Der Tod ist ein Stimmungskiller. Niemand weiß das besser als Lea Gscheidel. Da sind diese Momente, wenn sie mit anderen zusammensteht, auf einer Party zum Beispiel, bei einem Bier, wie man sich eben kennenlernt, wenn man 34 ist. Irgendwann kommt unweigerlich diese Frage: „Und, was machst du so?" „Ich bin Bestatterin", sagt Lea Gscheidel.
Im besten Fall geht das Gespräch dann so weiter: „Echt? Ist das nicht ein krasser Beruf?" Dann kann sie lachen und sagen: „Nein, finde ich nicht." Denn: Was ist schon krass? „Wenn ich komme, ist doch das Schlimmste schon vorbei", sagt sie. „Ich kann's nur noch besser machen."
Oft aber ist das Gespräch zu Ende, bevor es angefangen hat. Das hat mit dem Überraschungseffekt zu tun. Man sieht Lea Gscheidel ihren Beruf schließlich nicht an. Bestatter, das sind doch diese Typen, die ihr Geschäft machen, wenn Menschen am hilflosesten sind: Männer im dunklen Dreiteiler zu violetter Krawatte und staatstragender Miene.
Zack, das Thema ist im RaumLea Gscheidel trägt einen bunten Schal um den Hals. Sie lacht viel. Sie ist eine Frau. Sie ist jung. Und dann das: Bestatterin. Zack, auf einmal ist das Thema Tod im Raum. „Das hat eine unheimliche Kraft, eine Tiefe", sagt sie. „Das ist halt wesentlich." Schwierig, da beim Small Talk zu bleiben.
Wenn wir fünf, sechs Jahre alt sind, verstehen wir zum ersten Mal, dass der Tod endgültig ist. Wer tot ist, ist weg, kommt nicht wieder. Es dauert dann noch eine Weile, bis die Erkenntnis in uns reift: Wer stirbt, der fühlt auch nichts mehr. Und, dass es nicht nur Oma treffen kann, sondern auch uns selbst.
Den Rest des Lebens verbringen wir dann damit, das begreifen zu wollen - oder eben auch nicht. Wer so alt ist wie Lea Gscheidel, für den gilt eher Letzteres. Da geht's ums Kinderkriegen. Gestorben wird später.
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Nur: Erstens ist das nicht immer so. Sterben kann nun mal jeder zu jeder Zeit. Freunde, Geliebte. Die eigenen Eltern, die auch nicht jünger werden. Und sogar Kinder. Zweitens ploppen um die Dreißig diese fiesen Fragen auf. Ist es das jetzt? Was ist das eigentlich, mein Leben? Davor kann man so gut wie alles „erst mal" machen. Erst mal studieren. Erst mal in diese Wohnung ziehen. Erst mal mit dem zusammen sein. Wer aber anfängt, über Kinder nachzudenken, der kommt auch irgendwann beim eigenen Tod an. Weil der Gedanke an die nächste Generation auch bedeutet, die eigene Endlichkeit zu erahnen. Ganz abgesehen von praktischen Erwägungen: Was passiert eigentlich mit dem Kind, falls ich nicht mehr da bin? „So ging es mir, als ich Bestatterin geworden bin", sagt Lea Gscheidel. Sie hatte - erst mal - Wirtschaftswissenschaften studiert und danach am Theater als Tourmanagerin gearbeitet. Hatte ein bisschen programmieren gelernt, Veranstaltungen organisiert, sich in einer kleinen Beraterfirma in der Start-up-Welt herumgetrieben, in der das Morgen immer eine Vision ist, aber selten wirklich greifbar.
„Ich hatte irgendwann das Gefühl, ich bin zu alt für die Assistenzjobs, die ich mache", sagt sie. Als einer dieser Jobs mal wieder vorbei war, wollte sie die Fragen in ihrem Kopf nicht mehr ignorieren.
Wie sieht der Tod in Zukunft aus?
