetzt "Lügenpresse" schreien, sind an einer Debatte vermutlich gar nicht interessiert.

Zusätzlich, meint Arlt, besteht immer auch das Problem der Finanzierung: mehr Geld lässt sich im Journalismus nicht mit guter, fundierter Recherchearbeit machen, der Trend geht hin zu Klickstrecken. Arlt schlägt hier vor, das Angebot der Perspektiven entgegen des Trends zu erweitern. Plattformen wie Perspective Daily wollen genau das vormachen.

Stefan Niggemeier jedoch stellt sich die gleiche Frage wie ich: Reicht dieser Ansatz, so lobenswert er auch ist, für ein eigenes journalistisches Format? Hier hilft sicherlich nur ausprobieren, und der Mut der sich aufbauenden und crowdgefundeten Redaktion kann nur bewundert werden.

Der taz-Chef meldet sich zu Wort und betont, dass seine Redaktion genau das versuche, wird aber fast sofort überrannt. Seit bekannt ist, wie wenig ein taz-Mitarbeiter im Monat zum Leben hat, hagelt es hier Kritik. Berechtigt, wie ich finde. Quoos pointiert: Ein guter Journalist wird nicht glaubwürdiger dadurch, dass er ein armer Journalist ist. Daraus folgt einfach nur ein prekär lebender Journalist. Seine Glaubwürdigkeit ist nicht direkt von seiner Brieftasche abhängig (wo würde das auch hinführen?). Eine gewisse Missionsgetriebenheit wünscht er sich trotzdem.

Die Schere in meinem Kopf geht immer weiter auf. Alle Beteiligten distanzieren sich zwar massiv von Clickbait wie Buzzfeed und Vice, zugleich bewundern sie aber, dass mit genau diesen simplifizierten Klickstrecken die Mittel herangeschafft werden, um "ordentlich" zu recherchieren. Eine Trennung ist also weiterhin schwierig und wird auch in Zukunft nicht einfacher, je mehr Medien aufkommen und je öfter sie im Stil aufgebrochen werden.

Die Publikumsfragen richten sich an verschiedene spezielle Berichterstattungen der Medienhäuser, doch auch Pegida ist hier rasch Thema: Ob man nicht tendenziös berichtete habe, wieso das Thema noch immer so präsent ist, und wie man die Leute ansprechen wolle, wenn nicht weiter von oben herab. Die einheitliche Antwort lautete, man gebe sich Mühe, so viele Perspektiven wie möglich darzustellen, damit sich niemand vergessen fühlen müsse. Mit diesen Worten löst sich die Runde auf.

Ich frage mich, wie viele Medien der durchschnittliche Bürger tagtäglich konsumieren müsste, um eine derartige Fülle an Perspektiven präsentiert zu bekommen. Wenn er nicht gezielt danach sucht, werden diese ihm, sobald er sie vor allem online konsumiert, interessensgebunden angezeigt. Aus dieser Schleife kommt man nur heraus, wenn man sich von den sozialen Medien abkehrt oder sehr, sehr reflektiert liest.

Die Mikrosozialisation der Gesellschaft schreitet voran, und die Medienhäuser müssen sich notgedrungen dem anpassen, um weiterhin konsumiert zu werden. Ich habe den Eindruck, sie haben es immerhin grundlegend verstanden. Wie man dies nun angeht, wissen sie jedoch noch nicht. Immerhin scheuen sie sich nicht, das zuzugeben.

Image (adapted) " Presse" by Michael Bär ( CC BY-SA 2.0)

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