Bastian Bielendorfer hat ein schlimmeres Schicksal, als mit einem Poloch auf der Stirn geboren zu sein, sagt er: Mutter Grundschullehrerin, Vater Gymnasiallehrer und beide Lehrer an seiner Schule! Da er, nach eigenen Angaben, aussah wie eine abgeschminkte Version von Cindy aus Marzahn, war er für seine Mitschüler ein gefundenes Fressen. Und zu Hause bekam er von seinen Eltern täglich Kopfnoten für sprachlichen Ausdruck und Verhalten. Über sein Leben unter dem Rotstift hat er ein Buch geschrieben "Lehrerkind - Lebenslänglich Pausenhof". Mit respect.de sprach er über Mobbing, Selbstironie und seinen Auftritt bei "Wer wird Millionär".
respect.de: Hallo Bastian, Glückwunsch! Du warst als Kandidat bei "Wer wird Millionär" und schreibst anschließend ein Buch über dein Leben als "Lehrerkind". Erzähl mal ...
Bastian Bielendorfer: Ja, ich habe die absurd hohe Summe von 32.000 Euro gewonnen. Für mich als Student, der sonst 400 Euro im Monat verdient hat, war das der beste Stundenlohn, den ich je hatte. Das sind zehn Jahresgehälter.
Was hast du mit dem Geld gemacht?
Ich habe es angelegt, weil ich gar nicht weiß, was ich damit machen soll. Ich fahre nach wie vor mit meinem alten, rostigen Punto durch die Gegend und habe auch nicht vor, dies zu ändern.
Aber dein Leben hat sich seitdem verändert ...
Ja, von einem auf den anderen Tag. Völlig absurd. Ich dachte, dass sind die 15 Minuten Ruhm, von denen Andy Warhol immer gesprochen hat. Am Tag nach der Sendung, die jeder gesehen zu haben scheint, war ich plötzlich kein No Name mehr und wurde auf der Straße angesprochen und das gleich 20mal am ersten Tag.
Und was hat der Fernsehauftritt jetzt mit deinem Buch zu tun?
Eine Woche vor meinem Auftritt wurde ich morgens wach und hatte den Buchtitel: Lehrerkind – Lebenslänglich Pausenhof. Und dachte: Damit lässt sich was machen! Ich kenne meine Eltern ja gut genug, sodass ich wusste, dass sie für eine Story viel hergeben. Das habe ich mehr oder weniger durch Zufall in der Sendung fallen lassen, weil mein Vater, der Deutschlehrer ist, ja mein Telefonjoker war.
Und dann hast du im Fernsehen ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert? Genau. Und ich habe von dem Manuskript über mein Leben unter dem Rotstift erzählt. Als nach der Sendung die Anfragen von Verlagen kamen, die alle dieses Manuskript lesen und anschließend drucken wollten, saß ich zu Hause und war in Tränen aufgelöst. Ich hätte all das Geld, was ich habe, für dieses Buch eingetauscht – es ist die Verwirklichung meines Lebenstraums!
Du wolltest schon immer ein Buch schreiben?
Ich komme ja aus dem Poetry Slam-Bereich und habe schon früh angefangen, in kleinen Kneipen und Bars in Gelsenkirchen und im Ruhrgebiet, selbst geschriebene Geschichten vorzulesen, und meine waren immer lustig. Die Idee, ein Buch zu schreiben, hat wohl jeder, der schreibt, im Hinterkopf. Ich auch.
Beschreib' dich mal mit drei Worten!
Pausbäckig – lustig – glücklich!
Pausbäckig?
Ich wiege mehr als zwei Zentner, die sich auf zwei Metern verteilen. Früher wog ich dasselbe bei 1,40 m. Das war nicht so schön.
Du warst überdurchschnittlich groß, überdurchschnittlich breit und überdurchschnittlich beschissen in jeder Art von Sport, erfährt der Leser deines Buches ...
Ich warf wie eine Vierjährige, sprang so weit wie eine Oma in seniler Bettflucht, und beim Laufen schleuderten die Zentrifugalkräfte mein teigiges Speckbäuchlein hin und her wie einen Pizzafladen.
