Anne Fischer

Freie Journalistin und Texterin, Dresden

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Artikel

Ein Garten voller Götter

Ein Garten voller Götter

erschienen in STEIN 04/22

Die barocke Parkanlage Großer Garten in Dresden ist ein Meisterwerk der Gartenkunst. Kurfürst August der Starke machte sie einst zu seinem prunkvollen Prestigeprojekt und stattete den Park mit Hunderten Marmor-Skulpturen aus. In einem umfangreichen Sanierungsprogramm bewahren die Verantwortlichen das steinere Erbe.

Eines Tages brach dem Gott der Zeit unversehens ein Flügel ab. Die Marmor-Figurengruppe „Die Zeit entführt die Schönheit“ vor dem Palais ist die wertvollste Skulptur im Großen Garten. Das Flügel-Unglück wurde zum Auftakt eines großangelegten Skulpturenprogramms der Parkanlage. So erzählt es Kai-Uwe Beger, Sachgebietsleiter für Schlösser, Burgen, Gärten beim Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB). Er ist gewissermaßen der Wächter über das Skulpturen-Erbe des Kurfürsten Friedrich August I., besser bekannt als August der Starke. Ein imposantes, bedeutsames Erbe, denn der ist in Sachen Kunst- und Kulturversessenheit ziemlich unvergleichlich: Zu Lebzeiten sammelt er leidenschaftlich Gemälde, Münzen, Porzellan und Pretiosen, feiert riesige, prunkvolle Hoffeste und lässt dafür den Dresdner Zwinger bauen, gründet Manufakturen, schenkt seinen Mätressen Schlösser und ganze Ortschaften und fördert Kunst und Architektur mit immensen Summen. Das Leben an französischen und italienischen Höfen inspiriert ihn, er bildet es in Dresden und Umgebung prunkvoll nach. Entsprechend eindrucksvoll ist auch die Skulpturen-Sammlung, die er ab 1730 im Großen Garten anlegt – in Europa kann mit seinem barocken Skulpturen-Park nur Versailles mithalten. Und obwohl der Siebenjährige Krieg klaffende Lücken in diese Sammlung reißt und von einst 200 Skulpturen heute im Großen Garten lediglich 37 erhalten sind, ist deren Bewahrung bereits eine Mammutaufgabe, die rund zehn Jahre dauern wird.


Marmor-Kopien sichern die Wirkung des Skulpturen-Bestands

Der Auftakt liegt an jenem Tag 2013, als von der Marmorskulptur "Die Zeit raubt die Schönheit" ein Flügel und ein Stück Fuß abbrechen. Die Skulptur war vorher im Rahmen restauratorischer Maßnahmen konserviert und gesichert worden. Umso überraschter waren alle, als dennoch der Schaden eintrat. Beger und seinen Kollegen wird bewusst: Anders als im regionalen Sandstein, dem man seinen Zustand sehr gut ansieht, ist die Beurteilung historischer Marmor-Bildwerke tückischer: Von außen zeigen sich zwar gewisse Verwitterungsschäden, doch es lässt sich nicht feststellen, wie es um die Festigkeit des Materials im Inneren bestellt ist. Deshalb werden umfassende Untersuchungen von Denkmalpflegern, Restauratoren und Bildhauern angeordnet, das Material mit Ultraschall untersucht und Altsanierungen mit Klammern, Ankern oder Nadeln mit Metalldetektoren genau betrachtet. Im Rahmen des Sanierungskonzeptes untersuchen die Sachverständigen alle noch erhaltenen Skulpturen und erarbeiten für jede ein Konzept zum Erhalt – die meisten müssen kopiert werden, weil die Originale nicht mehr im Freiraum stehen können. Denn das Programm, in das der Freistaat Sachsen rund 3,7 Millionen Euro investiert, dient zwar der Sicherung und Konservierung des Skulpturenschmucks im Großen Garten. Gleichzeitig soll es aber auch dafür sorgen, dass die Skulpturen nicht in Depots verschwinden und so die Bedeutung dieses Bestands verloren geht.

