Anke Pedersen

Freie Journalistin - Wirtschaft, Hotellerie, Reise, Mobilität, Sustainability , Kempen

2 Abos und 2 Abonnenten
Artikel

Wo geht's hin?

Mit frischen Marken in die Nische.

Wie die Pilze schießen sie derzeit aus dem Boden: all die Vibs, Curios, Jaz in the Citys, Jens & Co. dieser Welt. Sie präsentieren sich als Vertreter der New-Generation-Hotellerie und positionieren sich genau dort, wo derzeit noch die Individualhotellerie das Sagen hat: im Midscale-Segment. Kann das gut gehen?

Wenn es um markige Sprüche geht, ist auf Prizeotel-Gründer Marco Nussbaum Verlass. "So geht Hotellerie heute", lautet der überaus selbstbewusste Titel seines Blogs, in dem er vorzugsweise provokante Thesen aufstellt, um die in seinen Augen vielfach verkrustete Branche "zum Nachdenken anzuregen". "Ja, aber"-Einwände haben hier keine Chance; Skepsis gegenüber Innovationen schon gar nicht. Auf die Frage, ob es der neuen Beacon-Technologie (siehe: "Am Computer? Nein, am Gast!") womöglich an Schlagkraft mangele, weil sie den Besitz eines iPads voraussetzt, antwortet Nussbaum daher mit einem unmissverständlichen: "Wer kein iPad hat, kann zumachen." Individuell, authentisch, kreativ, innovativ, hip - Attribute wie diese markieren den Goldstandard des 2010er-Jahrzehnts in der Hotellerie. Und wer da nicht mitmachen will oder dies in den Wirren des Tagesgeschäfts zu vergessen droht, den katapultiert spätestens die nächste Schlagzeile zurück in die Gegenwart: "Budget-Design-Hotelkette Motel One steigert Halbjahresumsatz um 29 Prozent." "Lifestyle-Marke 25hours auf Expansionskurs in Europa." "Das Dutzend im Visier: die Budget-Design-Hotelkette Prizeotel."

Individualhotellerie ist Champion im 3-Sterne-Segment. Noch!

Zwar mag sich ein gut laufendes Privat­hotel angesichts derartiger Erfolgsmeldungen angesagter Häuser damit trösten, dass der Anteil seiner Stammgäste nach wie vor hoch ist. Und immerhin, so zeigt es die jüngste Treugast-Studie "Marke & Preis - Pricing in der Hotellerie", erzielt die hiesige 3-Sterne-Individualhotellerie nach wie vor durchschnittlich sechs Prozent höhere Zimmerraten als die Kettenkollegen. Damit zeige sich, so folgert die Treugast, "dass sich die Individualhotellerie in diesem Segment mit innovativen und kreativen Produkten erfolgreich gegenüber den soliden Produkten der Markenhotellerie differenzieren kann". Noch! Denn nach Eroberung erst des Premium- und dann des Budget-Segments durch die Kettenhotellerie prognostizieren die Berater der Treugast nunmehr die "zunehmende Marken-Intensivierung innerhalb der Midscale- Kategorie". Anders formuliert: Die Kettenhotellerie wird nun auch in diesem Segment zur Bedrohung der Privaten, und der gefühlt massenhafte Launch kreativ-hipper Lifestyle-Marken wie Jaz, Vib, Curio und Jen zeigt auf, wohin es geht. Deren erwarteten Erfolg begründet die Treugast mit Marken-immanenten Vorzügen wie einem höheren Professionalisierungsgrad, einer internationalen Vertriebsstärke sowie der überregionalen Strahlkraft von Marken. Überdies verkörperten die jungen Midscale-Marken von Hilton, Hyatt, Starwood, Best Western, Marriott & Co. "kreative und innovative Konzepte, die sich auf spezifische Gästesegmente fokussieren und dadurch differenzieren".

Die Hotellerie denkt immer, aus neuen Ideen muss sie eine neue Marke machen.

Generation Y als Umsatzbringer

Doch tun sie das wirklich? Sich differenzieren? Denn so sehr sich die Neuen im Detail auch unterscheiden mögen, so haben sie doch eines gemeinsam: ihre Fokussierung auf die Bedürfniserfüllung der sogenannten Millennials. Jene Generation der zwischen 1980 und Mitte der 1990er-Jahre Geborenen also, die Studien zufolge binnen zehn Jahren für 75 Prozent aller Reiseausgaben verantwortlich sein wird. Schon heute ist jeder Fünfte in Deutschland ein Millennial (18,2 Millionen), sagt Gunar Bergemann über das Potenzial dieser Gruppe (siehe: "Generation Y als Kunde"), in den USA mit 80,1 Millionen sogar schon jeder Vierte. Wie die Millennials ticken, was sie von einem Hotelaufenthalt erwarten, das hat die IHA in ihrer Studie zum "Hotelmarkt Deutschland 2015" präzisiert: "Authentizität, Ablenkungen, individuelle und personalisierte Angebote, perfekten Service und ein ansprechendes Design. Sie sind im Umfeld von Internet und mobiler Kommunikation aufgewachsen und zeichnen sich durch eine hohe Affinität zur Technologie aus, dabei folgen sie einem urbanen und teils nachhaltigen Lebensstil." Den Köpfen hinter Motel One und 25hours ist es perfekt gelungen, eben diesen Lebensstil aufzugreifen, bekannt zu machen und schließlich zu vervielfältigen. Damit, so urteilt Marken- und Marketing-Experte Steffen Weidemann, seien sie sogenannte First Mover: Pioniere, die einen neuen Markt überhaupt erst erschlossen haben. Die Frage ist, ob die umworbene Ziel­gruppe auch die Masse der Nachahmer zur Kenntnis nehmen wird. Denn warum als technikaffiner und designorientierter Reisender zu Vib gehen, wenn Originale wie 25hours ohnehin bald - mindestens - europaweit präsent sein werden? Wie "individuell" wird es sich wohl anfühlen, hier wie dort nur noch multifunktionale Lounges wahlweise zum Frühstücken, Arbeiten und Chillen geboten zu bekommen - in Häusern der neuen Boutique-Linie von Lindner ebenso wie bei Aloft (Starwood), Canopy by Hilton, Centric oder Ruby. Und ist es tatsächlich hip, wenn dem Wunsch nach unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung überall nur noch durch Selbstbedienungsecken entsprochen wird - zulasten von Full-Service-Restaurants und Zimmerservice?