Du gehst nicht gerade zimperlich mit dir um. Du beschreibst dich in vielen Anekdoten sehr anschaulich, wie du dich als "menschgewordene Puddingbrezel", wie du es nennst, beim Sport blamierst. Das liest sich sehr lustig. Wie hast du dich damals wirklich gefühlt?
Nicht glücklich. Und der Subtext des Buches ist durchaus auch weniger glücklich. Unterschwellig schwingt schon mit, dass ich Mobbing erfahren habe, und dass es für mich in der Schule nicht leicht war. Was ich in dem Buch als lustig erzähle, ist nur eine Umschreibung für Prügel kriegen, gequält werden, das ging schon in Richtung Psychoterror. Das war schlimm für mich, weil es jahrelang ging.
Was fällt dir jetzt als Erstes ein, wenn du an Schule denkst?
Zwänge! Ich fand es schon immer schlimm, nicht das machen und sagen zu können, was ich wollte. Und Schule ist ein System, in dem man das nicht möglich ist. Ich konnte mich da nicht einfügen. Für mich war die Schulzeit keine schöne Zeit, die Erlösung trat erst mit dem Abitur ein. Und danach habe ich mein Leben so gestaltet, wie ich es wollte. Ich glaube, dass die Leute, die anders sind, die sich in der Schule nicht wohlgefühlt haben, weil sie sich der Masse nicht anpassen konnten, diese unglaubliche Befreiung nach der Schulzeit erfahren.
Darum dein Buch über das Schicksal "Lehrerkind"?
Ich glaube, ich mache dies als eine Art Eigentherapie! Mit dem Buch zeige ich auf meine Art, dass man durchaus positiv daraus gehen kann. Die Quintessenz des Buches ist, dass es ein selbstironischer Roman ist, indem es darum geht, dass ich mich über mich lustig machen kann ohne dass ich heulend ins Bett sinke. Auf der anderen Seite finde ich es auch charmant, wenn man sich selbst mit einem Augenzwinkern sehen kann. Die Figur, über die ich mich im Buch am meisten lustig mache, bin ich selbst. Alles andere fände ich auch blöd, wenn es eine Anklage gegen meine Eltern wäre oder eine gegen meine Mitschüler und Lehrer.
Kamen die Erinnerungen während des Schreibens?
An die meisten Situationen konnte ich mich noch gut erinnern. Klar, manches verfälscht sich nach 15 bis 20 Jahren – nichts ist fließender als Erinnerung – aber die Grunderinnerung war immer da. Und die Figuren aus dem Buch existieren zu 90 Prozent so wie ich sie beschrieben habe.
Wäre es anders gewesen, wäre dein Vater nicht an derselben Schule wie du?
Nein! Ich hatte auch das Problem in einer Stadt aufzuwachsen, in der sich fast alle Jungs für Fußball und Autos interessierten, und dafür habe ich mich nicht im Geringsten interessiert. Ich habe da keine Anknüpfpunkte gefunden, kannte den Tabellenstand von Schalke nicht, war unsportlich und nicht so ansehnlich und eben nicht so gefragt zu dieser Zeit.
Was haben die Lehrer getan, um dir zu helfen?
Was können Lehrer schon machen?
Was sollen sie gegen Mobbing tun?
Es ist wahnsinnig schwierig, auch für die Lehrer. Ein Lehrer von mir hat mal vor der gesamten Klasse das Problem angesprochen, das war tödlich. Er hat es bestimmt gut gemeint, aber es war die totale Katastrophe. Erstens war ich ein Verräter, zweitens meldet sich in dieser Situation ganz sicher kein Schüler, um zu sagen, ja, Mensch, blöd von mir, es tut mir ja so leid. Und selbst wenn, ist es nur ein Lippenbekenntnisse.
Du beschreibst ein paar Lehrertypen. Welche Spezies war die schlimmste und warum?