Die Frage, wo das Leben hinführt, hängt ja irgendwie zusammen mit: Wo komme ich her? Lea Gscheidels Mutter ist Hebamme. Der Vater hat vieles ausprobiert, war Pädagoge und Verleger. Als Lea Gscheidel Abitur machte, wurde er Bestatter. Sie fand das nicht merkwürdig, im Gegenteil. „Ich habe ihn dafür bewundert, dass er das einfach so gemacht hat." Und als es im Studium mal darum ging, dass Erstgeborene oft das Familienunternehmen übernehmen, fühlte sie sich angesprochen: „Ich könnte nicht ertragen, dass das, was mein Vater aufgebaut hat, einfach so verschwindet, wenn er mal nicht mehr da ist."
Es war dann nur ein kleiner Schritt. „Ich mach' dir mal deine Website neu, die sieht ja aus wie aus den Neunzigern", so begann es. Ein Vortasten auf einem Terrain, auf dem sie sich zu bewegen weiß, dem Internet. Wo junge Bestatter auf Plattformen wie Twitter Gedanken darüber teilen, wie der Tod in Zukunft aussehen kann.
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Sie verwenden eigene Hashtags: #redeath, #lifedeathwhatever, #babyloss, #unsaid, #digitalafterlife. Es geht um neue Formen der Bestattung, um „green burials" mit einfachen Särgen aus Naturholz und ohne Metallbeschläge, ausgekleidet mit unbehandelter Baumwolle. Es geht um Trauer in Zeiten von Facebook und darum, wie man sich um den eigenen digitalen Nachlass kümmert. Das Internet gibt dem Nachdenken über den Tod einen neuen Raum. Da ist zum Beispiel eine junge Bestatterin aus Los Angeles, die aussieht wie die Sängerin einer Rockabilly-Band. Sie stellt kurze Clips auf Youtube, in denen sie Fragen aus dem Gruselkabinett unserer Vorstellung vom Tod beantwortet: Wie lange dauert die Leichenstarre? (Bis zu drei Tage.) Müssen die Knochen eines Verstorbenen gemahlen werden, nachdem er im Krematorium verbrannt wurde? (Ja.) Wie schließt man den Mund eines Verstorbene? (Er wird mit Haken in der Mundhöhle fixiert oder von innen zugenäht, zumindest nach der konventionellen Methode. Es reicht auch, ein zusammengerolltes Stück Stoff unter das Kinn zu klemmen.)
Die Videos werden Hunderttausende Male angeklickt. Und wenn Caitlin Doughty fertig ist mit ihren Erklärungen, die so wissenschaftlich wie humorvoll sind, ist von dem Grusel nicht mehr viel übrig. Vielmehr bleibt das Gefühl: Aha, so ist das also. „Der Tod ist eine Black Box", sagt Lea Gscheidel. „Dabei ist alles normaler, unspektakulärer als viele denken." Und nur wer weiß, was ihn erwartet, kann selbstbestimmt entscheiden.
Die Geschichte hinter einem TodLea Gscheidel wusste anfangs nicht, ob sie das kann, ob sie das überhaupt will - Bestatterin sein. „Bevor ich nicht meinen ersten Toten gesehen habe, entscheide ich gar nichts", hat sie sich gesagt.
Dann war es gar nicht so schlimm. Sie hatte die Frau, die an Krebs erkrankt war, noch im Krankenhaus besucht, sie hat sich noch selbst um ihre Beerdigung gekümmert. Die Frau starb ein paar Monate später. „Es ist einfacher, wenn man die Geschichte hinter einem Tod kennt", sagt Lea Gscheidel. Was sie viel mehr umtrieb: Bin ich nicht zu jung? Was kann ich den Menschen in diesem Moment geben? „Mein Vater ist so ein Seebär-Typ", sagt sie. „Er gibt einem das Gefühl: Mit ihm an deiner Seite kann dir nichts passieren. Das kann ich einfach nicht bieten."