Differenzieren sich die Ketten zu Tode?

Und noch ein anderer Trend erhöht den Druck auf die sogenannten New-Generation-Hotels. Denn mit der Weigerung von Motel One und 25hours, sich auf das eine oder andere Sterne-Segment festzulegen, hat sich ein Trend beschleunigt, der sich in Zukunft noch fortsetzen wird: die Aufweichung der starren Hotelkategorien. Oder, wie es im "Hotelmarkt Deutschland 2015" heißt: "Scharfe Abgrenzungen der einzelnen Marktsegmente werden immer schwieriger und verschwimmen zusehends." Kurzum: Vib & Co. buhlen nicht nur innerhalb ihres eigenen Segments um Gäste. Im selben Teich fischen auch die Moxys, Elements, Andaz' und Indigos dieser Welt.

Kann Deutschlands Mittelstand sich also zurücklehnen, weil sich die Ketten zu Tode differenzieren? Immerhin ist es gerade mal zehn, fünfzehn Jahre her, dass Multimarken-Ketten wie Starwood als die große Ausnahme galten und man sich stattdessen klipp und klar über den eigenen Brand differenzierte. Doch das ist Geschichte. Mit Centric haben nun auch die in der Vergangenheit eher zurückhaltenden Hyatt Hotels ihre zehnte Marke an den Start geschickt. Selbstbeschreibung: modernes Design, lokal vernetzt, Open-Lounge-Konzept für erlebnishungrige Geschäfts- und Städtereisende. Und auch das gute, alte Ibis gibt's seit Kurzem in den Varianten Ibis, Ibis Budget und Ibis Styles. Welcher Gast soll denn da noch den Überblick behalten? Laut Marken-Profi Weidemann ist es ein völlig normaler Prozess, dass die ersten Erfolgsmeldungen eines Pioniers scharenweise Nachahmer ("Follower") auf den Plan rufen. Da jedoch die Pioniere über einen Glaubwürdigkeitsbonus verfügten, werde sich das erfahrungsgemäß "rasch bereinigen". Als Beispiel nennt Weidemann den Fernbus-Markt, der sich geradezu rekordverdächtig schnell konsolidiert hat.

Unsere Gäste sind nicht selten besser ausgerüstet als wir im Hotel.

Ansprüche steigen

Auch Vertreter nach wie vor Brand-armer Ketten wie die FRHI Hotels & Resorts (Fairmont, Raffles und Swiss­ôtel) reagieren eher skeptisch auf den Millennials-Hype. Lilian Roten etwa, Vice President Brand bei Swissôtel. Natürlich seien die Ansprüche gestiegen, weil sich die Menschen heute viel mehr leisten könnten als früher. "Beispielsweise sind unsere Gäste heute technisch nicht selten besser ausgerüstet als wir im Hotel." In der Konsequenz müsse man dann eben versuchen, "wirklich innovativ zu sein". Innovativ jedoch nicht in dem Sinne, dass das Angebot und die Qualität von Service und Produkten wahlweise rauf- oder runtergeschraubt werde und man darauf dann einen neuen Namen pappe. "Das ist keine Innovation", betont die Expertin und plädiert stattdessen für das Konzept des Multi­generationenhauses, "in dem alle unter einem Dach leben und arbeiten können".

Heute Nische, morgen Standard?

Ein Großteil der Privaten wird das wohl unterschreiben. Zumal es erfahrungsgemäß ohnehin darauf hinauslaufen dürfte, dass vieles von dem, was derzeit nur für die Millennials gedacht ist, in die Standards aller einfließen wird: Flexibilität, Freundlichkeit, Schnelligkeit, Nachhaltigkeit, Vernetzung. Es wäre das, was Accor-Chef Michael Mücke als die ganz normale Sinus-Bewegung in der Hotellerie bezeichnet: "Mal ist Zeit für eine Generalisten-Marke, dann wieder positioniert man sich spitz auf die Zielgruppe." Für die Marken produzierende Kettenhotellerie ist ein All-in-One-Konzept derzeit freilich keine Option. Und laut Treugast-Direktor Moritz Dietl ist das auch richtig: "Eine Über-Vernischung gibt es aus unserer Sicht nicht", sagt der Berater. Das Argument: Schon heute gebe es zunehmend mehr Zielgruppen. Ergo hätten Nischenprodukte eine große Berechtigung im Markt: Je genauer ein Produkt auf seine Zielgruppe zugeschnitten sei, desto besser.

Zum Original