Carlotta und Linus, die an der der Uniklinik Bonn (UKB) studieren, engagieren sich in der Gruppe der „Kritischen Mediziner*innen Bonn". Die Gruppe setzt sich außerhalb des Kontextes der Uniklinik mit gesundheitspolitischen Themen und Herausforderungen im medizinischen Bereich auseinander. Das Gendern ist für sie eine klare Positionierung für mehr Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit in der Medizin.
Was haltet Ihr vom Gendern?Carlotta: Also ich würde sagen, ich praktiziere es. Bestimmt schleicht sich auch hier und da noch ein Fehler ein, aber ich bin auf jeden Fall bemüht, es zu machen. Ich finde, die Bewegung ist sehr positiv und ich merke, dass sie einfach auf Missstände aufmerksam macht. Und ich glaube, solange es noch auffällt, dass man in der Sprache gendert, scheint es noch nicht in der Gesellschaft angekommen zu sein. Also vor allem die Gleichstellung.
Linus: Ich glaube, dass das Gendern ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zur Geschlechtergerechtigkeit ist. Wenn wir in unserer Sprache, die ja ein alltägliches Mittel ist, uns nicht mit dem Bedürfnis nach Gerechtigkeit auseinandersetzen, dann können wir nicht weiterkommen. Ich glaube auch, dass Sprache was Fluides ist, und finde es sehr spannend, mich damit auseinanderzusetzen. Ich kann mich Carlotta anschließen, dass ich auch erst „gendere", seitdem ich da ein bisschen herangeführt worden bin. Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass die meisten Menschen erst mal an die Thematik herangeführt werden müssen, und es dann viel einfacher ist, die eigene Sprache zu ändern. Ich merke aber auch, dass ich bei manchen Formulierungen noch unsicher bin und nicht weiß, wie ich mich ausdrücken kann, ohne zu diskriminieren. Ich bin sehr gespannt, in welche Richtung die Sprache sich entwickeln wird.
Wie steht der Fachbereich Medizin zu der Thematik? Gibt es bei euch Vorgaben?Carlotta: Da haben wir eben kurz vor dem Interview noch drüber geredet. In Aufgabenstellungen und Mails steht in der Anrede „Studierende" oder „liebe Studentinnen und Studenten". Sonst wird nicht gegendert und auch viele unserer Kommiliton*innen oder Professor*innen gendern nicht. Was wir gerade auch festgestellt haben, dass die UKB seit kurzem auf ihrer Website das Gendersternchen nutzt.
Linus: Was ich auffällig finde: Ich kenne eigentlich nur zwei Mitarbeiterinnen im medizinischen Bereich, die im direkten Kontakt eine gendersensible Sprache anwenden. Einmal aus der Medizinischen Psychologie, und dann aus der Geschichte und Ethik der Medizin. Also die merken schon, dass das irgendwie Thema ist.
Wann seid Ihr das erste Mal mit gendersensibler Sprache in Berührung gekommen?Carlotta: Ich würde sagen, in meiner Schulzeit nicht. Auch beim Freiwilligen Sozialen Jahr, das ich im Krankenhaus gemacht habe, eher weniger. Zum Start des Studiums bin ich damit in Berührung gekommen und richtig intensiv wurde es durch die kritischen Mediziner*innen. Und natürlich je mehr ich mich in dem Umfeld bewege. Das Studium war der Anfangspunkt.
Linus: Den allerersten Kontakt hatte ich schon in der Schulzeit. Ich habe einen Artikel in der taz oder der Jungle World gelesen. Da hat mich das Gendern noch sehr irritiert. Nach der Schule war ich im englischsprachigen Ausland und habe erst da das Gendern kennengelernt und verstanden, wie sehr es in der Sprache einen Unterschied macht.