Doch dann gab es diesen Moment. Sie begleitete eine Mutter, deren Sohn, dreißig Jahre alt, sich umgebracht hatte. Als es darum ging, den Sohn anzukleiden, sagte die Mutter: „Ich kann das nicht." Aber als sie Lea Gscheidel dabei zusah, wie sie dem Sohn die Socken anzog, habe sie gedacht: Wenn die Kleine das schafft, dann kann ich das auch. „Als sie mir das später erzählte, war das ein Schlüsselmoment", sagt Lea Gscheidel. „Ich habe gemerkt, dass ich so jung bin, das hat auch Vorteile."
"Das bin nur ich"Nur etwa die Hälfte der Verstorbenen, um die sich Lea Gscheidel und ihr Vater Uller kümmern, sind über fünfzig Jahre alt. Sie begleiten, unterstützt von Lea Gscheidels Mutter, der Hebamme, besonders viele junge Familien, deren Kinder oder ungeborene Kinder gestorben sind. Deshalb sind auch die Hinterbliebenen oft noch junge Erwachsene. „Ich spreche dieselbe Sprache wie sie", sagt Lea Gscheidel. „Da sitzt nicht plötzlich ein Mensch am Küchentisch, der sich fremd anfühlt. Das bin nur ich."
Es braucht nicht viel, um in Deutschland Bestatter zu werden. Eine Anmeldung bei der Handelskammer, fünfzig Euro Gebühr. Das ist alles. Es gibt auch eine Ausbildung, in der geht es viel um Buchhaltung und Personalführung, Dinge, die Lea Gscheidel schon im Studium gelernt hat. Was sie über den Umgang mit den Verstorbenen und mit den Hinterbliebenen wissen muss, lernt sie von ihrem Vater. Sie hat einen Lehrgang in den Niederlanden besucht und sich die Arbeit bei ein paar anderen Berliner Bestattern angesehen, weil sie neugierig war. „Das ist kein Hexenwerk, was wir da machen", sagt sie. „Wir sind Menschen und haben es mit Menschen zu tun." Das ist ihr Kompass, dem sie bei ihrer Arbeit folgt. Ein Satz, so simpel wie radikal.
In Berlin gibt es mehrere Anbieter für alternative Bestattungen. Dazu gehört das Bestattungsinstitut Charon, das Uller Gscheidel 2002 gegründet hat und zusammen mit seiner Tochter Lea und ihrer Mutter, der Hebamme Clarissa Schwarz, führt.
Sie begleiten Hinterbliebene bei der individuellen Gestaltung einer Beerdigung, dazu gehört zum Beispiel, an den einzelnen Schritten, die ein Verstorbener geht, teilhaben zu können. Alternative Bestatter bieten oft an, den Sarg zu bemalen und die Trauerfeier nach individuellen Wünschen durchzuführen. Wenn es Konfetti regnen soll, dann machen sie das möglich.
Zusammen mit anderen jungen Bestattern, Kulturwissenschaftlern und Kreativen hat Lea Gscheidel im Dezember den Verein „Hallo Tod" gegründet. Sie wollen jungen Menschen eine Plattform bieten, auf der sie Antworten auf Fragen rund um das Thema Tod finden können.
Die meisten Bestatter in Deutschland verstehen sich als Dienstleister. Sie sind Verkäufer, ihr Geschäft ist der Tod. Man muss das gar nicht anrüchig finden. Längst bietet das Internet auch hier die Möglichkeit, Preise und Service zu vergleichen. Auf der Website mymoria.de können Hinterbliebene alles, was zu einer Beerdigung gehört, selbst in den virtuellen Warenkorb legen, vom Kiefernsarg „Zimtstern" bis zum Trauerkarten-Set „Kreuz". Der perfekte Service.
