Überhaupt noch in die Schule gehen?
Wer das Sitzenbleiben abschafft, muss auch die Noten beseitigen. Oder gleich die ganze Schule. In mehreren deutschen Bundesländern ist die Debatte über das Sitzenbleiben in der Schule voll entbrannt. Auch in Niedersachen sollen Schüler durch „spezielle Förderung“ keine Ehrenrunde mehr drehen müssen. Aber es muss meiner Meinung nach nicht immer auf Demütigung hinauslaufen, wenn eine Klasse wiederholt wird.
Das Sitzenbleiben bringe psychische Belastungen mit sich und nehme den Schülern viel Selbstvertrauen. Das sei längst wissenschaftlich erwiesen, so die Ansicht vieler. Wirklich? Fakt ist, es gibt sie wirklich, die Spätentwickler. Komischerweise schaffen es eine Vielzahl von Sitzenbleibern - wenngleich mit einer ungesunden Portion Selbstvertrauen - oft bis ganz nach oben. Für Steinbrück war es die Mathematik, für Christian Wulff Englisch und für Johannes B. Kerner die Naturwissenschaften. Es scheint in solchen Fällen sogar als Eliteschmiede zu wirken eine Ehrenrunde gedreht zu haben. Und jeder von uns hat mindestens einen enttarnten Sitzenbleiber im Bekanntenkreis. Tendenz steigend. In der Mittelstufe blieb ein Mädchen sitzen und kam in meine Klasse. Ihr hat es nicht geschadet. Im Gegenteil.
Ich verstehe die Diskussionen rund um die Ehrenrunde nicht. Die Schule feuert den Schüler nicht, sondern behält ihn. Keine Schule lässt heute noch ein Kind verantwortungslos sitzen. Vorher finden gemeinsame Gespräche mit den Eltern statt, indem über möglicherweise besser geeignete Schulformen nachgedacht wird. Und mal Hand aufs Herz: wer in zwei Fremdsprachen eine Fünf hat, ist höchstwahrscheinlich kaum richtig an einem Sprachengymnasium.
Die Abschaffung erscheint mir in hohem Maße sinnfrei und in keiner Weise zu Ende gedacht. Kinder und Jugendliche sollen gerade in der Schule lernen, mit dem Erlebnis der eigenen Unfähigkeit umzugehen. Durch den Verzicht auf das Sitzenbleiben gaukelt man den Schülern ein Leistungsvermögen vor, das sie nicht haben. Für mich ist es menschlicher eine Ehrenrunde zu drehen, als dann kurz vor der Prüfung zu hören: April, April, aber Du bist einfach nicht gut genug.
Den Schülern wird durch die Abschaffung des Versetzungsrisikos ganz klar die Möglichkeit genommen, die Schullaufbahn als echte Schule des Lebens zu erfahren. Man kann nicht alle Hürden des Lebens aus dem Weg räumen. Eine mühelose Schule gibt es nicht. Wer Schwierigkeiten zum ersten Mal im Berufsalltag erfährt, ist ausgeliefert, stellt sich selbst in Frage und scheitert am Ende ganz. Dann gibt es in meinen Augen auch keinen Grund mehr, überhaupt noch in die Schule zu gehen.
Ein Kommentar zum RTL Bibelclip der Woche von Anna Eckart (Praktikantin, Katholische Fernseharbeit), 2013