Mein Leben war wahrscheinlich noch nie so gut wie jetzt. Ich habe eine funktionierende Beziehung – nicht nur zu einem Mann, sondern vor allem zu mir selbst, tolle und ehrliche Freundschaften, eine noch tollere Familie. Ich verdiene genug Geld, kann etwas auf die Seite legen und muss beim Einkaufen trotzdem nicht mehr auf den Preis gucken. Ich werde im Job ernst genommen und hab mich von toxischen Arbeitsbeziehungen gelöst. Ich wohne alleine, kann tun und lassen, was ich will.
Eigentlich also alles wunderbar. Eben bis auf die Baby-Fotos, denn die machen mir immer wieder bewusst, wie weit entfernt ich von einer Familiengründung bin. Bisher habe ich noch nicht einmal mit jemandem zusammengewohnt, weil ich so großen Respekt davor habe. Alleine die Vorstellung, dass da nun immer mein Partner mit mir in einer Wohnung sitzt und dann noch ein kleines Lebewesen, um das wir uns Tag und Nacht kümmern müssen, überfordert mich schlichtweg.
Und ja, ich kenne all diese Sätze und sie sind sicherlich wahr: „Man ist nie bereit für ein Kind“, „Man soll das nicht durchdenken“, „Das läuft dann schon alles und man kommt mit allem zurecht“. Ich weiß, dass Menschen sich an neue Lebensumstände gewöhnen. Und ich weiß auch, dass ich das könnte. Wenn ich sage, es überfordert mich, dann meine ich nicht, dass ich mir das niemals zutrauen würde. Es ist nur eben gerade total weit weg. Ja, mein Leben kommt mir gegen das einer dreiköpfigen Familie beinahe banal vor. Ich dachte immer – so wie wahrscheinlich viele Menschen – ich würde früh Eltern werden. „Früh“ bedeutet eigentlich: vor 30. Nun bin ich also 30 und mein Familienwunsch hält sich tatsächlich noch in Grenzen.
Ist das normal? Sind die Anderen einfach früher dran? Oder bin ich ein Spätzünder, der zu viel nachdenkt? Wahrscheinlich von allem ein bisschen. Wenn dann auch noch meine Mama oder eine Freundin, die schon Mutter ist, fragt, wann ich denn vorhabe, ein Baby zu bekommen, gehe ich in eine Art Trotzhaltung. Wie das Schulkind, das nach sechs Wochen Sommerferien nicht in die Schule möchte. Ja, genauso fühlt es sich an. Ich will lieber noch ewig Sommerferien haben und die nächste Klasse finde ich gerade gar nicht so spannend.
Dass ich nicht vollkommen erwachsen werden möchte, bedeutet allerdings auch nicht, dass ich gerade wie wild Party mache und mein Leben bis sechs Uhr morgens in vollen Zügen genieße. Ich habe keine Weltreise, die ich noch machen möchte. Keine Droge, die ich noch ausprobieren möchte. Ich bin viel zuhause und schlafe acht Stunden, auch ohne Corona. Esse gerne gut, trinke noch lieber guten Wein und fahre am liebsten nach Italien. Nähme man meine momentanen Lebensumstände – sie wären schlichtweg perfekt, um ein Kind zu bekommen. Wahrscheinlich ist mein Umfeld deshalb verwirrt. Ich bin es ja auch.
Was für eine Lebensphase soll das sein? Ist das schon erwachsen sein, obwohl ich mich im Vergleich zu den Drei-Zimmer-Wohnungen und Kinderwägen eher noch wie ein Teenager fühle? Habe ich nur Angst? Oder möchte ich vielleicht doch kein Kind bekommen, obwohl ich immer dachte „unbedingt“? Wahrscheinlich ist das die Kunst: Es hier einfach mal nicht bestimmen zu können. Sich vor allem nicht mit den Anderen zu vergleichen. Und die Situation annehmen, als das, was es eben ist: Sommerferien – verlängert auf unbestimmte Zeit.
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