Die Regenbogenfahne hat Jana Schneider nie etwas bedeutet. Bis zum 12. Juni 2016. In einem Nachtclub in Orlando erschoss der 29-jährige Omar Mateen 49 Menschen. Danach hisste Jana Schneider sie zum ersten Mal. „Das waren meine Leute, die da angegriffen wurden", sagt sie. "Meine Szene." Doch diese Szene, die schwul-lesbische Community, will mit ihr nichts zu tun haben.
Jana Schneider, 22 Jahre alt, lesbisch, ist AfD-Mitglied und seit Juni Vorsitzende der Jungen Alternative in Thüringen, Landesverband der Jugendorganisation der AfD. In ihrem Schlafzimmer hängt die Regenbogenfahne, in ihrem Wohnzimmer die Deutschlandflagge.
Was sucht eine junge Frau wie Jana Schneider in der AfD? In einer Partei, deren Vorsitzende darüber sinniert, dass im deutschen Fernsehen zu viele Schwule gezeigt werden? In Sachsen-Anhalt forderte ein AfD-Mann, Homosexuelle einzusperren, in Berlin nannte der ehemalige Lichtenberger Direktkandidat Kay Nerstheimer Schwule eine "degenerierte Spezies".
Die AfD lehnt die Ehe für alle ab und ist gegen ein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare; die AfD ist gegen das Gender-Mainstreaming, also gegen die Idee, dass Geschlechter gleichgestellt werden sollten. Die Berliner Parteivorsitzende Beatrix von Storch nennt das schon mal "politische Geschlechtsumwandlung" und der Thüringer Fraktionsvorsitzende Björn Höcke "Geisteskrankheit".
Das ist die Partei, die sich Jana Schneider ausgesucht hat.
An einem kalten Herbsttag sitzt sie in einem Café unweit des Bahnhofs Jena Paradies. Die langen Locken trägt sie offen, ihre Ohrläppchen zieren fingerbreite Löcher, in die sie lilafarbene Ringe gesetzt hat. Auf Bildern, die sie mit anderen AfD-Mitgliedern zeigen, fällt sie immer aus der Reihe. Es gibt eines, da steht sie mit der biederen Frauke Petry zwischen vier grauhaarigen Herren, die den Daumen nach oben recken. Ein anderes zeigt sie in einer Gruppe von zehn breitschultrigen jungen Männern, sie stehen hinter einem Transparent der Jungen Alternative und schauen mit ernsten Gesichtern in die Kamera.
Thors Hammer um den HalsDas Bild stammt aus der Zeit, als sie der AfD beigetreten ist. Zwei Jahre ist das jetzt her, die Partei hatte gerade bei der Europawahl sieben Prozent der Stimmen geholt. In Syrien herrscht Krieg, aber noch hat Angela Merkel nicht ihr "Wir schaffen das" in die Welt gesetzt, diesen Satz, der der AfD heute die Wahlergebnisse über 20 Prozent verschafft.
Jana Schneider studiert in Oldenburg Germanistik und Geschichte und fühlt sich unwohl. "Gleich in der ersten Vorlesung wurde behauptet, dass alles Literatur sein kann, auch eine Betriebsanleitung", sagt sie. Während ihre Kommilitonen begeistert den Kanon infrage stellen, ärgert sie sich darüber, dass die Dozenten über 50 Shades Of Grey sprechen statt über klassische Literatur. Sie interessiert sich für die alten Germanen, entdeckt das Heidentum als Glauben für sich.
"Eine Kommilitonin wusste nicht einmal, auf welcher Seite Arminius gekämpft hat", sagt sie. Sie findet es wichtig, die deutsche Geschichte zu kennen. Um den Hals trägt sie Thors Hammer, ein Symbol, das Rechtsextreme gerne verwenden. „Historisch völliger Unsinn", sagt sie. Für sie ist das kein Grund, die Kette abzulegen. Was kann sie dafür, wenn es die anderen nicht besser wissen?