Zwei Prunkvasen aus 24 Tonnen Rohmaterial

Der SIB vergibt deshalb mehrere umfangreiche Kopie-Aufträge: So fertigen zum Beispiel insgesamt zehn Bildhauerinnen und Bildhauer aus Dresden, Berlin, Potsdam und Großenhain Kopien der verschiedenen Einzelteile jener Marmor-Vasen, die einst den Eingang zum Großen Garten schmückten. Aufgrund mangelnder Standsicherheit demontierte die Bauverwaltung sie 2007, ließ sie sorgsam reinigen und restaurieren: Dabei wurden Risse saniert und die strukturelle Festigung oberflächennaher Bereiche der Marmorsubstanz und einzelne Vasensegmente statisch gesichert. Eine Wiederaufstellung der Originalvasen im Außenbereich war allerdings auch mit restauratorischen und konservatorischen Maßnahmen nicht möglich, sie lagern inzwischen im Depot. 2016 entschied der SIB, die Prunkvasen kopieren zu lassen.


Die handwerklich anspruchsvollen Skulpturenteile – Vasendeckel, -körper, -kopf, -fuß und -schale – haben die beteiligten Bildhauer im traditionellen Punktierverfahren gefertigt. Für die vorangegangene Modellentwicklung dienten, neben den Originalen, vor allem historische Fotos, wenn vorhanden auch historische Kupferstiche und andere bildliche Darstellungen sowie überlieferte Beschreibungen aus vergangenen Restaurierungen. Denn aufgrund von Witterungsschäden waren manche Elemente der Vasen stark geschädigt oder gänzlich verloren. Die Modellentwicklung bezog sich also auf mehrere Quellen. Dabei wurden auch vergleichbare Arbeiten des Bildhauers analysiert, um seine Detail- und Formsprache abzulesen. Wie bereits die Originale aus dem 18. Jahrhundert bestehen auch die Kopien aus Carrara-Marmor: Je Vase wurden 10 Rohblöcke und damit insgesamt rund 24 Tonnen Rohmaterial verarbeitet. Zum Schutz der Oberflächen erfolgte ein Wachsauftrag. Seit Herbst 2021 schmücken die Prunkvasen, die auf massiven Sandsteinsockeln stehen, wieder den Haupteingang des Großen Garten. 2022 sollen außerdem die Marmor-Kopien der historischen Bildwerke "Silen mit Bacchusknaben" und "Herkules mit Telephosknaben" des französischen Bildhauers Pierre L 'Estache wieder am Eingang des Palais aufgestellt werden. Beim Bombenangriff auf Dresden im Zweiten Weltkrieg wurden die Originale stark beschädigt. Später wurden sie bei Restaurierungsmaßnahmen überarbeitet und ergänzt. Aufgrund fehlender Standsicherheit können sie nicht mehr im Freiraum aufgestellt werden.


Der Große Garten Dresden 
mit dem Palais als erstem Gebäude barocker Baukunst in Sachsen präsentiert sich durch kunsthistorisch bedeutende Marmor- und Sandsteinskulpturen als einzigartige Anlage. Er ist 147 Hektar groß und wurde ab 1676 nach französischem Vorbild angelegt und danach mehrfach erweitert. Die Anlage diente als Ort höfischer feste, für Fasanenjagden und Ringrennen. Trotz der wenigen noch im Großen Garten verbliebenen Marmor- und Sandsteinskulpturen lässt sich dieser einmalige Bestand im Freistaat in Qualität und kunsthistorischer Bedeutung mit dem der Parkanlagen in Potsdam Sanssouci oder München Nymphenburg vergleichen.

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Interview

"Marmor sieht man von außen nicht an, wie es ihm im Inneren geht"



STEIN: Das Skulpturenprogramm im Großen Garten widmet sich insgesamt 22 Sandstein-Bildwerken, 12 Marmorskulpturen und 26 Sandstein-Postamenten. Ursprünglich gab es in der Parkanlage mehr als 200 Marmorobjekte – was ist mit ihnen geschehen?



