1 Abo und 1 Abonnent
Artikel

GIs mit ganz großen Gefühlen

Mike Leary (links) diente in den 70er Jahren in Augsburg, Vic McFadden (rechts) war bis in die neunziger als Computerspezialist in Gablingen stationiert. Er organisiert heute die jährlichen Veteranen-Treffen.

Ein amerikanischer Veteranen-Stammtisch trifft sich einmal jährlich, um an die Militärzeit in Augsburg zu erinnern. Zum ersten Mal kehren sie zusammen zurück.

VON ANNA KLEIN

Echte Männer weinen nicht, erst recht nicht, wenn sie alle einen gemeinsamen Militäreinsatz hinter sich haben. Und doch ist genau das der Grund, warum an diesem Abend über einhundert US-Amerikaner in Pfersee zusammengekommen sind – und so mancher ein kleines Tränchen verdrückt. Wie zum Beispiel Vic McFadden: „Die Gebäude kann man zwar einreißen“, sagt der Veteran aus Illinois und deutet pathetisch auf seine Brust, „aber niemand kann mir nehmen, was hier drin ist“. 

Deshalb organisiert der frühere Computerspezialist heute die jährlichen Zusammenkünfte der ehemaligen Augsburg-GIs. Das große Jubiläumstreffen hat ihn rund eineinhalb Jahre beschäftigt, doch an diesem Abend haben sich alle eingefunden, auf dem Gelände der ehemaligen Sheridan-Kaserne – genau zwanzig Jahre nach dem endgültigen Abzug der US-Streitkräfte aus Augsburg.

Tatkräftige Hilfe kam dabei vom Verein „Amerika in Augsburg“, wo sich zum Beispiel Thomas Dollrieß engagiert – aus einem ganz persönlichen Motiv: In den 70er Jahren hatte der damals 16-Jährige einen besten Freund, der in Gablingen stationiert war. Wie die meisten Augsburger weiß Dollrieß heute: „Das war eine Abhöranlage für die Spionage im Kalten Krieg.“ Er engagiert sich, um die Erinnerung an die Amerikaner lebendig zu halten.

Auch ein Ort, der ein dunkles Kapitel beschreibt

Bis 1998 lebten in Augsburg rund 30000 US-Soldaten mit ihren Familien. Die US-Streitkräfte wurden unmittelbar nach 1945 erst einmal in ehemaligen NS-Baracken einquartiert, bevor die drei großen Kasernen in Pfersee und Kriegshaber hochgezogen wurden. Die Halle 116, in der das Veteranen-Treffen stattfindet, ist auch ein Ort aus diesem dunklen Kapitel deutscher Geschichte.


Das frühere Zwangsarbeiter-Lager rückte kürzlich wieder als Gedenk- und Begegnungsstätte ins Bewusstsein der Stadtgesellschaft. Veteranen-Vorstand Vic bewundert das: „Die Deutschen bewahren ihre Historie und ihre Monumente, das sollten wir auch“, findet er, „die Geschichte macht uns schließlich zu dem, was wir sind.“ Seine beiden Kinder wurden auf dem Militärstützpunkt geboren, Tochter Chelsea war 13 Monate alt, als die McFadden-Familie Augsburg verließ. „Für mich ist Augsburg zuhause“, sagt die 27-Jährige nichtsdestotrotz voller Pathos, der manchmal so typisch für die Amerikaner ist.


Am frischesten sind die Erinnerungen an die Garnisonszeit bei Scott Hinmann. Der 47-Jährige arbeitete in den neunziger Jahren als Russischexperte in Gablingen: „Ich habe meinen Job geliebt, das Ende kam sehr plötzlich.“ 1993 wurde der Kalte Krieg offiziell für beendet erklärt, fünf Jahre später räumten die USA endgültig alle Kasernen, Wohngebiete und Militäreinrichtungen in Augsburg. Zurückgekommen ist Scott Hinmann in all den Jahren nicht. Erst das Jubiläumstreffen der Veteranen hat ihn jetzt nach Augsburg geführt: „Mich haben heute fast die Erinnerungen überwältigt, als ich durch die Innenstadt spaziert bin“, gesteht er. Die früheren Stammkneipen der Soldaten seien inzwischen meist Wohnhäuser, aber das Tattoo-Studio, wo er sich ein Andenken stechen ließ, das gebe es noch.

In die Nostalgie mischt sich Freude

In die Nostalgie mischt sich große Freude, wenn Scott an den Augsburger Plärrer denkt. Den wollen die Veteranen am Samstag alle gemeinsam besuchen, nachdem sie beim Festumzug mitmarschiert sind. „Die Amerikaner waren damals die ersten, die beim Autoscooter damit anfingen, sich gegenseitig zu rammen“, erinnert sich Scott schmunzelnd, „wir waren echt berüchtigt!“

Mit 67 Jahren ist Mike Leary der Veteran unter den Augsburg-Veteranen. Nachdem er als 19-Jähriger im Vietnamkrieg so schwer verletzt worden war, dass er in den Informationsdienst wechseln musste, kam er zu Hochzeiten des Kalten Krieges in den 70er Jahren nach Deutschland. „Super spannend, gerade Berlin war damals eine wunderbare Stadt“, schwärmt der Amerikaner. Als er diese Woche in Augsburg aus dem Zug stieg, führte ihn der erste Weg direkt unter die Kastanienbäume im Riegele-Biergarten gegenüber vom Bahnhof: „Ich liebe das Bier, die Leute, das Essen hier“, sagt Mike, der eigentlich sein ganzes Leben lang auf Reisen war. Von Augsburg aus macht er noch einen kurzen Abstecher nach London, bevor es zurück in die USA nach Illinois geht.


In diesem Bundesstaat im Mittleren Westen lebt auch die Familie von Veteranen-Vorstand Vic McFadden. Es ist die Heimat von Abraham Lincoln, dem ersten republikanischen Präsidenten der USA. Rund 150 Jahre später hat sein Nachfolger Donald Trump den Ruf der USA weltweit stark in Mitleidenschaft gezogen, durch sein Motto „America first“.

Doch Trumps aktuelle Politik habe weder Einfluss auf das diesjährige Treffen der Veteranen, noch auf die Arbeit des Vereins „Amerika in Augsburg“, findet Vereinsvorstand Georg Feuerer. Ihm geht es vor allem darum, historische Fakten darzustellen: „Mit den Amerikanern hat am 8. Mai 1945 die Geschichte der Demokratie in Deutschland wieder begonnen“, sagt der Historiker, „darauf hat ein amerikanischer Präsident heute keinen Einfluss.“

Zum Original