Anna-Lena Ripperger

Redakteurin in der Politik, F.A.Z./FAZ.NET, Langen

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F.A.Z. exklusiv: AfD berät über Ausschluss von Berliner Abgeordnetem

Das AfD-Bundesvorstandsmitglied Alice Weidel hat mit Empörung auf das Bekanntwerden von rechtsextremen Äußerungen des Berliner AfD-Abgeordneten Kay Nerstheimer reagiert und dessen Parteiausschluss nahegelegt. „Solche Äußerungen passen nicht in die AfD", sagte Weidel der F.A.Z. am Mittwoch. „Sie schaden der Partei und schwächen uns gegenüber unseren Gegnern. Sollten wir derartiges Gedankengut in der Partei dulden, bekommen wir ein veritables Glaubwürdigkeitsproblem. Alles, was mit viel Mühe mehrheitlich ehrenamtlich aufgebaut wurde, reißen solche Leute innerhalb kürzester Zeit wieder ein", sagte Weidel. Der Bundesvorstand der Partei will sich laut seiner Tagesordnung nach F.A.Z.-Informationen auf seiner nächsten Sitzung mit dem Fall Nerstheimer befassen.

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Autor: Justus Bender, Redakteur in der Politik.

In Berlin wollten die künftigen Mitglieder der AfD-Fraktion unterdessen über den Fall Nerstheimer beraten. Der Landesvorsitzende Georg Pazderski sagte der F.A.Z.: „Wir sind gerade in Gesprächen und haben Vertraulichkeit vereinbart." Eine Entscheidung wurde für den Mittwochabend erwartet. Unklar war zunächst, ob sich die Fraktion mit Nerstheimer als Mitglied konstituieren würde, um dann über seinen Ausschluss zu debattieren - oder ob sich die Fraktion von vornherein ohne Nerstheimer als Mitglied gründen würde. In Parteikreisen hießt es, ranghohe Fraktionsmitglieder strebten eine Fraktion ohne Nerstheimer an.

Ausschlussverfahren schon 2015 angestrebt

Dieser verfüge auch nicht über ein Netzwerk von Unterstützern, wie es im Fall des nach antisemitischen Äußerungen in die Kritik geratenen Abgeordneten Wolfgang Gedeon in Baden-Württemberg der Fall gewesen sei. Nach Informationen der F.A.Z. hatte der Berliner Landesvorstand schon im Sommer 2015 ein Ausschlussverfahren gegen Nerstheimer vorbereitet. Über den Antrag wurde jedoch nicht abgestimmt. Der neue Landesvorstand um Beatrix von Storch und Georg Pazderski verfolgte den Ausschlussantrag nicht weiter.

© dpa Kay Nerstheimer hat das Direktmandat mit 26 Prozent in Lichtenberg gewonnen.

Am Sonntag hatte die Alternative für Deutschland Kay Nerstheimer noch gefeiert: Mit 26 Prozent gewann er das Direktmandat für den Wahlkreis Lichtenberg 1 - und löste einen Skandal aus. Denn der Mann, der nun fünf Jahre lang im Berliner Abgeordnetenhaus über die Zukunft der Hauptstadt entscheiden soll, hat auf Facebook jahrelang rechtsextreme Aussagen verbreitet. Er war auch Mitglied der „German Defence League", einer rechtsextremen und islamfeindlichen Organisation, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Am Dienstag haben zahlreiche Medien über Nerstheimers Vergangenheit berichtet und dabei auch wörtlich aus Facebook-Nachrichten zitiert. Inzwischen ist die Seite im sozialen Netzwerk gelöscht.

Auf Facebook hatte Nerstheimer Flüchtlinge aus Syrien als „einfach widerliches Gewürm" bezeichnet; über Asylbewerber schrieb er, sie seien „Parasiten, die sich von den Lebenssäften des deutschen Volkes ernähren". 2014 diskriminierte er in mehreren Facebook-Posts Homosexuelle: Sie verhielten sich „widernatürlich" und es sei „kein Verdienst diesen Gendefekt zu besitzen".

Verschwörungstheorien und Revisionismus

Der 1964 geborene Nerstheimer beschönigte auf Facebook auch NS-Massaker und verbreitete rechte Verschwörungstheorien. Im Juli teilte er ein Video mit dem Titel „Alles eine LÜGE! - die echten Kriegsursachen von 1939", in dem der ehemalige Generalmajor der Bundeswehr Gerd Schultze-Rhondorf über die angeblich „wahren Ursachen" des Zweiten Weltkrieges spricht. Im gleichen Monat postete Nerstheimer: „Die Kräfte, die den 1. Weltkrieg verursachten, haben auch den 2. verursacht. Nun sind sie im Begriff, den 3. zu verursachen und immer wieder finden sie Idioten, die ihnen gehorchen" - eine Anspielung auf die in der rechten Szene verbreitete These einer Verschwörung gegen Deutschland.

Anfang des Jahres schrieb Nerstheimer: „Sind die Polithuren der BRD Treuhandgesellschaft mit Sitz in Frankfurt am Main völlig Gaga??" Eine Aussage, die an Aussagen der sogenannten Reichsbürger erinnern, die behaupten, die Bundesrepublik Deutschland sei kein eigenständiger Staat, sondern eine in Frankfurt registrierte GmbH. Sie sind der Überzeugung, dass das Deutsche Reich fortbestehe.

Die Frage, ob Nerstheimers Wahl sich als Schaden für die AfD erweisen könnte, schien die Parteispitze schon am Montag zu beschäftigen. „Wir nehmen die Sache sehr ernst", sagte der Berliner Spitzenkandidat Georg Pazderski der Nachrichtenagentur Reuters. Pazderski fügte hinzu, Nerstheimer habe seine Aktivitäten für die „German Defence League" schon beendet gehabt, bevor der Bremer Verfassungsschutz mit der Beobachtung der Gruppe begonnen habe. Die „German Defence League" selbst bestreitet eine Mitgliedschaft Nerstheimers. Die AfD-Parteivorsitzende Frauke Petry hatte eine Stellungnahme zum Parteiordnungsverfahren gegen Nerstheimer am Montag abgelehnt.

Direktmandat wird Nerstheimer behalten

Schon vor der Wahl am Sonntag war klar, dass Nerstheimer für die Berliner AfD zu einem Problem werden könnte. Im Juli hatte der Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) über Nerstheimers Verbindungen zur „German Defence League" berichtet. Daraufhin erklärte der Pressesprecher der AfD Berlin, Ronald Gläser, gegenüber der „Berliner Zeitung", die Kritik an Nerstheimer werde geprüft. Als Kandidat für das Berliner Abgeordnetenhaus und die Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung durfte er trotzdem antreten. Und selbst nach einem Parteiausschluss bliebe Nerstheimer Abgeordneter. Dadurch, dass er ein Direktmandat gewonnen hat, ist ihm ein Platz im Berliner Abgeordnetenhaus sicher. Auch außerhalb der AfD-Fraktion.

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