"avenidas", das Gedicht des Schweizer Lyrikers Eugen Gomringer, ist über 60 Jahre alt. Seit 2011 ziert es eine Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin-Hellersdorf. Doch am 23. Januar 2018 beschloss der Akademische Senat der Hochschule mehrheitlich: Das angeblich sexistische Wandgedicht muss weg - und die Entscheidung sorgt seitdem für massive Diskussionen.
In der Debatte vermisst Gomringer die Offenheit, mit der man seiner Kunst gegenübertreten soll, erklärt er gegenüber "Kulturzeit". Diese ist dem Schweizer mit bolivianischen Wurzeln, der in Deutschland lebt, enorm wichtig. Von den Studierenden fühlt er sich missverstanden. "Wir haben die Schule eingeladen zu uns zu kommen, nach Rehau", so Gomringer. Das hätten sie auch gemacht - mit drei Professorinnen und zwei Studenten, bei Kaffee und Kuchen. Doch man könne sich nicht aussprechen, "wenn eine Theorie so festgefahren ist. Was soll man da miteinander reden? Ich bin der Offene, ich biete nur eine Struktur an. Dass man sie so falsch verstehen kann, das ist gar nicht gemeint."
"Es geht nicht um die Frage, was kann und was darf Kunst. In dem Fall geht es um die Frage: Was darf Kunst nicht? Die Schule sagt, was Kunst nicht darf."
(Eugen Gomringer)
Am 24. Januar hatte zudem das Haus der Poesie, das in der Jury für die Vergabe des Alice-Salomon-Poetik-Preises sitzt, verkündet, dass es "mit sofortiger Wirkung als Kooperationspartner des Alice-Salomon-Poetik-Preises zurücktritt". Thomas Wohlfahrt, Leiter des Hauses, erklärte sich in einer Pressemitteilung "entsetzt darüber, dass die Alice Salomon Hochschule diesen Beschluss umsetzt, ohne sich bei Eugen Gomringer zu entschuldigen und die aus der Luft gegriffenen Vorwürfe des Sexismus zu revidieren". Eugen Gomringers Ruf bleibe beschädigt und der Preis sei "diskreditiert". "Das Haus für Poesie wird nicht dazu beitragen, Künstlerinnen und Künstlern diesem misslichen Kapitel, für das die Hochschulleitung der ASH verantwortlich ist, auszusetzen." Bereits am 13. September 2017 hatte das Haus in einer Pressemitteilung genau diese Entscheidung angekündigt.
"Das ist ein Eingriff in die Freiheit von Kunst und Poesie", hatte der 93-Jährige nach der Entscheidung am 23. Januar der Deutschen Presse-Agentur erklärt. Er behalte sich rechtliche Schritte vor. Es gehe den Verantwortlichen letztlich um die Entfernung eines "nicht weichgespülten Gedichts" im Sinne einer falsch verstandenen political correctness. Sollte sich der Schritt nicht vermeiden lassen, habe er die Hochschulleitung aufgefordert, mit drei Plakaten an sein Gedicht und die Debatte darum zu erinnern.
"avenidas / avenidas y flores / flores / flores y mujeres / avenidas / avenidas y mujeres / avenidas y flores y mujeres y / un admirador"
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