Das Dior-Archiv in Paris ist das Herzstück der Marke und öffnet nur selten seine Tore. Ein Rundgang.
Ein massives Holztor in der eleganten Pariser Avenue Montaigne. Wenn man es durchschreitet und es sich hinter einem schließt, verstummen die Geräusche der Stadt und man findet sich in einem idyllischen, grünen Hinterhof wieder, an dessen gegenüberliegender Seite ein Flachbau aus Glas zu sehen ist. Kein Markenlogo oder poliertes Klingelschild weist darauf hin, was darin beherbergt ist, denn nur in wenigen Fällen ist dieser Ort überhaupt zugänglich, obwohl er für Modefans wohl der Sehnsuchtsort schlechthin ist. Et voilà: Unter der Erde vergraben liegt auf 900 Quadratmetern "Dior Heritage", das Archiv des Hauses Dior mit über 10.000 Stücken aus der Geschichte der Marke.
Adrien Dirand
Bonjour im Herzstück des Hauses Dior
Über ein schlichtes Treppenhaus, ganz in Weiß gehalten, geht es hinunter, bis sich eine große, minimalistische Eingangshalle vor einem auftut, in der die einzigen Farbtupfer die schimmernden Dior-Roben sind, die hier in Glaskästen aufbewahrt werden: Kleider, die einst Filmstars trugen, Jetsetter oder sogar Königinnen. Hier begrüßt Soizic Pfaff, die seit über 40 Jahren für die Marke arbeitet, und seit 1996 die Chefkuratorin des Dior-Archivs ist. Eine Frau, die nicht nur wie eine Versinnbildlichung müheloser Pariser Eleganz wirkt, sondern eindeutig auch wie ein Mensch, der sich selbst zurücknimmt, um sich ganz einer Marke zu verschreiben, wovon auch die Begeisterung in ihrer Stimme zeugt, wenn sie von dem Projekt erzählt, dessen Teil sie ist.
Adrien Dirand
Mode-Ausstellungen in Museen wurden in den vergangenen Jahren immer erfolgreicher, doch viele große Modehäuser führen heute auch ihre eigenen Archive, in denen sie ihre Geschichte und Codes selbst bewahren (wobei Dior eine der umfangreichsten Sammlungen besitzt). Sie dienen auch der Präsentation nach außen. So können im Dior-Archiv ModehistorikerInnen und BuchautorInnen für ihre Projekte recherchieren, außerdem finden Führungen für Studierende, JournalistInnen, oder auch besondere Kunden statt. Schließlich liegt das berühmte Dior-Stammhaus nur wenige Schritte die Avenue Montaigne hinunter. Dauergast im Archiv ist Dior-Chefdesignerin Maria Grazia Chiuri, die hier mit ihrem Team für ihre neuen Kollektionen die historischen Entwürfe, ihre Stoffe und Schnitte studiert, um sie in moderner Vision weiterzutragen. Ohne Vergangenheit eben auch keine Zukunft.
Adrien Dirand
Das Dior-Archiv - ein Rundgang
Das Dior-Archiv besteht aus einer Vielzahl von Aufbewahrungsräumen, konstant gekühlt auf 18 und 19 Grad und mit einer Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent, damit die kostbaren Kleidungsstücke und Accessoires die Zeit unbeschadet überdauern können. Frühe Skizzen, Dokumente der Unternehmensgeschichte und Bildbände sind in einer eigenen Bibliothek ausgestellt und in einem gläsernen Roundell werden die Gedanken und Ideen, die darin enthalten sind, greifbar. Hier restaurieren nicht nur Dior-MitarbeiterInnen in aufwendiger Handarbeit historische Roben, die teils aus Privatsammlungen stammen, so schenkte Fürst Rainier von Monaco der Sammlung einst zwei Kleider aus dem Besitz seiner Frau Grace Kelly. Es sind auch Kleiderpuppen zu sehen, keine davon wie die andere - Nachbildungen der Körperformen von Diors exklusivem ( Haute-Couture)Kundenkreis, dank denen perfekt angepasste Einzelstücke geschaffen wurden, wobei natürlich niemals ein Namensschild verraten würde, um wen es sich dabei handelte.