Kai-Uwe Beger: Sie sind unter anderem den Wirren des Siebenjährigen Krieges von 1756 bis 1763 zum Opfer gefallen. Der Große Garten wurde um 1676 vom damaligen Kurfürsten Johann Georg III. beauftragt. Der ursprüngliche Skulpturenschmuck bestand im Wesentlichen aus Sandsteinfiguren, die ältesten, erhaltenen sind Herkules-Skulpturen aus Sandstein. August der Starke ließ den Park umplanen und ausbauen, und auch Marmor-Skulpturen aufstellen. Marmor galt als sehr edles Material, als Zeichen von Kultiviertheit und wirtschaftlicher Stärke. So wurde der Große Garten zu einer der damals größten Parkanlagen mit Marmorobjekten nördlich der Alpen. Im Siebenjährigen Krieg gab es erhebliche Verluste: Lediglich 12 Marmorskulpturen sind übrig geblieben, die restlichen wurden stark beschädigt, gingen in den Kriegswirren verloren oder lagern in Depots des Freistaates. Die Skulpturen waren damals Herrschaftszeichen, mit denen August der Starke seine Macht demonstrierte – interessanterweise haben die Preußen sie nicht geraubt und nach Potsdam gebracht, sondern beschädigt oder komplett zerstört. Auch die Österreicher hatten einen Anteil an der Zerstörung, genau lässt sich das heute jedoch nicht mehr ermitteln.



Anhand welcher Faktoren haben Sie entschieden, welche der Skulpturen im Original erhalten werden können (wie etwa "Die Zeit enthüllt die Wahrheit") und wo Kopien gefertigt werden?


Wir erhalten alle Originale, die meisten können allerdings nicht mehr im Freiraum aufgestellt werden, sondern müssen überdacht im Innenraum stehen. Von diesen Bildwerken lassen wir Kopien anfertigen, die wieder an den ursprünglichen Standorten aufgestellt werden. Im Rahmen des Skulpturenprogramms haben wir dafür mit einem Team aus Restauratoren, Bildhauern und Denkmalpflegern jede Skulptur untersucht und mit einem Ranking den Grad ihrer Gefährdung eingeschätzt.



Sie prüfen die Marmor-Skulpturen regelmäßig per Ultraschalluntersuchung, um Strukturschwächen in den Originalen rechtzeitig aufzuspüren – bitte beschreiben Sie das Verfahren näher.


Wir messen die Geschwindigkeit, die der Ultraschall braucht, um durch eine Marmorskulptur durchzugehen. Die Schwingungen reflektieren sich an Störungen und Schwachstellen, dadurch breiten sie sich langsamer aus. Das Verfahren ist in der Restaurierung etabliert und es gibt festgelegte Kennwerte: In unbeschädigtem Marmor breitet sich der Ultraschall mit rund 5.500 bis 6.700 Metern pro Sekunde aus. Die historischen Skulpturen, die im Großen Garten noch im Freiraum stehen, haben deutlich geringere Laufzeiten. Wir prüfen alle Bildwerke etwa alle fünf Jahre: Wenn die Werte gleichbleiben, ist das sehr gut, eine gewisse Verschlechterung ist tolerabel, wenn sie deutlich schlechter werden, müssen wir handeln. Anders als zum Beispiel dem Sächsischen Sandstein, dessen Schäden von außen gut erkennbar sind, sieht man Marmor von außen nicht an, wie es im Inneren um ihn bestellt ist. Die Struktur des Materials kann innen bereits stark geschwächt sein, während eine Skulptur von außen keine nennenswerten Schäden aufweist. Marmor ist zwar rund dreimal härter als der regionale Sandstein, aber die Witterungsverhältnisse sind hierzulande, nördlich der Alpen durch die häufigen Frost- und Tauwechsel und hohe Feuchtigkeit nicht so gut wie im Mittelmeerraum. Die Roh-Blöcke, aus denen die Kopien angefertigt werden, haben wir vorab in Carrara ebenfalls mit diesem Ultraschallverfahren messen lassen, um sie auf Risse und Schäden zu prüfen.



Einer der aktuell letzten, großen Teilschritte beim Skulpturen-Programm war die Aufstellung der Vasen-Kopien, die insgesamt zehn Bildhauerinnen und Bildhauer gehauen haben. Wie erarbeiten sie bei einem so großen Projekt eine gemeinsame Formsprache?