Schreibt Ihr oder sprecht Ihr gendersensibel?Carlotta: Das Sprechen ist abhängig davon, mit wem ich mich unterhalte. Also wenn mein Gegenüber gendert, ist es klar, dass ich es auch mache. Aber wenn ich zum Beispiel mit meinen Eltern oder Großeltern spreche, dann verfalle ich in die „alte" Sprache.
Zum Schreiben: wir müssen nicht so viel schreiben im Studium, sondern nur ankreuzen. (lacht)Wir schreiben eigentlich keine Texte, aber in Mails gendere ich schon und mein Motivationsschreiben habe ich auch gegendert.
Linus: Mit der Sprache geht es mir ähnlich wie Carlotta. Also es gibt immer noch so Formulierungen, bei denen ich mich frage, wie es richtig ist. Meine Sprache ist auf jeden Fall abhängig vom Umfeld. Manchmal gendere ich mit Absicht gerade dann, wenn es andere nicht machen. Das sind vor allem jüngere Menschen, bei denen ich weiß, dass die Person sehr kritisch dem Gendern gegenüber ist. Und bei meinen Großeltern nutze ich immer das generische Femininum und nicht das Maskulinum.
Für die Betreuungsvereinbarung habe ich einen gegenderten Projektentwurf geschrieben. Mein Betreuer hat manche Sachen korrigiert, aber auch alles gegendert gelassen. Auch mein Doktorvater hat nichts kritisiert. Ich denke, in der UKB ist man grundsätzlich aufgeschlossen, aber es ist noch lange nicht so, dass es bei den Leuten angekommen ist.
Ist Euer Bewusstsein in den letzten Jahren auch durch die Genderdebatte in den Medien gestiegen?Carlotta: Ja auf jeden Fall. Das war in der Zeit, wo ich mich bewusster mit Sprache auseinandergesetzt habe. Wahrscheinlich auch durch die Medien, die das ganze Thema zugänglicher gemacht haben. Die Aufmerksamkeit war einfach viel stärker.
Linus: Die Medien haben eine große Rolle gespielt. Mein Interessensspektrum hat sich mit Beginn des Studiums auch ein bisschen gewandelt. Zum Gendern kam ja ganz viel und zwar aus den unterschiedlichsten Medien, von rechts-konservativ bis links. Die Debatten zu verfolgen, fand ich sehr spannend. Heute merke ich sofort, welches Medium gendert und welches nicht.
Gibt es einen Moment oder eine Situation, die Euch besonders überrascht hat?Carlotta: Ich hatte tatsächlich eine Begegnung mit einem sehr guten Freund. Wir sind super unterschiedlich und hatten uns ewig nicht gesehen. Im Café habe ich dann gegendert und deswegen kam es zur Diskussion. Er hat mich erst mal belächelt und das Argument gebracht, dass Gendern die Sprache kaputt macht. Am Ende sagte er sogar noch, dass er für ihn vollkommen okay wäre, wenn nur noch „liebe Studenten" in der Anrede stehen würde. Das fand ich schon sehr krass, wie ein Mensch in meinem Alter so diskriminierend sein kann und die Beweggründe für Gendergerechtigkeit nicht versteht.
Linus: Tatsächlich hat es mich sehr überrascht, dass die UKB jetzt gendert. Klar wäre es auch ein bisschen schwierig gewesen, auf der Website von „Patienten" auf „Patientinnen und Patienten" zu wechseln. Da sind sie lieber direkt zum Genderstern übergegangen.
Auch fällt mir auf, dass fast ausschließlich Männer gegen das Gendern sind. Da muss einem klar sein, was eigentlich dahintersteckt. Ich meine, als westeuropäischer Mann habe ich verdammt viele Privilegien. Und ich finde es auch extrem schwierig, sich in jeder Situation aller Privilegien bewusst zu sein. Doch das Privileg durch das Geschlecht ist einfach so deutlich, da finde ich es echt krass, wie man sich dem wirklich offensichtlichen Umstand so verschließen kann.