Gegen die OhnmachtNur: Ist es tatsächlich das, was den Menschen in dieser Situation hilft? „Produkte verkaufen ist nicht meine Hauptaufgabe", sagt Lea Gscheidel. Sie sieht sich als Begleiterin auf einem Weg, den man nur einmal gehen kann. „Zu sagen, dir ist etwas Schlimmes passiert, ich nehme dir jetzt alles ab, finde ich da wenig hilfreich." Sie will die Beerdigung zurück in die Hände der Familie legen. Den Angehörigen das Gefühl geben, dass sie über jeden Schritt frei entscheiden können. Gegen die Ohnmacht, die sich mit dem Tod über das Leben legt.
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Es ist am Ende gar nicht so wichtig, wie diese Schritte aussehen. Auch wenn Lea Gscheidel immer wieder merkt, wie wenig die Menschen darüber wissen, was sie dürfen. Den Verstorbenen 36 Stunden lang zu Hause zu behalten zum Beispiel; bei allem dabei sein, was mit ihm geschieht. Sie drängt niemanden dazu. Aber sie erklärt, warum das helfen kann.
Die Liebe ist schuld
Oft hört sie: Ich will den nicht noch einmal sehen, ich will den so in Erinnerung behalten, wie er lebend war. „Erstens", sagt Lea Gscheidel, „werden es nicht weniger Erinnerungen, nur weil eine neue hinzukommt. Und zweitens: Es ist schwer zu begreifen, dass jemand tot ist. Was uns aber hilft, ist, selbst Zeuge zu werden. Zu sehen: Das, was jemanden ausgemacht hat, ist nicht mehr da."
Sie kann es schwer aushalten, wenn sie sieht, dass jemandem das genommen wird. Wenn da zum Beispiel ein Großvater glaubt, die trauernde Enkelin schützen zu müssen und sie deshalb von allem fernhalten will. Lea Gscheidel hat dann das Gefühl, ihre Arbeit nicht so gut machen zu können, wie sie gerne würde. Auch wenn der Tod oft kein schöner Anblick ist, hat sie die Erfahrung gemacht, dass vieles besser werden kann, wenn sie den Angehörigen ein friedliches Bild für die Erinnerung mitgeben kann.
Das ist das eine, was sie gelernt hat in den knapp drei Jahren, die sie jetzt Bestatterin ist: dass die Art und Weise, wie wir unsere Verstorbenen bestatten, der erste Schritt auf dem Weg zur Bewältigung der Trauer ist.
Ihre andere wichtige Erkenntnis packt Lea Gscheidel in eine Geschichte: Im Sommer vergangenen Jahres hat sie eine kurze Rede gehalten auf einer Konferenz, auf der es darum ging, in ein paar Minuten einem Publikum etwas Erhellendes zu einem Thema nach Wahl zu erzählen. Eine Frau sprach übers Pole Dancing, ein Mann über Bienen, ein Paar über Fernbeziehungen. Lea Gscheidel sprach über den Tod. „Die einzige Gewissheit, die wir im Leben haben, ist, dass es irgendwann zu Ende geht", sagte sie. An die Wand ließ sie Bilder aus dem 19. Jahrhundert projizieren, als es noch üblich war, Verstorbene abzulichten, als letztes Andenken. „Der Tod ist nicht das Problem", fuhr Lea Gscheidel fort, „sondern die Liebe."
Wenn sie das erklären soll, erzählt sie, wie sie einmal auf einer Beerdigung stand, am Grab hielten sich Vater und Sohn in den Armen, weinten um die Ehefrau, die Mutter, die an Krebs gestorben war. „Mich hat es sehr gerührt, wie nah sich die beiden waren", sagt sie. „Was ich in meinem Job zu sehen bekomme, ist natürlich Trauer. Aber auch unheimlich viel Liebe." Für sie bedeutet das: Ohne die Liebe gäbe es den Schmerz nicht. Die Liebe ist schuld, nicht der böse Tod. Aber die Liebe ist auch das, was bleibt.
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