Streit, wenn Jana Schneider die EU abschaffen willNeben der Uni arbeitet Jana Schneider in einem Altenheim und bei einem inklusiven Theaterprojekt. „Da konnte ich sofort sehen, das, was ich tue, bringt was." An den Wochenenden fährt sie zu ihrer Familie, die in einer Kleinstadt bei Bremen lebt. Ihr Coming-out hatte sie früh, mit dreizehn, vierzehn vielleicht. Es habe sich nie jemand daran gestört, sagt sie. Vielleicht weil sie nie versucht habe, das zu verstecken. Vielleicht hatte sie einfach Glück.
Zu Hause diskutieren sie über Politik. Die Eltern sind eher links. Sie streiten sich, wenn Jana Schneider die EU abschaffen will; sie sind sich einig darüber, dass kriminelle Migranten abgeschoben werden sollten. Ihre Eltern lassen ihr den eigenen Kopf.
Viel mehr will sie nicht erzählen über ihre Familie, um sie schützen, sagt sie. Die Eltern sollen nicht Rede und Antwort stehen müssen für ihre politischen Entscheidungen. Nur so viel noch: Was sie geprägt habe, sei der Zusammenhalt in ihrer Familie. Unter ihrem rechten Schlüsselbein trägt sie das altgriechische Wort für Familie eintätowiert: "Patria".
Als Jugendliche bei der Grünen JugendAls im Nachbarort ein Mann tot geprügelt wird, hat sie das, was sie ihr Schlüsselerlebnis nennt. Das Opfer ist Deutscher, der Täter hat türkische Wurzeln, Rechte halten Mahnwachen, der Bürgermeister organisiert eine Demo gegen Fremdenhass. "Das fand ich als erste Reaktion merkwürdig", sagt Jana Schneider. Für sie spielt es eine Rolle, dass der Täter kein Deutscher ist.
Als Jugendliche war sie mal bei der Grünen Jugend. Jetzt besucht sie die Stammtische der AfD in Oldenburg. Hier haben die Leute die gleichen Sorgen wie sie: die von Migranten bedrohte innere Sicherheit, der Krieg in Syrien, über den die Medien einseitig berichten. Jana Schneider will nicht mehr beobachten, sie will etwas tun.
Es ist Wahlkampf, sie verteilt Flugblätter in der Fußgängerzone, klingelt an Haustüren. Es kommt mal vor, dass jemand einen Flyer zerreißt, aber das stört sie nicht. Sie geht zur Jungen Alternative, findet eine Organisation, die so klein ist, dass sie schnell alle wichtigen Leute kennt. Sie arbeitet am Programm mit, kann endlich etwas tun.
Als Wiebke Muhsal, gerade frisch in den Thüringer Landtag gewählt, eine Wahlkreismitarbeiterin sucht, schmeißt Jana Schneider ihr Studium und zieht nach Jena.
Wer herausstechen will, muss laut seinHier ist sie also gelandet. Wobei es ja heutzutage kaum noch eine Rolle spielt, wo jemand sitzt. Viel wichtiger ist, was er in den Sozialen Netzwerken zu sagen hat. Und Jana Schneider hat viel zu sagen. Sie schreibt lange Facebook-Posts über den Islamismus, die kaum jemanden interessieren. Wer aus dem Grundrauschen in den Timelines herausstechen will, muss lauter sein. Das versteht Jana Schneider schnell.
Als die Kölner Oberbürgermeisterin Frauen nach der Silvesternacht rät, von Fremden "eine Armlänge Abstand" zu halten, nimmt Jana Schneider ein Foto von einer Magnum und schreibt dazu: "Wenn die Politik nicht handelt, halten die Menschen vielleicht in Zukunft wirklich eine 'Armlänge Abstand', Frau Reker." Sie habe nur davor warnen wollen, dass die Bürger ihre Sicherheit der Politik bald nicht mehr anvertrauen mögen, sagt sie. Verstanden wird das als Aufruf zur Selbstjustiz.