Definitiv mein Sportlehrer! Ihn habe ich als Sadisten und mentalen Kleingärtner erlebt, der keinerlei Rücksicht darauf genommen hat, dass meine körperlichen Voraussetzungen nicht annähernd so waren wie die der anderen Schüler und nicht jeder sein Lebensziel darin sieht, über einen zwei Meter hohen Stock zu springen.
Wie war denn dein Sportunterricht?
Wir hatten keinen Sportunterricht, wir waren in der Wehrsportgruppe, mussten bei 35 Grad Sommerhitze erst einmal zum Aufwärmen 4000 Meter um den Platz laufen, wobei ich schon nach 400 Metern irgendwo in den Büschen lag, kurz vor der Selbstbeschmutzung. Es ist völlig in Ordnung, Kindern Sport beizubringen, aber ich finde, dass der spielerische Aspekt bei mir, in meiner Schulzeit, völlig verloren gegangen ist. Ob Basketball oder Völkerball, das war kein spielerischer Spaß, das war die Ausmerzung des Gegnerteams. Das fand ich ganz schrecklich. Da habe ich mich nie wohl gefühlt.
Klingt übel.
Ich gehe da nicht mit Bitterkeit um. Ich habe ja verstanden, dass Sport wichtig ist, aber bei mir, bei meinem Sportunterricht, war Sport nicht angepasst am Leistungsniveau des Schülers, sondern das Kind am Leistungsniveau des Sportlehrers.
Du warst der, der bis zum Schluss auf der Bank sitzen geblieben ist, weil dich keiner in seiner Mannschaft haben wollte?
Genau! Ich war der, der noch hinter dem mit dem Glasauge und dem Gipsfuß gewählt wurde. Aber das konnte ich meinen Mitschülern gar nicht übel nehmen. Jede sportliche Aktivität endete in einer Katastrophe, ich habe jedes Spiel gesprengt, ich war einfach schlecht, und ich bin noch heute schlecht.
Die rosa Leggins, die dir deine Mutter beim Sport angezogen hat, hat nicht unbedingt zu deiner Beliebtheit beigetragen ...
Ich glaube, meine Mutter hat immer versucht, mir Selbstbewusstsein beizubringen. Das Problem ist, dass Eltern, die nie Mobbing erfahren haben, nicht nachvollziehen können, wie es ist, wenn andere Kinder über einen lachen. Viele Eltern raten dann ihrem Kind: "Ach, hör doch einfach weg, wenn dich jemand ärgert." Einer der dümmsten Sätze, die es gibt auf der Welt, weil es nicht funktioniert! Kein Mensch kann weghören, wenn er geärgert wird und meistens führt das Weghören nur dazu, dass die Leute, die einen beschimpfen, lauter werden, bis man es irgendwann doch hört.
Wie hat es aufgehört?
Die Integration fand erst statt, als ich eine hübsche Freundin hatte. Auf einmal dachten alle, wie kann denn so einer, wie der, eine so hübsche Freundin haben, der ist doch dick und unbeliebt. Und plötzlich waren alle nett zu mir. Mir war dann klar, dass ich um diese Freundschaft und diese Nähe nichts geben muss.
Hast du Reaktionen von ehemaligen Mitschülern auf dein Buch?
Ja, und interessanterweise schreiben mir heute die Mobber von damals begeisterte E-Mails über mein Buch und, dass sie mich toll finden. Die haben gar nicht begriffen, dass sie meine Nemesis waren, mein Untergang und wie schlimm das für mich war.
Wie sind Lehrer als Eltern?
Anstrengend! Meine Eltern haben ja als Lehrer eine ganz starke Tendenz zur Benotung und zwar in jeder Hinsicht. Bei uns wurde jeden Abend eine Note vergeben, wie ich mich den Tag über betragen habe.
Und, warst du ein "guter" Sohn?
Ich bin selten in den positiven Notenbereich gerutscht. Es gab immer irgendwelche Abwertungspunkte. Ihre Anerkennung für gute Noten war meistens weniger stark ausgeprägt, als die Missgunst für schlechte Noten. Sie haben immer gesagt: Du kommst aus einem guten Elternhaus, warum solltest du nicht gut sein in der Schule. Heute denke ich, dass war wieder mit einem ironischen Augenzwinkern gemeint, was ich damals nicht verstehen konnte.