Adrien Dirand
Weiter geht es mit dem Accessoire-Raum, ganz in Schwarz gehalten und eher wie eine Boutique wirkend, in dem Schuhe, Hüte, Schmuck und Parfumflakons eingelagert sind. Bevor Soizic Pfaff eine der Schatullen öffnet, die mit hellgrauem Schaumstoff ausgeschlagen sind, der passgenau die Form des Archiv-Stücks nachbildet, streift sie sich weiße Stoffhandschuhe über, wie es auch ein Archivar tun würde, der ein kostbares, altes Schriftstück untersucht, das unter den Fingern zerfallen könnte. Dutzende davon verbraucht sie jeden Monat. Und zurecht, immerhin befinden sich hier wahre Preziosen: zierliche Pumps aus rotem Samt etwa, die einst für die Herzogin von Windsor, Wallis Simpson, angefertigt wurden, "sie hatte kleine Füße, Größe 36".
Adrien Dirand
Von hier geht es durch einen langen Gang in einen Raum, in dem sich Regale mit scheinbar unzähligen, flachen Kartons aneinanderreihen, alle fein säuberlich beschriftet, in den gleichen elegant-geschwungenen Lettern, die Dior auch für seine Show-Einladungen benutzt. Darin liegen eingebettet wie in Särgen (die Spezialkartons werden übrigens tatsächlich so genannt) in unzählige Schichten von Seidenpapier, die sorgsam eine für die andere aufgeschlagen werden, die wichtigsten Entwürfe aus der Geschichte des Hauses, so beispielsweise die erste Version des legendären "Bar Jacket", oder Modelle aus der ersten Dior-Show aus dem Jahr 1947, perfekt konserviert. Manche davon so empfindlich, dass selbst Schleifen und Knöpfe noch einmal mit Seidenpapier umwickelt wurden, um den Stoff darunter nicht zu beschädigen.
Adrien Dirand
Noch einen Raum weiter meint man hingegen, im Tresorraum einer Bank angekommen zu sein. In Compactus-Schränken, die mit Drehsternen an den Seiten bewegt werden können, hängen hier Kleidersäcke mit noch mehr Schätzen aus allen Jahrzehnten, an jedem davon ein Bild seines Inhalts. "Hier ruht die DNA des Hauses", erklärt Pfaff. Und die Spuren der Menschen, die sie prägten: Von Monsieur Dior über Yves Saint Laurent, John Galliano und Raf Simons bis hin zu Maria Grazia Chiuri. Immer wieder verlassen auch Kleidungsstücke das Archiv, um in Ausstellungen auf der ganzen Welt gezeigt zu werden, natürlich nur unter hohen Sicherheitsvorkehrungen in eigentlich auf Kunstgegenstände spezialisierten Transportern.
Adrien Dirand
Wieder zurück in der Eingangshalle endet die Führung durch Diors faszinierende Geschichte. Soizic Pfaff, bis eben noch die Ruhe selbst, muss schnell zum nächsten Besuch: Eine Haute-Couture-Kundin wartet darauf, empfangen zu werden und die neuen Entwürfe zu begutachten. Das Dior-Archiv ist eben doch kein steriles Museum, sondern das lebendige Zentrum der Marke im Hier und Jetzt. Zugleich aber auch ein Ort des Bewahrens, an dem es nicht - wie sonst oft in der Mode üblich - um Schnelligkeit und das Neue geht, sondern an dem die Zeit still zu stehen scheint und keine noch so große Mühe gescheut wird, wenn es darum geht, Modegeschichte festzuhalten, die zugleich Teil unserer Kulturgeschichte ist, ein Fakt der noch immer nicht genug betont werden kann. Natürlich sorgsam inszeniert, aber kein Ort, an dem sich eine Marke selbst beweihräuchert, sondern einer, an dem mit Demut, Bedacht und Leidenschaft daran gearbeitet wird, den Ideen, der Handwerkskunst und den vielen Erzählungen, die das Haus Dior zu bieten hat, ein Denkmal zu setzen.
Adrien Dirand