Das Bild wird fast fünfhundertmal geteilt, bundesweit wird über die Junge Alternative in Thüringen berichtet, die zu diesem Zeitpunkt eine Handvoll Mitglieder hat. Bodo Ramelow, der Ministerpräsident, sieht eine "gefährliche geistige Haltung", twittert darüber, eine Riesenaufregung. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob sie ermitteln soll.
Jana Schneider lacht darüber wie über einen gelungenen Witz. "Albern das Ganze", sagt sie. "Mir war völlig klar, dass das nicht strafwürdig ist. Provokation gehört nun mal zur Politik." Den Vorwurf der Hetze hält sie für ein Totschlagargument. Als hätten Worte keine Macht.
Für sie ist das alles ein Spiel, eines, das zu oft alle mitspielen. Im Internet bestellt sie einen Nikab, ihre Chefin Wiebke Muhsal marschiert damit in den Landtag. Wieder große Aufregung, am Ende muss Muhsal den Nikab abnehmen - und hat die anderen Parteien selbst vorführen lassen, was die AfD verlangt: keine Vollverschleierung im öffentlichen Raum. "Gute Aktion", sagt Jana Schneider. "Erst, wenn es den Menschen weh tut, beschäftigen sie sich mit dem, was man zu sagen hat."
Im Juni wird Jana Schneider zur Vorsitzenden der Jungen Alternative in Thüringen gewählt. Danach geht der Shitstorm los.
Ausschluss aus schwul-lesbischer Facebook-Gruppe"Wie kann eine lesbe so dumm sein... Findet wohl keine Frau und ist untervögelt...". "Hexenverbrennung doch nicht so ne schlechte Idee". "Verpfuschte Lebensform". "Kampflesbe". "dumm... dümmer... jana schneider".
Das Onlinemagazin queer.de hatte sie als "homosexuelle Rechtsradikale" vorgestellt.
Jana Schneider wehrt sich. "Ich wäre falsch in der Politik, wenn mir so etwas Angst machen würde", sagt sie. Sie stellt die Hasskommentare auf die Facebook-Seite der Jungen Alternativen, ohne die Namen zu schwärzen. Es passt gut in ihr Weltbild, wie intolerant gerade die mit ihr umgehen, die selbst für Toleranz und Vielfalt stehen.
Was sie trifft: Als sie aus einer schwul-lesbischen Facebook-Gruppe ausgeschlossen wird, nur weil sie in der AfD ist. "Es ist unangenehm, als Verräter betrachtet zu werden", sagt sie. Ihre Eltern machen sich jetzt manchmal Sorgen um sie. Wiebke Muhsals Wohnhaus wurde bereits mit Farbbeuteln beworfen, das Wahlkreisbüro beschmiert. Jana Schneider sagt, sie drehe sich mittlerweile öfter um, wenn sie abends allein nach Hause geht.
"Wollen Sie einen Bürgermeister, der mit Islamisten kuschelt?"Jana Schneider ist nicht die einzige Homosexuelle in der AfD. Es sind ein paar mehr, sie haben ihre eigene Organisation, auch wenn die nicht offiziell anerkannt ist. Die meisten darin sind schwul. In der Partei gibt es aber auch Alice Weidel, Ökonomin, Start-up-Gründerin und im Bundesvorstand der AfD, die mit ihrer Partnerin ein Kind großzieht. "Es ist wichtig, dass bürgerliche, konservative Homosexuelle sehen, dass es eine Alternative gibt zu links-grün", sagt Jana Schneider.