Was haben sie dir noch mit in die Wiege gelegt?
Ich bin ein Klugscheißer! Ich habe das Bedürfnis, anderen mein Wissen mitzuteilen, zu allem kritisch Stellung zu nehmen, obwohl es die Umwelt gerade nicht hören will, das habe ich wohl vererbt bekommen. Ein Lehrer-Gen halt.
Wie viel haben deine Eltern aus dem Buch streichen lassen?
Sie hatten schon auch was zu mäkeln. Lehrer neigen halt zu Korrektur. Komischerweise gingen die Beschwerden meiner Eltern in völlig absurde Richtungen. Meiner Mutter zum Beispiel fand, das unser Wohnzimmer nicht schön genug beschrieben war. Es sei kein Mahagoni-, sondern Zedernholz, was sie hätten.
Aber sie haben dich nicht enterbt, oder?
Sie sind ja in dem Buch die, die sie sind und wer sie sind und wurden nicht verfremdet, dass sie dies so akzeptiert haben. Meine Eltern haben auch einen Hang zur Selbstironie, sonst hätten sie das Buch nicht akzeptiert und mich längst verklagt. Vielleicht finden sie es schmeichelhaft, zu literarischen Figuren geworden zu sein!?
Hättest du es auch ohne ihre Einwilligung drucken lassen?
(lacht) Ja. Wenn ich mich in irgendeiner Weise beim Schreiben beschnitten sehen müsste, indem was ich wie schreiben darf, dann wäre das Buch nicht so geworden und vermutlich auch nicht entstanden. Ich finde Maulkörbe in allem, was man tut, negativ. Meine Eltern haben mir zugetraut, dass ich sie witzig, aber auch liebevoll und ehrlich beschreiben kann – und das habe ich getan.
Wer soll dein Buch lesen?
Mein Buch zielt nicht in die Richtung, dass ich da irgendwelche psychologische Thesen drüber aufbauen, wie man Probleme lösen kann. Es ist eine lustige Verarbeitung von Dingen, die mir passiert sind. Wenn das jemand liest, der selbst gemobbt wird und der auch so Erfahrungen macht wie ich sie in der Schule gemacht habe, sieht vielleicht, dass man trotzdem ein lustiger, ganz normaler, vielleicht sogar ein erfolgreicher Mensch werden kann.
Ganz ehrlich: Wie hoch ist der Wahrheitsgehalt deiner Geschichten?
Das fragen mich echt alle. Und das ist das, was mir einige vorgeworfen haben, dass ich zwar lustig schreibe, aber zu übertrieben. Das Schöne daran: Gerade die Dinge, die am absurdesten sind, sind wahr. Der Wahrheitsgehalt ist viel, viel höher, als viele glauben wollen.
98 Prozent?
Zwischen 90 und 100 Prozent! Und das Gerüst der Geschichten ist immer wahr. Es ist ein völlig subjektives Buch, das komplett aus meiner Perspektive ist. Aber es ist keine Abrechnung, sondern eine liebevolle Erinnerung an das, was mir meine Eltern und andere so angetan haben.
Wie würdest du deinen Humor beschreiben?
Derbe und das ist noch entschärft. Und ich schreibe wie ich spreche. Ich würde es auch gar nicht anders wollen. Kein Zwang! Kein Maulkorb! Derb ist aber nicht prollig und doof oder trivial-banal. Helmut Schmidt ist so beliebt, weil er das sagt, was er denkt und nicht weil er verklausuliert und alles in 50 kleine Wattebäuschchen packt. Ich will damit sagen, dass Authentizität unglaublich wichtig ist.
Woher hast du diesen Humor?
Meine Eltern haben durch ihr Verhalten versucht, mir Humor beizubringen und mit mir selbstironisch umzugehen. Und ich glaube, das ist auch der einzige Weg, wie man mit solchen Erfahrungen umgehen kann.