Im Deutschen Kindergarten in Moskau spielen immer mehr Kinder mit russischer Muttersprache. Weil das mitunter zu Sprachproblemen führt, können derzeit keine kleinen Russen mehr aufgenommen werden. Seit Neuestem bietet der Kindergarten seinen Schützlingen aber Deutschförderkurse an. Von Anja Reiter
Alexej ist ein bisschen traurig. Sein bester Freund ist im Sommer zurück nach Deutschland gezogen; etwas einsam rollt er nun mit seinem Dreirad über den Spielplatz. Im Kindergarten des Deutschen Dorfs endet die Bullerbü-Idylle häufig mit den Karriereplänen der Eltern: Wenn Papa wieder in Deutschland arbeiten will, zerreißt das mitunter erste Männerfreundschaften.
Doch Alexej wird bestimmt schnell neue Freunde finden. 105 Kinder in sieben Gruppen spielen in der Kindertagesstätte am Gelände des Deutschen Dorfes im Südwesten Moskaus. Ob Botschaftsmitarbeiter, Geschäftsleute aus Österreich oder Schweizer Unternehmer - sie alle wollen ihre Kinder im Deutschen Kindergarten versorgt wissen. Neben deutschsprachigen Kindern besuchen den Botschaftskindergarten aber auch viele Mädchen und Jungen mit russischer Muttersprache, wie zum Beispiel Alexej. „Das deutsche Bildungssystem genießt in Russland derzeit hohes Ansehen", erklärt Marlena Achterberg, die Leiterin des Deutschen Kindergartens.
Das Nationalitätengemisch wird mitunter aber zum Sprachproblem. Wenn der Teddybär nur noch Mischka genannt wird und deutsche Trostworte nicht mehr besänftigen können, haben es die Betreuerinnen schwer. Jedes fünfte Kind beherrscht die deutsche Sprache laut Frau Achterberg nicht. Deshalb bietet der Deutsche Kindergarten seit diesem Jahr Deutschförderkurse an. Für die Kosten müssen die betroffenen Eltern selbst aufkommen.
Sprachproblem war ein BumerangeffektDerzeit versuchen die Betreuerinnen gerade auszumachen, wie viele Kinder solche Förderkurse benötigen. „Es werden sicher einige sein", glaubt Frau Achterberg. Manchen Müttern und Vätern sei die Sprachproblematik leider nicht bewusst. Häufig stoßen die Betreuerinnen auf wenig Verständnis, wenn sie die Deutschdefizite des Nachwuchses ansprechen. „Viele Eltern glauben, dass ihr Kind innerhalb von zwei Wochen spielerisch Deutsch lernen würde", sagt Katja, eine der Betreuerinnen. Doch eine neue Sprache würden auch Kleinkinder nicht so schnell erlernen - erst recht nicht, wenn zu Hause hauptsächlich Russisch gesprochen werde. Außerdem stünden den kleinen Russen im Kindergarten zu viele andere russischsprachige Kinder zur Verfügung.
„In den meisten Gruppen wird bereits mehr Russisch als Deutsch gesprochen", sagt auch Karin von Berg, die Leiterin der Deutschen Schule. Neben russischen Muttersprachlern gebe es schließlich auch immer mehr Kinder, die in gemischten Ehen aufwachsen - und lieber Russisch als Deutsch sprechen. Die Krux mit der Sprache ist in ihrem Büro seit Längerem Thema Nummer Eins. Als man vor einigen Jahren aus wirtschaftlichen Gründen den Kindergarten auch für russischsprachige Kinder geöffnet hatte, habe man die Sprachschwierigkeiten einfach nicht bedacht. „Das war ein Bumerangeffekt", sagt die Schulleiterin heute.
"Größte Veränderung in der Geschichte des Kindergartens"Gemeinsam mit dem Schulverein versucht sie derzeit mit allen Mitteln, das Sprachproblem wieder in den Griff zu bekommen. „Der Kindergarten durchläuft derzeit die größte Veränderung seiner Geschichte." Neben der Einführung der Deutschförderkurse sah sich der Schulverein gezwungen, die Aufnahmebestimmungen für den Kindergarten zu verschärfen.
Nur noch Kinder mit altersgerechten Deutschkenntnissen werden in den Botschafts-Kindergarten aufgenommen; nach ein paar Tagen „Probespielen" entscheiden die Betreuerinnen, ob die Sprachkenntnisse ausreichen. Russischsprachige Kinder könne man wegen der Sprachproblematik derzeit leider gar nicht mehr aufnehmen. Die 27 Plätze, die für Fremdsprachler bereitstünden, seien allesamt schon belegt oder werden von Geschwisterkindern beansprucht. „Wir kämpfen um jedes deutsche Kind", sagt Frau von Berg, „auch wenn es noch so krassen Berliner Slang spricht".
Die Sprachprobleme im Kindergarten bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Deutsche Schule: Wer im Kindergarten nicht richtig Deutsch lernt, den würden die Schwierigkeiten mit der Grammatik und den Vokabeln auch ins Klassenzimmer verfolgen. Viele Schüler könnten auf Deutsch zwar über Photosynthese und den Zweiten Weltkrieg fachsimpeln, würden aber zu wenige deutsche Alltagsvokabeln beherrschen. Die Alarmglocken schrillten bei Frau von Berg besonders laut, als sie 2010 den Inspektionsbericht aus der Bundesrepublik las: Die Moskauer Deutsche Schule wurde darin zwar als Exzellenzschule ausgezeichnet, gleichzeitig wurden aber auch schwere Mängel bei der Beherrschung der deutschen Sprache in den Schulklassen festgestellt. „Wir haben das Niveau einer Begegnungsschule, die auf Mehrsprachigkeit ausgelegt ist, wollen aber eine Deutsche Schule sein", sagt die resolute Berlinerin.
Zusammenarbeit mit der Deutschen Schule wurde verbessertVon Resignation ist man an der Deutschen Schule dennoch weit entfernt. Um bei der diesjährigen Evaluation besser abzuschneiden, zerbrach sich der Schulverein den Kopf, wie man das Sprachproblem am besten in den Griff bekomme „Viele der Probleme, die in der Schule auftreten, wurzeln im Kindergarten", sagt Frau von Berg. Vor einem Jahr unterstellte man deshalb den Deutschen Kindergarten auch formell der Deutschen Schule. Dadurch wurde die Zusammenarbeit mit der Schule verbessert, die Kindergartenkinder werden noch intensiver auf die Jahre in der Deutschen Schule vorbereitet.
Denn wenn es nach der Schulleitung geht, soll der Deutsche Kindergarten möglichst eine deutsche Spielinsel mitten in Russland bleiben. „Viele Familien wollen über kurz oder lang wieder nach Deutschland zurück. Wir machen den Umstieg in das deutsche System leichter", erklärt Frau Achterberg. Die russische Heimat auf Zeit wird aber auch im Deutschen Kindergarten nicht ganz ausgeklammert. Wer möchte, kann in der Russisch-AG spielerisch ein paar Brocken Russisch lernen. Auch die Kinder sollen vom beruflich bedingten Moskau-Aufenthalt sprachlich profitieren - selbst wenn sie mit dem russischen Alltag ansonsten wenig in Berührung kommen. Manche wohnen im Deutschen Dorf um die Ecke und spazieren jeden Tag selbstständig in den Kindergarten. Derzeit bereiten die Betreuerinnen gerade das neue Kindergartenjahr vor. Die geplante Märchenstunde wird wohl auch Alexej über seinen verlorenen Spielkumpanen hinwegtrösten - Denn auch russische Kinder lieben die Gebrüder Grimm.
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