Das Problem ist: Sie bewegt sich längst jenseits eines bürgerlich-konservativen Lagers. "Moscheen schließen. Ausländische Muslime ausweisen. Konten einfrieren. Internetseiten lahmlegen. Systematische Hausdurchsuchungen. Grenzen dicht.", schreibt sie nach den Anschlägen in Paris auf Facebook. Vor den Wahlen in Berlin montiert sie Michael Müllers Kopf auf einen nackten Oberkörper, Hand im Schritt, daneben ein IS-Kämpfer: "Wollen Sie einen Bürgermeister, der mit Islamisten kuschelt?"
In Thüringen kommt man mit so einer Haltung den Rechtsextremen schnell nahe. Da kann es passieren, dass Wiebke Muhsal auf einer regelmäßig stattfindenden Mahnwache gegen eine Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eine Rede hält und unter den Zuhörern André K. ist, ein strammer Kameradschaftler und mutmaßlicher NSU-Unterstützer.Nach Jana Schneiders Logik kann in der AfD niemand etwas dafür, wenn sich so ein Rechter neben einen stellt. Eine andere Sichtweise wäre: Vielleicht ist man einfach auf der falschen Demo. Oder in der falschen Partei.
Jana Schneider aber fühlt sich hier genau richtig. Sie sagt, sie habe nichts gegen Ausländer, sie habe doch selbst einen Onkel, der aus Togo stammt. "Es geht nicht darum, welche Hautfarbe jemand hat, sondern, ob er sich integriert und etwas fürs Gemeinwesen tut", sagt sie.
Im Sommer trifft sich Jana Schneider mit Kevin Schulhauser, einem ehemaligen NPD-Schulungsleiter, jetzt Mitglied der rechtsradikalen Identitären Bewegung. Die Identitären wollten der Jungen Alternativen eine Zusammenarbeit anbieten. Es ist nicht das erste Treffen mit ihnen.
"Grab them by the pussy, Mr President"Sie habe das dann abgelehnt, sagt Jana Schneider. Bei den Identitären sind Mitglieder der rechtsextremen Burschenschaft Normannia aktiv, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. In einer E-Mail, die das Netzwerk Thüringen Rechtsaußen veröffentlich hat, beschreibt Kevin Schulhausen Jana Schneider als "sehr sympathisch": "Sie vertritt in einigen Belangen radikalere Positionen als ich." Jana Schneider sagt heute: "Mit solchen Leuten lässt man sich nicht blicken."
Die Junge Alternative arbeitet längst an der internationalen Vernetzung. Kürzlich war die Jugendorganisation der ausländerfeindlichen Schwedendemokraten in Jena, ihr Vorsitzender hielt eine Rede über die Gefahren des Multikulturalismus.
Es sind diese Ängste, die die Rechtspopulisten schüren, die alles andere in den Hintergrund rücken lassen. "Viele Homosexuelle täuschen sich, wenn sie glauben, die Ehe, das Adoptionsrecht würden dafür sorgen, dass sie sich endlich vollständig fühlen", sagt Jana Schneider. "Aber wir sind nun mal nie die Norm." Für sie ist das Klientelpolitik. Und die interessiert sie nicht. Lieber redet sie über Homophobie bei Muslimen, auch wenn sie so etwas selbst nie erlebt hat. Oder über die Rolle der Frau im Islam, von Kinderehen, Ehrenmorden und der Scharia. Alles, was Feministinnen heute beschäftigt - die Quote, gleiche Bezahlung -, hält sie für Kleinkram, Sexismus für verzeihliche Anzüglichkeiten. Am Morgen nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl schreibt Jana Schneider auf Facebook: "Grab them by the pussy, Mr President."
Björn Höcke schätzt Jana Schneiders "gewinnendes, sympathisches Wesen", das lässt er seinen Assistenten Torben Braga, ein rechter Burschenschafter, per Mail mitteilen. Und: "Die AfD ist für Homosexuelle eine attraktive politische Alternative, weil sie niemanden wegen seiner sexuellen Neigung diskriminiert." Die AfD braucht eine wie Jana Schneider. Für die Partei hat sie die Regenbogenfahne genau aus dem richtigen Grund gehisst.
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