Das war glücklicherweise unkomplizierter als gedacht: Wir haben die Vasen in Einzelteile demontiert und die beteiligten Bildhauerinnen und Bildhauer damit beauftragt, exakte Kopien dieser Bildwerk-Teile zu fertigen. Im Voraus gab es mehrere Abstimmungen zur Formsprache, gemeinsam wurde die Qualität abgestimmt und die Oberflächenbearbeitung an Leitstücken festgelegt. Alle Beteiligten haben sich wirklich perfekt in die "Handschrift" des venezianischen Bildhauers Antonio Corradini. Eingearbeitet, von dem die Originalvasen stammen. Schlussendlich waren nur minimale Überarbeitungen nötig.



Wie finden Sie geeignete Bildhauerinnen und Bildhauer für die Projekte, die Erfahrung im Marmor haben?


Der Kreis derer, die in unserer Region Marmor bearbeiten, ist klein, die Bildhauer kennen sich untereinander. Wir haben uns mit Fachkollegen aus Sanssouci beraten, eine Liste der Bildhauer erstellt, die in Frage kamen, ihrer Referenzen angefragt und dann ein normales Bewerbungsverfahren gestartet. Besonders war daran, dass wir zum Beispiel die Vasen-Kopien so aufgeteilt haben, dass auch junge Kollegen mit ersten Erfahrungen im Marmor mitarbeiten und so Erfahrungen sammeln können.



Die Original-Skulpturen wurden im Laufe der Zeit teils mehrfach überarbeitet. Sie wollen mit allen Kopien aber möglichst zu den historischen Vorbildern zurück – warum und wie schaffen Sie das?


Die Originale sind in der Tat zum Teil stark verändert, durch Verwitterungen, und weil bei Restaurierungsmaßnahmen in vergangenen Jahrzehnten weniger Wert auf historische Exaktheit gelegt wurde als auf die handwerklichen Aspekte. Wir kennen die einstigen Originale also nicht 1:1. Glücklicherweise haben sie aber oft "Geschwister", zum Beispiel im Vatikan, die wir nutzen können, um Modelle zu erstellen. Wir lassen Modellabgüsse in Gips von den Originalen anfertigen und fehlende Stellen antragen. Dabei entscheiden wir mit einem Gremium aus Kunsthistorikern, der Denkmalpflege und Bildhauern, wie weit etwas ergänzt werden soll und orientieren uns an historischen Darstellungen und jenen „Geschwistern". Die Frage nach dem Warum ist leicht beantwortet: Das Skulpturenprogramm hat zum Ziel, die beeindruckende Schönheit der Skulpturen zurückzubringen und zu zeigen. Den verwitterten, veränderten Zustand dieser Skulpturen zu kopieren, würde ihnen nicht gerecht und ihre einstige Faszination nicht vermitteln. 



Welche Kopien stehen noch an, wie ist der Status Quo beim Skulpturenprogramm?


Von den zwölf vorhandenen Marmorbildwerken konnten wir bisher zwei mittels Abformung aus Kunstmarmor kurzfristig ersetzen. Bei der Skulptur „Die Zeit enthüllt die Wahrheit“ war die Substanz trotz ihres Alters von 300 Jahren so gut, dass wir das restaurierte Original 2019 wieder im Freiraum aufstellen konnten. Auch der Gartenbereich um die Skulptur herum wurde im Zuge dessen denkmalgerecht saniert. Im letzten Jahr sind außerdem die Marmorkopien die Prunkvasen wieder aufgestellt worden, dieses Jahr folgen zwei Götter-Skulpturen von Herkules und Silen. Die Kopie des Hauptwerks "Die Zeit entführt die Schönheit" wird momentan bearbeitet, wann wir sie aufstellen können, ist noch nicht klar.



Kai-Uwe Beger hat in Dresden Architektur studiert und 19 Jahre in verschiedenen Bereichen als Architekt gearbeitet. Seit 2016 beim STAATSBETRIEB SÄCHSISCHES IMMOBILIEN- UND BAUMANAGEMENT als Sachgebietsleiter für Schlösser, Burgen, Gärten. Seit 2019 ist er auch Zwingerbaumeister.